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Diese Suche nach genuin „deutschem“ bzw. „germanischem“ Recht zeigte sich auch und gerade in der damaligen Auseinandersetzung mit dem Diebstahls- und (in Abgrenzung dazu) dem Raubtatbestand. So stellte man beim Vergleich von römischem und germanischem Rechtfest, dass im germanischen Recht für den Diebstahl die Todesstrafe vorgesehen war, der Raub aber entweder nicht oder wesentlich geringer bestraft wurde.[56] Dagegen sei im römischen Recht der Raub gegenüber dem Diebstahl härter geahndet worden.[57] Hieraus folgerte man, dass bei den Germanen eine heimliche Tatbegehung (wie beim Diebstahl) gegenüber der offenen (wie beim Raub) deutlich negativer konnotiert gewesen sei; sie gelte als falsch und verschlagen und somit als besonders verwerflich.[58] So sei bei den Germanen der „Dieb feige und schleichend […], im Räuber […] [sehe man aber] den kühnen und verwegenen Mann und hatte [. . .] Achtung vor seiner Manneskraft.“[59]
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Diese Vorstellung, dass der Raub als offen und „mannhaft ausgetragenes“ Delikt im germanischen Recht als weniger verwerflich als der Diebstahl als heimliches Delikt galt und sich darin der „Kern des Unrechtsverständnisses“[60] der Germanen zeige, ist bis heute verbreitet. Doch lohnt es sich, diese Ansicht, die von Siems später treffend als „ Lehre von der Heimlichkeit des Diebstahls“[61] bezeichnet wurde, kritisch zu hinterfragen. So stellt sich, gerade angesichts des historischen Kontexts, in dem die „Lehre von der Heimlichkeit des Diebstahls“ aufkam, die Frage, inwieweit die Annahme eines spezifisch germanischen Diebstahls- und Raubbegriffs ideologisch geprägt ist. So steht etwa Siems dieser „Lehre von der Heimlichkeit“ aufgrund des Mangels diese Lehre unterstützender Belegstellen höchst kritisch gegenüber.[62] Dieser Quellenknappheit waren sich die damaligen Vertreter der Lehre von der Heimlichkeit durchaus bewusst. Jedoch wurde die fehlende Quellengrundlage etwa von Amira damit abgetan, dass der „Vorwurf fehlender Quellengrundlage […] [ein] unzulässiges Argument e silentio […] sei“.[63] Diese fehlende Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit kritischen Fragen lässt darauf schließen, dass andere Beweggründe hinter der Verfechtung eines spezifisch germanischen Diebstahlsbegriffs gestanden haben müssen. Im Zuge der Bemühungen um die Ausbildung eigenen nationalen Rechts strebte man (wohl gerade angesichts der spärlichen Quellenlage) danach, „den Geist, der darin [in den germanischen Rechtsinstituten] waltet“[64] zu erkennen und machte so als „Charakter des Diebstahls […] die Heimlichkeit fest, die nicht zum Begriff des römischen furtum gehört habe“[65] aus. Für die nachhaltige Etablierung dieser Lehre war nach Siems [66] Wildas Schrift „Strafrecht der Germanen“ von 1842 entscheidend, indem sie ihr die nötige Reputation auch bei anderen Autoren verschaffte.[67] (Scheinbar) unterstützt wurde die Lehre von der Unterscheidung von Mord und Totschlag, die ebenfalls nach dem Merkmal der Heimlichkeit erfolgte, sodass die Unterscheidung nach der Heimlichkeit zu einem allgemeinen Prinzip erhoben wurde.[68] Die später ideologische Aufladung eines dem „germanischen Geist“ entsprechenden Rechtsmuss bei der Beschäftigung mit dem germanischen Recht somit stets berücksichtigt werden.
IV. Das gemeine Recht – Der Raub in der Constitutio Criminalis Carolina
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In der Constitutio Criminalis Carolina Kaiser Karls V. von 1532 (CCC) findet sich der Tatbestand des Raubes in Art. 126 CCC– ohne jegliche Festschreibung der tatbestandlichen Merkmale.[69] Schaffstein sieht hierin ein Zeichen dafür, dass deren Kenntnis zu Zeiten der Carolina schlicht vorausgesetzt wurde.[70] In der Carolina heißt es unter der Überschrift „Straff der rauber“: „Item eyn jeder boßhafftiger überwundner rauber, soll nach vermöge vnser vorfarn, vnnd vnserer gemeyner Keyserlichen rechten, mit dem schwerdt oder wie an jedem ort inn disen fellen mit guter gewonheyt herkommen ist, doch am Leben gestrafft werden.“[71] Der Raub wurde in der Carolina in erster Linie als Delikt gegen den öffentlichen Friedengesehen; Radbruch sieht den Raub in der Carolina denn auch als eine „Art Landfriedensbruch“, der als Rechtsgüter neben Eigentum und Vermögen auch Freiheit, Leib und Leben schützt.[72] Der Raubtatbestand war somit nicht als rein vermögensschädigendes Delikt ausgestaltet.[73]
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Dem „boßhafftigen, überwundnen Räuber“ drohte nach der Carolina die Todesstrafe durch das Schwert.[74] Jedoch wurde die Folge der Schwertstrafe zunächst noch einschränkend gehandhabt. So sollte sie lediglich demjenigen Räuber angedeihen, der seine Tat(en) auf öffentlicher Straße, bewaffnet oder wiederholt beging.[75] Hingegen war es gleichgültig, ob der Räuber adeliger Herkunft war, was eine klare Absage an das Adelsprivileg des berechtigten Fehderaubes darstellte.[76] Tatsächlich wurde das mittelalterliche Fehderecht bereits 1495 auf dem ersten Reichstag in Worms durch den ewigen Landfrieden abgeschafft.[77] Trotzdem kam es noch bis ins 16. Jahrhundert zu gewaltsamen Fehden und ritterlichen Raubzügen.[78] Das daraus resultierende hohe kriminalpolitische Bedürfnis einer abschreckenden Raubstrafbarkeit in Zeiten, in denen Wegelagerei und bewaffneter Raubüberfall auf Reisende an der Tagesordnung waren, war sicher auch Grund für die aus heutiger Sicht drakonische Strafpraxis der Carolina.[79] Historisch gesehen ist die Schwertstrafe allerdings eine relativ humane Form der Todesstrafe im Vergleich zu dem schmachvollen Hängen, das Dieben angedacht war.[80]
V. Entwicklung in der Epoche der Aufklärung
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Im Zuge der Aufklärung rationalisierte sich der Umgang mit dem Recht. Insbesondere unter dem Einfluss des Descartes’schen Rationalismus entstand die Vorstellung, „dass man aus der Vernunft auch ein vollständiges Rechtssystem ableiten könne.“[81] Somit bemühte man sich im Bereich des (Straf-)Rechts um Systematisierung und Rationalisierung,[82] mithin um eine vollständige Aufzählung und möglichst detaillierte Ausgestaltung der einzelnen Tatbestände.[83] Auch hinsichtlich des Raubtatbestandes erstrebte man eine möglichst präzise Formulierung, sodass in der Zeit ab dem 18. Jahrhundert wichtige Entwicklungsstufen hin zur heutigen Fassung des Raubtatbestandes auszumachen sind. Nachvollziehen lässt sich diese Entwicklung des Raubtatbestandes insbesondere anhand der zwei für diese Epoche zentralen Gesetzgebungswerke, dem Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR), das am 1. Juli 1754 in Kraft trat, sowie am Bayerischen Strafgesetzbuch, das ab dem 1. Oktober 1813 galt.
2. Allgemeines Preußisches Landrecht
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§ 1187 des ALR[84] formulierte den Raubtatbestand folgendermaßen: „Wer durch Gewalt an Menschen, bewegliche Sachen, wozu er kein Recht hat, seines Gewinns, Vortheils, oder Genusses wegen in Besitz nimmt, macht sich eines Raubes schuldig.“ An diesem Tatbestand zeigt sich zunächst, dass der Raub – auch in Abgrenzung zum Diebstahl – durch das Merkmal der Gewalt an der Person gekennzeichnet war.[85] Dieses Kriterium geht dabei im Wesentlichen auf Böhmers Unterscheidung zwischen Gewalt gegen Personen und Gewalt gegen Sachenzurück, wobei letztere für die Begehung eines Raubes nicht ausreichen sollte.[86] Böhmer hatte sich insbesondere mit seinem Lehrbuch „ Elementa jurisprudentiae criminalis “ um die Rechtswissenschaft verdient gemacht, das als erstes Lehrbuch des Strafrechts von wissenschaftlichem Rang gilt.[87] Mit seiner Unterscheidung von Gewalt gegen Personen und Gewalt gegen Sachen leitete Böhmer die Entwicklung der heute bestehenden Fassung des Raubtatbestandes in Abgrenzung zum Diebstahl ein.[88] So sei „durch die Aufstellung des Unterscheidungsmerkmals der Gewalt an Personen [die Abgrenzung von Raub und Diebstahl] auch im Sinne einer grundsätzlichen begrifflichen Trennung beider Delikte“ erfolgt.[89] Überdies diente nun das Tatbestandsmerkmal der Gewalt an Personen zur Begründung der gegenüber dem Diebstahl erhöhten Strafbarkeit.[90] Ursprünglich war der Raub seit der Carolina „ausschließlich der ‚ violata securitas publica ‘ wegen unter Strafe gestellt“, wurde also primär als Verbrechen gegen das Gemeinwesen und den öffentlichen Frieden verstanden.[91] Als man im Zuge der naturrechtlich geprägten Bestrebungen, den einzelnen Tatbeständen ein angemessenes Strafmaß hinzuzufügen, zwischen Staats- und Privatdelikten unterschied,[92] ermöglichte dies nach Landmesser gerade beim Raub, „wo sich Zweck und Hauptabsicht des Täters ja gegen das Privateigentum richten, […] [dessen] klare Zuordnung zu den Privatverbrechen“[93]. Dementsprechend hatte man nun bei der Strafzumessung „den nötigen Spielraum für eine sorgfältige Abstufung nach dem Grade des der Person zugefügten Schadens“, da das ALR hier vier verschiedene Stufen der Strafbarkeit unterschied.[94]
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