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Hinzuweisen ist auch auf das Sonderstrafrecht für Polen und Juden im Reichsgebiet[125] und den besetzten Ostgebieten. Die Verordnung über die Strafrechtspflege gegen Polen und Juden in den eingegliederten Ostgebieten vom 4. Dezember 1941[126] („Polenstrafrechtsverordnung“) regelte nicht nur die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts in den eingegliederten Ostgebieten, sondern führte zudem ein Sonderstraf- und Strafprozessrecht[127] für Juden und Polen ein, das in erster Linie durch eine massive Verschärfung der Strafrahmen sowie völlige Missachtung sämtlicher Verfahrensrechte gekennzeichnet war.[128] Dies zeigt sich auch am Raub, der, sofern er gegen einen Deutschen begangen wurde, nunmehr mit der Todesstrafe geahndet wurde.[129]
VII. Entwicklung von 1945 bis heute
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Was Änderungen des zwanzigsten Abschnitts nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland betrifft, ist vor allem die Neugestaltung des § 250 StGB und des § 251 StGBdurch das EGStGB 1974[130]zu nennen.[131] Hinsichtlich des § 250 StGB wurde statt der Raubqualifikationen „Raub auf öffentlichen Wegen, zur Nachtzeit oder im Rückfall“ der „Raub mit Schusswaffen, Waffen oder sonstigen Werkzeugen oder Mitteln, um den Widerstand eines anderen zu überwinden“, sowie der „Raub mit Gefahr des Todes oder einer schweren Körperverletzung“ eingeführt.[132] Auch der Tatbestand der Raubqualifikation des § 251 StGB wurde verändert. Nun machte sich wegen Raubes mit Todesfolge nur noch derjenige strafbar, wer durch den Raub „leichtfertig den Tod eines anderen“ verursacht. Die für schwere Folgen geltende objektive Erfolgshaftung war bereits zuvor mit der Änderung des § 56 StGB a.F. (heute § 18 StGB) durch das 3. StrÄndG[133] beseitigt worden, da dem Täter hinsichtlich der qualifizierenden Folge nun zumindest Fahrlässigkeit zur Last fallen musste.
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Die heute gültige Fassung des zwanzigsten Abschnitts geht auf das 6. StrRG 1998[134] zurück. Seitdem genügt für Raub und räuberischen Diebstahl insbesondere auch das Handeln in Drittzueignungsabsicht.[135] Modifiziert wurde auch § 250 Abs. 1 StGB, in dem vor allem die Qualifikationen der Begehung mit Waffen und Werkzeugen verändert wurden (Abschaffung des speziellen Qualifikationstatbestandes „Raub mit Schusswaffen“). Die Qualifikationen in § 250 Abs. 2 StGB wurden neu eingefügt. Die Mindeststrafe für den schweren Raub nach § 250 Abs. 1 StGB wurde von fünf auf drei Jahre verringert und gleichzeitig die Höchststrafe für minder schwere Fälle nach (jetzt) § 250 Abs. 3 StGB von fünf auf zehn Jahre erhöht. In § 251 StGB wurde neben einer geringfügigen (stilistischen) Änderung das Wort „wenigstens“ eingefügt, um deutlich zu machen, dass die Tat auch vorsätzlich begangen werden kann.[136]
8. Abschnitt: Schutz des Vermögens› § 30 Raub› C. Kriminologische Bedeutung der Erscheinungsformen des Raubes
C. Kriminologische Bedeutung der Erscheinungsformen des Raubes
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Die Bedeutung des Raubtatbestandes in der Praxis ist nicht zu übersehen: In der PKS 2018 wird eine Zahl von 41 530 Personen[137] genannt, die Opfer versuchter oder vollendeter Raubdelikte[138] wurden. Festzustellen ist hierbei jedoch der gegenüber der PKS 2017 verzeichnete Rückgang der im Report aufgenommen Raubdelikte von 5,1 % (2017: 43 759 Opfer).[139] Dieser allgemeine Rückgang der Fallzahlen begann kurz nach der Jahrtausendwende und hält bis 2018 an.[140] Damit entspricht er einem seit längerer Zeit festzustellenden Trend, der eine langfristige Abnahme von Gewaltkriminalitätmarkiert,[141] wenn man von dem im Jahr 2016 zu konstatierenden Anstieg der Gewaltdelikte absieht.[142] Darüber hinaus sind bei der Interpretation dieser rückläufigen Entwicklung der Raubdelikte neben einer tatbestandlichen Überhöhung und Zuviel-Erfassung durch die Strafverfolgungsorgane auch die Effekte einer verstärkten Dunkelfeldaufhellung zu berücksichtigen.[143] Schließlich ist festzustellen, dass es sich bei dem weit überwiegenden Teil der erfassten Raubdelikte um Tatsachverhalte von moderatem Gewicht handelt: über 95% beruhen auf einem Sachverhalt ohne Schusswaffen-Drohung, wobei in nur 0,28 % der Fälle überhaupt eine Schusswaffe eingesetzt wurde.[144] Im Hinblick auf die vollendeten Raubfälle (79,46 %) blieb der Schaden bei 28,1 % unter 50 Euro sowie bei weiteren 45,9 % zwar über 50 Euro, allerdings unter 500 Euro.[145] Somit ist festzustellen, dass der spektakuläre Banküberfall gerade nicht die typische Raubsituation charakterisiert (nur 0,195 %).[146] Vielmehr besteht diese in 20 706 von 29 207 Fällen (knapp der Hälfte aller vollendeten Raubdelikte) in „Straßenkriminalität“ auf öffentlichen Straßen, Wegen oder Plätzen und Handtaschenraub.[147] Zu bedenken gilt es, dass auch ein Schulhoffall unter Jugendlichen der statistischen Erfassung unterfällt.
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Handelt es sich mit knapp unter 10 % weiblichen Tatverdächtigen um ein entsprechend den allgemeinen Feststellungen bei Gewaltdelikten ganz überwiegend von Männern begangenes Delikt,[148] verhält es sich mit Blick auf die Opfer von Raubtaten etwas ausgeglichener, wobei ausweislich der PKS auch hier der männliche Anteil mit 70,4 % beträchtlich ist.[149] Die polizeilich registrierte Raubkriminalität weist hinsichtlich der Tatverdächtigenstrukturaußerdem einen Anteil der Jugendlichen von 20,2 % bzw. der Heranwachsenden von 16,3 % auf.[150] Dies hängt insbesondere damit zusammen, dass es sich bei der genannten „Straßenkriminalität“ um Sachverhalte handelt, die durch Anonymität, Fluchtmöglichkeiten und Überflüssigkeit von Vorausplanungen sowie ein geringes Risiko nach individueller Opferwahl als alterstypische Tatbegehungsformen gekennzeichnet sind.[151] Die Täter haben daher auch weit überwiegend keine persönliche Beziehung zu den Opfern (66,2 %).[152] Die Raubaufklärungsrate lag 2018 ausweislich der PKS bei 57,0 %,[153] was leicht unter dem allgemeinen Aufklärungsdurchschnitt von 57,7 % liegt.[154]
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Weiterhin ist festzustellen, dass 40,6 % der im Jahr 2016 erfassten Tatverdächtigen Nichtdeutsche waren.[155] Blickt man auf die Staatsangehörigkeit der nichtdeutschen Tatverdächtigen, fällt auf, dass die meisten aus der Türkei (10,2 %) und Syrien (9,9 %) stammen.[156] Überrepräsentiert waren nichtdeutsche Tatverdächtigebesonders beim Handtaschenraub (42,7 %), während sie bei Raubüberfällen in Wohnungen etwa lediglich ein Drittel (34,2 %) ausmachten.[157] Von den nichtdeutschen Tatverdächtigen waren rund ein Viertel (25,4 %) Asylbewerber, die vor allem beim Handtaschenraub einen hohen Anteil (29,4 %) ausmachten.[158] Damit weist ihre Kriminalitätsbelastung einen überproportionalen Anteil im Hinblick auf ihren Anteil an der Gesamtbevölkerung auf. Dies lässt allerdings nicht den (in der Flüchtlingsbewegung oft voreilig gezogenen) Schluss zu, Asylbewerber seien im Verhältnis zur deutschen Bevölkerung besonders kriminell. Denn zu beachten ist, dass ein Vergleich der Kriminalitätsbelastung zwischen Deutschen und Nichtdeutschen nicht ohne Weiteres möglich ist: Zum einen sind die kriminalitätsbelasteten Alters- und Geschlechtsgruppen bei Nichtdeutschen stärker repräsentiert als bei Deutschen, sodass ein erheblicher demographischer Unterschied besteht.[159] Zum anderen lassen sich die beiden Gruppen auch aus einer ökonomischen Sicht kaum miteinander vergleichen, da Nichtdeutsche in einem größeren Umfang der finanziell schwächer gestellten Bevölkerungsgruppe zuzurechnen sind.[160] Auch leben Ausländer meist in Großstädten, in denen die deutsche Vergleichsbevölkerung ebenfalls eine höhere Kriminalitätsbelastung aufweist.[161]
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Betrachtet man die Anzahl der Verurteilungen nach § 249 StGB, die sich insgesamt im Jahr 2018 auf 1493 belief,[162] so fällt auf, dass im Jahr 2018 nur 548 von 779 Verurteilungen nach allgemeinem Strafrecht auf eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr – der von § 249 Abs. 1 StGB vorgesehenen Mindeststrafe – lauteten.[163] Dies zeigt, dass die Gerichte in der Praxis häufig von §§ 249 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB ( Rn. 115) Gebrauch machen.[164] In 385 Fällen erfolgte eine Strafaussetzung.[165] Von den 301 verurteilten Heranwachsenden wurden 286 nach Jugendstrafrecht verurteilt.[166] Diese restriktiven Tendenzen weisen ebenfalls daraufhin, dass das vom Gesetzgeber bei der Schaffung des § 249 StGB zugrunde gelegte Bild des gefährlichen Bank- oder Straßenräubers in der Wirklichkeit nur selten Entsprechung findet und die Gerichte versuchen, die in vielen Fällen der Straßenkriminalität unverhältnismäßige Mindeststrafe zu vermeiden. Die Einschränkungen, die auf Tatbestandsseite unternommen werden ( Rn. 50 ff.), um dem spezifischen Unrecht des Raubes und der hohen Strafandrohung Rechnung zu tragen, werden also auf der Rechtsfolgenseite ergänzt.
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