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Allerdings ist zweifelhaft, ob die Angabe von Kündigungsfrist und Beendigungstermin stets zum Inhalt einer ordnungsgemäßen Mitteilung nach § 102 I 2 BetrVG zählt.[14] Dagegen spricht zunächst, dass diese Angaben nicht zu den „Gründen für die Kündigung“rechnen.[15] Außerdem muss der Arbeitgeber nach § 102 I 2 BetrVG nur seine subjektivenVorstellungen bezüglich der beabsichtigten Kündigung mitteilen.[16] Entsprechen diese Vorstellungen nicht der objektiven Rechtslage, so mag die beabsichtigte Kündigung aus anderen Gründen nicht in der vorgesehenen Form wirksam sein; zur Fehlerhaftigkeit des Anhörungsverfahrens führt dies jedoch nicht.[17] Auch für die Einwirkungauf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers ist die Länge der Kündigungsfrist somit ohne Belang. Schließlich hat die Länge der Kündigungsfrist auch keinerlei Bedeutung für die sonstige Rechtewahrnehmung des Betriebsrats: Anders als bei der Unterscheidung zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung (Abgrenzung zu § 102 II 3 BetrVG) hängt der Umfangdes Beteiligungsrechts des Betriebsrats aus § 102 BetrVG nicht von der Länge der Kündigungsfrist ab.
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Nach alledem führt die versehentliche[18] Falschinformation über die für A einschlägige Kündigungsfrist nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung analog § 102 I 3 BetrVG.
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Hinweis zur Klausurtechnik:
Dass die Kündigung wegen fehlerhafter Anhörung zur Kündigungsfrist unwirksam ist, lässt sich mit entsprechender Argumentation ebenso vertreten. In diesem Fall ist nicht im Hilfsgutachtenweiter zu prüfen, da es anschließend um gleichrangige Unwirksamkeitsgründe geht, die nicht in einem logischen Abhängigkeitsverhältnis zum vorhergehenden Prüfungspunkt stehen (vgl. noch ausführlich Rn. 94).
3. Fehlerhaftigkeit wegen mangelhafter Besetzung
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Die Anhörung könnte aber fehlerhaft gewesen sein und damit zur Unwirksamkeit der Kündigung führen, weil der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß besetzt war.
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Gem. § 33 II Hs. 1 BetrVGhat für die Beschlussfähigkeit des Betriebsrats mindestens die Hälfte der Betriebsratsmitglieder an der Beschlussfassung teilzunehmen, wobei Stellvertretung durch Ersatzmitglieder zulässig ist. Der bei 56 Arbeitnehmern gem. § 9 S. 1 BetrVGfünf Mitglieder umfassende Betriebsrat hat auf seiner Sitzung am 5. März 2007 jedoch nur mit zwei Mitgliedern einen Beschluss gefasst. Damit liegt kein wirksamer Beschluss des Betriebsratsgremiums, sondern – allenfalls – eine „Stellungnahme“ der zwei anwesenden Mitglieder vor. Eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats als Gremium ist damit nicht erfolgt.
b) Beachtlichkeit im Außenverhältnis
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Möglicherweise ist die nur im Innenverhältnis bestehende Fehlerhaftigkeit gegenüber P jedoch unbeachtlich, weil der Betriebsrat von seinem Vorsitzenden im Außenverhältnis wirksam vertreten worden ist.[19] Nach § 26 II 1 BetrVGvertritt der Betriebsratsvorsitzende den Betriebsrat zwar, allerdings nur beschränkt, nämlich „im Rahmen der von ihm gefassten Beschlüsse“. Er ist damit gleichsam „Vertreter in der Erklärung“,[20] mit anderen Worten also gesetzlicher Vertreter ohne abstrakte, fest umrissene Vertretungsmacht. Ohne wirksamen Beschluss des Betriebsrats mangelt es ihm folglich an der Vertretungsmacht. Mangels Beschlusses konnte der Vorsitzende den Betriebsrat somit nicht wirksam gegenüber P vertreten, so dass auch im Außenverhältnis keine wirksame Anhörung vorliegt.
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Es drängt sich allerdings die Frage auf, ob die Analogie zu § 102 I 3 BetrVG nicht auf Fälle zu beschränken ist, in denen die Fehlerhaftigkeit aus dem Verantwortungsbereich des Arbeitgebersherrührt. Bei Beachtlichkeit jedweden Verfahrensfehlers könnte der Betriebsrat das Anhörungsverfahren andernfalls dazu missbrauchen, Kündigungen durch eine vorsätzlich herbeigeführte Fehlerhaftigkeit unwirksam zu machen, zumal der Arbeitgeber keine wirksamen rechtlichen Einflussmöglichkeiten auf die Beschlussfassung hat.[21] Ratio von § 102 I 3 BetrVG ist es aber lediglich, dem Betriebsrat die Möglichkeitzu geben, auf die Willensbildung des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen; ob er diese Möglichkeit (ordnungsgemäß) wahrnimmt, liegt dann allein an ihm. Folglich können nur Verfahrensfehler, die dem Verantwortungsbereich des Arbeitgebers zuzuordnen sind, zur Unwirksamkeit der Kündigung führen.[22] Die mangelhafte Besetzung bei der Beschlussfassung führt als Fehler in der Sphäre des Betriebsrats somit grundsätzlich nicht zur Fehlerhaftigkeit der Anhörung und damit auch nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung.
d) Ausnahme bei Kenntnis des Arbeitgebers
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Möglicherweise muss jedoch anderes gelten, wenn der Arbeitgeber weiß oder erkennenmuss, dass der Betriebsrat die Angelegenheit nicht fehlerfrei behandelt hat. P muss sich nämlich die Kenntnis der Personalabteilung bezüglich der Fehlerhaftigkeit der Anhörung analog § 166 I BGB zurechnen lassen.
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Systematischspricht für eine Ausnahme, dass der Arbeitgeber bei völligem Untätigbleiben des Betriebsrats gem. § 102 II BetrVG für die Abgabe[23] der Kündigung ebenfalls eine Frist von einer Wocheabwarten muss, nach deren Ablauf die Zustimmung zur Kündigung als erteilt gilt.[24]
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Aus teleologischer[25] Sicht macht es jedoch einen Unterschied, ob der Betriebsrat gar keinen oder einen fehlerhaften Beschluss gefasst hat. Im Fall des fehlerhaften Beschlusses ist das Abwarten der Wochenfrist typischerweise ein überflüssiger Formalismus: Der Betriebsrat wird nicht mehr als das veranlassen, was bereits geschehen und aus seiner Sicht zur Anhörung ausreichend ist. Zudem rührt die Fehlerhaftigkeit auch bei Kenntnis des Arbeitgebers ungebrochen aus dem Verantwortungsbereichdes Betriebsrats her, auf den der Arbeitgeber keinerlei Einfluss nehmen kann. Demnach ist es überzeugender, dass das Anhörungserfordernis trotz Kenntnis des Arbeitgebers vom Fehler in der Sphäre des Betriebsrats erfüllt ist.[26]
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Die mangels ausreichender Besetzung fehlerhafte Anhörung ist der Sphäre des Betriebsrats zuzurechnen und hat daher nicht analog § 102 I 3 BetrVG zur Folge, dass die Kündigung unwirksam ist.
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Hinweis zur Klausurtechnik:
Auch an diesem Punkt ist die gegenteilige Auffassung mit guter Argumentation vertretbar. In diesem Fall ist wiederum ohne Hilfsgutachten weiter zu prüfen.
IV. Allgemeiner Kündigungsschutz / soziale Rechtfertigung
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Möglicherweise ist die Kündigung des A sozial nicht gerechtfertigt und damit gem. § 1 I KSchG rechtsunwirksam.
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A ist seit 1999, mithin mehr als 6 Monate als Arbeitnehmer im Hamburger Betrieb der P beschäftigt, dem 56 und somit mehr als 10 Arbeitnehmer angehören, so dass der allgemeine Kündigungsschutz aus § 1 KSchG gem. §§ 1 I, 23 I 2, 3 KSchGzeitlich, persönlich und betrieblich zur Anwendung gelangt.
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Hinweis zur Klausurtechnik:
Falsch wäre es zu formulieren, dass gem. §§ 1 I, 23 I KSchG „das Kündigungsschutzgesetz“ Anwendung findet, da insbesondere die Wirksamkeitsfiktion nach §§ 4, 7 KSchG auch im Kleinbetrieb und vor Ablauf der Wartezeit von 6 Monaten gilt.
Welche der 56 Arbeitnehmer sog. Altarbeitnehmer i.S.d. § 23 I 2, 3 Hs. 2 KSchG sind, kann dahinstehen, da bei 56 Beschäftigten (mit Blick auf § 23 I 4 KSchG also mindestens 28 Arbeitnehmer) beide Ausnahmen des § 23 I 2 u. 3 Hs. 1 KSchG nicht einschlägig sind.
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