Daneben ist aber auch zu prüfen, ob zwischen den Parteien überhaupt (noch) ein Arbeitsverhältnisbestand, vgl. § 4 S. 1 KSchG a.E. Nach Ansicht des BAG[1] wird bei stattgebendem Urteil auch festgestellt, dass dies im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung sowie zum in der Kündigung genannten Beendigungstermin der Fall war (sog. erweiterter punktueller Streitgegenstandsbegriff).[2] Der Arbeitgeber kann daher in einem späteren Verfahren keine (andere) frühere Beendigung des Arbeitsverhältnisses mehr geltend machen. Sofern am Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses keinerlei Zweifel bestehen,[3] kann dieser Prüfungspunkt freilich knapp bejaht oder auch übersprungen werden.
I. Wirksame Kündigungserklärung
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Eine der Form des § 623 BGB genügende Kündigungserklärungliegt auf Seiten des P – abgegeben durch dessen Personalabteilung (§ 164 I 1 BGB) – vor. Diese ist durch Zugang an A gem. § 130 I 1 BGBauch wirksam geworden.
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A hat fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben, so dass keine Fiktion der sozialen Rechtfertigungund der sonstigen Wirksamkeit der Kündigung nach §§ 4 S. 1, 7 Hs. 1 KSchG eingetreten ist.
55-
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Wiederholung und Vertiefung:
Für den richtigen Prüfungsaufbauder Begründetheit einer Kündigungsschutzklage bzw. der Wirksamkeitsprüfung einer Kündigung ist das Verständnis der §§ 4 S. 1, 7 Hs. 1 KSchG entscheidend:
1) |
Nach h.M. führen §§ 4 S. 1, 7 Hs. 1 KSchG zur materiell-rechtlichen Fiktion der Wirksamkeit der Kündigung.[4] Die Vorschriften sind daher nicht im Rahmen der Zulässigkeit, sondern der Begründetheitder Kündigungsschutzklage zu prüfen. |
2) |
Die Wirksamkeit der Kündigungs erklärung als Willenserklärung ist vor§§ 4 S. 1, 7 KSchG zu prüfen (für Schriftform und Zugang vgl. den Wortlaut, gleiches gilt aber bspw. auch für die Bestimmtheit der Erklärung), da sie von der Fiktion nicht erfasst wird; die Wirksamkeit der Kündigung als Rechtsgeschäft (Verstoß gegen gesetzliche Verbote, soziale Rechtfertigung etc.) wird im Fall nicht rechtzeitiger Klage dagegen fingiert, so dass diese Voraussetzungen erst nach§§ 4 S. 1, 7 KSchG zu prüfen sind.[5] |
3) |
§§ 4 S. 1, 7 Hs. 1 KSchG finden auch dann Anwendung, wenn ein Arbeitsverhältnis nicht dem allgemeinen Kündigungsschutz nach § 1 I KSchG unterfällt, weil die Wartezeit von 6 Monaten noch nicht verstrichen ist oder der Betrieb nicht die erforderliche Größe hat, vgl. § 23 I 2 u. 3 KSchG: „mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 und 13 I 1 u. 2 KSchG“. Es wäre daher falsch, bereits hier diese Punkte oder gar die „Anwendbarkeit des KSchG“ zu prüfen (s. auch weiter unten Rn. 79). |
III. Wirksame Betriebsratsanhörung, § 102 I 3 BetrVG
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P hat den Betriebsrat zwar zur Kündigung des A angehört, die Anhörung ist also nicht gänzlich unterblieben. Es fragt sich aber, ob eine fehlerhafteAnhörung nicht analog[6] § 102 I 3 BetrVG zur Unwirksamkeit der Kündigung führen muss.
1. Analogie zu § 102 I 3 BetrVG bei Fehlerhaftigkeit
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Voraussetzung einer Analogie ist das Vorliegen einer Lücke.Eine Lücke ist eine Unvollständigkeit des positiven Rechts, die sich – gemessen am Maßstab der gesamten geltenden Rechtsordnung – als planwidrig erweist.[7]
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Wiederholung und Vertiefung:
Die herrschende Meinung in der Methodenlehre definiert eine Lücke als Voraussetzung richterlicher Rechtsfortbildung im Anschluss an Canaris als planwidrige Unvollständigkeit.[8] In der Praxis, aber auch in der universitären Lehre ist dagegen häufig von einer „planwidrigen Regelungslücke bei vergleichbarer Interessenlage“die Rede.[9] Das ist aus mehreren Gründen ungenau: Erstens ist die Wendung „planwidrige Lücke“ eine Tautologie, zweitens ist die Begrenzung auf Regelungs lücken[10] zu eng und drittens ist die Vergleichbarkeit der Interessenlage bei näherem Hinsehen zwar der wichtigste, aber doch nur ein Unterfall der Planwidrigkeit. Im Methodenschrifttum hat sich diese Definition daher zu Recht nicht durchgesetzt.
Gleichwohl wird die Wendung von vielen Prüfern und Korrektoren erwartet. Es bietet sich daher an, sie aus taktischen Gründen in der Klausur zu bringen, sodann aber im Einklang mit der ganz herrschenden Lehre zu prüfen, ob eine Unvollständigkeit („Regelungslücke“) vorliegt und ob sie planwidrig ist (was u.a. dann der Fall ist, wenn eine „vergleichbare Interessenlage“ gegeben ist). Formulieren lässt sich bspw. wie folgt: „Voraussetzung einer Analogie ist eine planwidrige Regelungslücke bei vergleichbarer Interessenlage. Erforderlich ist mithin eine Unvollständigkeit im positiven Recht, die sich gemessen am Maßstab der gesamten geltenden Rechtsordnung als planwidrig erweist.“
Sofern Anhaltspunkte hierfür ersichtlich sind, ist abschließend zu prüfen, ob ihre Ausfüllung noch innerhalb der Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung möglich ist, ob also der Analogie oder Reduktion ggf. eine vorrangige Wertung des Gesetzgebers entgegensteht (vgl. ausführlich Klausur 5, Rn. 485).
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Eine Rechtsfolge für eine fehlerhafte Anhörung des Betriebsrats zu einer beabsichtigten Kündigung sieht das positive Recht nicht vor, so dass eine Unvollständigkeitzu bejahen ist. Planwidrigist diese Unvollständigkeit u.a., wenn die ratio von § 102 I 3 BetrVG in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz die Erstreckung der Unwirksamkeitsfolge auch für fehlerhafte Anhörungen verlangt, weil eine vergleichbare Interessenlagevorliegt. Zweck des Anhörungsverfahrens ist es, dem Betriebsrat zumindest die Möglichkeit zu geben, auf die Willensbildung des Arbeitgebers (auf fundierter Basis) Einfluss zu nehmen, um ihn ggf. von seinem Kündigungsentschluss abzubringen. Dieser Zweck wird aber auch bei unrichtiger Anhörung verfehlt. Der Gleichheitssatz gebietet somit, dass eine Kündigung nicht nur dann unwirksam ist, wenn der Arbeitgeber gekündigt hat, ohne den Betriebsrat überhaupt anzuhören, sondern auch dann, wenn er ihn nicht richtig beteiligt hat,[11] v.a. wenn er seiner Unterrichtungspflicht nach § 102 I 2 BetrVG nicht ausführlich genug nachgekommen ist.
2. Fehlerhaftigkeit wegen Angabe einer falschen Kündigungsfrist
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Die Anhörung könnte deshalb fehlerhaft gewesen sein, weil P dem Betriebsrat eine zu lange Kündigungsfristmitgeteilt hat. Fraglich ist allerdings, ob durch Angabe einer falschen Kündigungsfrist das Anhörungserfordernis des § 102 I 1 BetrVG verfehlt wird.
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Das BAG zählt Kündigungsfrist und Beendigungstermin zwar grundsätzlich zu den notwendigen Anhörungspunkten i.S.d. § 102 I 1 BetrVG.[12] Die versehentliche Angabe nicht einschlägiger Kündigungsfristen oder Beendigungstermine führe jedoch nicht zu einer fehlerhaften Anhörung, da ohnehin unsicher sei, zu welchem Zeitpunktdie beabsichtigte Kündigung dem Arbeitnehmer später zugehe und damit nach § 130 I 1 BGB wirksam werde. Damit sei der Kündigungstermin selbst bei Angabe der korrekten Kündigungsfrist i.d.R. noch nicht absehbar oder gar genau berechenbar.[13] Dagegen lässt sich jedoch einwenden, dass sich durch eine Verzögerung der Abgabe oder des Zugangs der Kündigungserklärung der Beendigungstermin zeitlich allenfalls nach hinten verlagern kann. Der Betriebsrat weiß also bei Angabe der korrekten Kündigungsfrist, wann die Kündigung frühestenswirken kann. P hat dem Betriebsrat eine zu lange Kündigungsfrist mitgeteilt; der wirkliche Beendigungstermin lag damit zeitlich vordem aus Sicht des Betriebsrats frühest möglichen Beendigungstermin.
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