39
In der 13. Legislaturperiode werden die Gerichtsferien (17. Titel des GVG) abgeschafft,[92] was für den Strafprozess indes bedeutungslos ist. Die Wiederaufnahmegründe werden um die vom EGMR festgestellte Verletzung der EMRK (§ 359 Nr. 6 StPO) ergänzt.[93]
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Das beherrschende Thema im Strafrecht war in der 12. Legislaturperiode die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität. Das OrgKG vom 15. Juli 1992[94] bedingte zum einen Folgeänderungen im Katalog des § 100a StPO und zur vorläufigen Sicherung (§§ 111o, 111p StPO) und Vollstreckung (§§ 459i, 460 S. 2 StPO) der neu eingeführten Vermögensstrafe (§ 43a StGB); neu geregelt wird auch die Vermögensbeschlagnahme in § 443 StPO. Zum anderen führte das OrgKG Rechtsgrundlagen für die Rasterfahndung (§§ 98a bis 98c StPO) ein, die zuvor auf allgemeine Vorschriften (§§ 161, 163, 94, 104 u.a. StPO) bzw. Polizeirecht gestützt wurden, was nach dem Volkszählungsurteil des BVerfG[95] unzureichend erschien. Geregelt wurde ferner der Einsatz technischer Mittel (§§ 100c, 100d StPO) und Verdeckter Ermittler (§§ 110a bis 110e StPO) sowie die polizeiliche Beobachtung (§§ 163e, 463a StPO) nebst der Verwertung von Zufallserkenntnissen (§ 100b Abs. 3 StPO).
41
Das StPOÄndG vom 17. Juli 1997[96] fügt die Hauptverhandlungshaft nach § 127b StPO ein, die die Anwendbarkeit des beschleunigten Verfahrens verbessern soll. Das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (OrgKVerbG) vom 4. Mai 1998[97] fügt nach entsprechender Änderung des Art. 13 GG[98] die außerordentlich umstrittene und komplizierte akustische Wohnraumüberwachung („großer Lauschangriff“) ein (§§ 110c bis 100e StPO), die freilich nur bis zur Entscheidung des BVerfG vom 3. März 2004 gelten wird.
3. Rechtsstellung der Verfahrensbeteiligten
a) Rechtsstellung des Beschuldigten
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Ziel des Justizmitteilungsgesetzes vom 18. Juni 1997[99] war die Schaffung der für die Erhebung und Weitergabe von Daten noch erforderlichen Ermächtigungsgrundlagen, nun §§ 12 bis 22 EGGVG, während Mitteilungspflichten der Behörden nach wie vor durch die bundeseinheitlich erlassenen Anordnungen über Mitteilungen in Strafsachen (MiStra) geregelt werden. Der Erfüllung datenschutzrechtlicher Anforderungen dienen auch die neuen Regelungen der – zuvor auf § 81a StPO gestützten – DNA-Analyse in § 81e bis § 81f StPO des StVÄG 1997,[100] die kurz darauf durch die vom DNA-Identitätsfeststellungsgesetz vom 7. September 1998[101] eingefügte Speicherungsermächtigung des § 81g StPO, ferner §§ 2, 3 DNA-IfG ergänzt wurden.
b) Rechtsstellung von Zeugen und Verletzten
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Verbessert wird durch das OrgKG auch der Zeugenschutz durch Änderung der §§ 68, 168a, 200, 222 StPO, § 172 GVG. Das Begleitgesetz vom 23. Juli 1992[102] erstreckt die berufsbezogenen Zeugnisverweigerungsrechte auf Berater für Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit (§ 53 Abs. 1 Nr. 3b, 97 StPO). Weitere Einzeländerungen betreffen die Erstreckung der berufsbezogenen Zeugnisverweigerungsrechte auf psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (§ 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO)[103].
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Allein der Verbesserung der Zeugenstellung ist das Zeugenschutzgesetz vom 30. April 1998[104] gewidmet, das insbesondere, aber nicht nur auf Erfahrungen mit der Vernehmung kindlicher Zeugen in Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs reagiert. Ermöglicht und mitunter empfohlen wird die Aufzeichnung von Zeugenaussagen auf Bild- und Tonträger (§ 58a StPO), die in der Hauptverhandlung verwertbar sind (§ 255a StPO). Ermöglicht wird auch eine audiovisuelle Distanzvernehmung (§ 247a StPO). Ferner können Zeugen (§ 68b StPO) und Nebenkläger (§ 397a StPO) nun anwaltlichen Beistand gestellt bekommen. Das Opferanspruchssicherungsgesetz (OASG) vom 8. Mai 1998[105] verschafft dem Verletzten ein gesetzliches Pfandrecht an Forderungen, die Tatbeteiligte durch eine öffentliche Darstellung der Tat („Vermarktung“) gegen Dritte erwerben.
II. Die Entwicklung von 1998 bis 2005
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In der 14. und 15. Legislaturperiode wurden 160 Vorschriften der StPO durch 49 Gesetze geändert.[106] Vielfach handelte es sich um Folgeänderungen, so z.B. machte die Einführung der vorbehaltenen und nachträglichen Sicherungsverwahrung in §§ 66a, 66b StGB entsprechende Verfahrensregeln (§§ 268d, 275a StPO) und Zuständigkeitsregeln nötig (§§ 74f, 120a GVG).[107]
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Unter dem Stichwort Modernisierung lässt sich das Gesetz zur Stärkung der Unabhängigkeit der Richter und Gerichte vom 22. Dezember 1999[108] fassen, das die 1972 eingeführte Präsidialverfassung der Gerichte überarbeitet. Aufgrund des Zustellungsreformgesetzes vom 25. Juni 2001[109] gelten für die Zustellung im Strafverfahren die Vorschriften der ZPO entsprechend (§ 37 Abs. 1 StPO).
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Das Justizmodernisierungsgesetz vom 24. August 2004 hat sich die Modernisierung auf die Fahnen geschrieben, ist aber weniger innovativ als dass es Entwicklungen der Praxis nachvollzieht, so durch die Abschaffung der Regelvereidigung (§§ 59 bis 66 n.F. StPO) und der Erweiterung der Sachentscheidungsbefugnis der Revisionsgerichte in § 354 Abs. 1a und 1b StPO[110]. In Verhandlungen vor dem Amtsrichter kann dieser nun auf einen Protokollführer verzichten (§ 226 Abs. 2 StPO), wodurch die ohnehin verfehlte absolute Beweiskraft des Protokolls gem. § 274 StPO, die eine personale Trennung von Richter und Protokollführer voraussetzt, noch problematischer wird. Weiter verlängert werden die Unterbrechungsfristen in § 229 StPO; die Ersetzung des Personalbeweises durch den Urkundsbeweis wird durch die Erweiterung und Neufassung der Verlesungsmöglichkeiten in §§ 251, 256 StPO vorangetrieben. Eine bloße Änderung des Sprachgebrauchs, die jedoch von der Polizei lange gewünscht worden war, ist die Umbenennung der „Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft“ in § 152 GVG in „Ermittlungspersonen“. Vereinfacht wurden die Regelungen über Wahl und Heranziehung der Schöffen.[111]
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Eine Rechtsgrundlage für den elektronischen Rechtsverkehr mit Gerichten und Staatsanwaltschaften wird mit § 41a StPO geschaffen;[112] die die Einzelheiten regelnde Rechtsverordnung ist noch nicht erlassen worden. Die „elektronische Akte“ lässt im Strafverfahren noch etwas auf sich warten.[113]
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Das StVÄG 1999[114] regelt den Steckbrief (Ausschreibung zur Festnahme) neu in detaillierten Vorschriften (§§ 131 bis 131c StPO), wandelt die zuvor zumeist als bloße Aufgabenzuweisungen verstandenen Generalklauseln der §§ 161, 163 StPO in Befugnisse für niederschwellige Eingriffe um und ergänzt sie um die Vorschrift über die längerfristige Observation (§ 163f StPO).
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Das StPOÄndG 2002 vom 20. Dezember 2001[115] schafft mit den §§ 100g, 100h StPO die zunächst bis zum 1. Januar 2005 befristeten – weil der Gesetzgeber die Absicht einer systematisch stimmigen Gesamtregelung hegte[116] – Grundlagen für Auskünfte über Telekommunikationsverbindungsdaten als Ersatz für den alten § 12 FAG. Bald danach wurde die Aufenthaltsbestimmung via Mobilfunk (sog. IMSI-Catcher) in § 100i StPO hinzugefügt.[117] Nach der Entscheidung des BVerfG zum „großen Lauschangriff“[118] hat der Gesetzgeber alsbald nach den Vorgaben des Gerichts eine komplizierte Neuregelung in §§ 100c bis 100e StPO erlassen,[119] die die eigentümliche Figur einer nur für die Entscheidung über die Wohnraumbewachung zuständigen Spezialstrafkammer schuf[120].
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