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Das Besondere Verwaltungsrecht umfasst eine beachtliche Anzahl mehr oder weniger eigenständiger, sachgebietsbezogener Normenkomplexe als spezielle Vorgaben für öffentliche Verwaltungstätigkeit. Über seine Breite orientiert bereits ein Blick auf die Inhaltsübersicht im Standardwerk zu diesem Rechtsgebiet, dem von F. Schoch 2018 herausgegebenen Lehrbuch[1]. Die für das Studium und die Erste Juristische (Staats-)Prüfung maßgeblichen Juristenausbildungsgesetze der Länder enthalten freilich keine einheitliche Verortung des Besonderen Verwaltungsrechts und der von ihm umspannten Sachgebiete, sondern ordnen nur Teile davon jeweils dem Pflichtfächerkatalog zu. Von allenStudierenden jedenfalls in den Flächenstaaten nachzuweisen (vgl § 8 II Nr 9 bd.wtt.JAPrO, § 18 II Nr 5c bay.JAPO, § 3 IV Nr 3c brandenb.JAO, § 7 Nr 4f hess.JAG, § 11 II Nr 3c m.v.JAPO, § 16 III Nr 3, 4 NJAVO, § 11 II Nr 13 JAG NRW, § 1 II Nr 1c rh.pf.JAPO iVm Anl. C IV Nr 4, § 8 II Nr 5d saarl.JAG, § 14 III Nr 8c sächs.JAPO, § 14 II Nr 5c s.anh.JAPrO, § 3 V Nr 4a-c schl.h.JAVO, § 14 II Nr 4c thür.JAPO) sind üblicherweise (Grund-) Kenntnisse im Kommunalrecht (zT ohne Kommunalwahlrecht und Kommunalabgabenrecht) als einer für die Leistungsverwaltung typischen Materie sowie im Polizei- und Ordnungsrecht als Paradedisziplin der Eingriffsverwaltung. Daneben sind auch Grundzüge des Baurechts Prüfungsgegenstand in allen Ländern. Die namentlich in jüngerer Zeit noch vermehrt Beachtung gewinnenden Gebiete des Umweltrechts und des Wirtschaftsverwaltungsrechts bedürfen einer eigenständigen Darstellung, gehören zudem lediglich zum Kreis der Schwerpunktbereiche.
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Da sowohl das Kommunalrecht als auch das Polizei- und Ordnungsrecht im Wesentlichen von der Landesgesetzgebung ausgeformt sind – im Bereich des Baurechts gilt das für den bauordnungsrechtlichen Teil –, konnte es vorliegend nur um eine Darstellung übereinstimmender Grundstrukturen gehen. Dies stößt freilich bei einer Zahl von 16 Ländern und einem verstärkten Trend der Landesgesetzgebung, sich von gemeinsamen Leitlinien zu lösen und eigenständigen Ansätzen zu folgen, auf nicht unbeträchtliche Schwierigkeiten. Gleichwohl sollten in einem Bundesstaat Bemühungen um die Vermittlung eines an nach wie vor erkennbaren Grundstrukturen orientierten Überblicks nicht nachlassen. Schließlich ergeben sich Harmonisierungseffekte etwa im Kommunalrecht aus dem zunehmenden Trend zur Aktivierung des Bürgers, so durch Direktwahl des Hauptverwaltungsbeamten und durch Instrumente unmittelbarer Demokratie (dazu unten Rn 107). Auch das BVerfG nahm schließlich seine Beurteilung von Eingriffen in die kommunale Organisationshoheit unter Berücksichtigung der „im deutschen Kommunalrecht bekannten Vorgaben“ – so BVerfGE 91, 228 (242) – vor.
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Zur Wahrung der Übersichtlichkeit sind in der Regel lediglich die einschlägigen bayerischen, niedersächsischen, nordrhein-westfälischen und mecklenburg-vorpommerschen Vorschriften im Text durchgängig angegeben. Die Bestimmungen der übrigen Länder sind nur teilweise, in der Darstellung des Kommunal- sowie des Polizei- und Ordnungsrechts aber jeweils zu Beginn eines Abschnittes gesammelt aufgeführt. Dem Leser wird im Hinblick darauf geraten, die für ihn maßgebliche landesrechtliche Bestimmung anhand der gegebenen Nachweise aufzusuchen, sie genauestens zu lesen und am Rand zu notieren. Es wird erwartet, dass jedenfalls die im Text ausdrücklich in Bezug genommenen ausgewählten Entscheidungen durchgearbeitet werden.
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Siehe daneben insbesondere auch D. Ehlers/M. Fehling/H. Pünder (Hrsg.), Bes.VerwR, 3 Bde., 3. Aufl. 2012/2013.
Inhaltsverzeichnis
§ 1 Das Kommunalrecht und die kommunalen Rechtssubjekte
§ 2 Verfassungsrechtliche Gewährleistungen der kommunalen Selbstverwaltung
§ 3 Die Gemeindebevölkerung (Bürger und Einwohner)
§ 4 Die innere Gemeindeverfassung
§ 5 Der Aufgabenkreis der Gemeinden
§ 6 Kommunales Satzungsrecht
§ 7 Kommunale öffentliche Einrichtungen und ihre Benutzung
§ 8 Der Anschluss- und Benutzungszwang
§ 9 Wirtschaftliche Betätigung der Kommunen
§ 10 Kommunales Finanzwesen (Zusammenfassende Übersicht)
§ 11 Die Staatsaufsicht über die Kommunen
Teil I Kommunalrecht› § 1 Das Kommunalrecht und die kommunalen Rechtssubjekte
§ 1 Das Kommunalrecht und die kommunalen Rechtssubjekte
Inhaltsverzeichnis
I. Kommunalrecht als Rechtsgebiet
II. Die kommunalen Rechtssubjekte
III. Die kommunalen Körperschaften im Rechtsverkehr
Teil I Kommunalrecht› § 1 Das Kommunalrecht und die kommunalen Rechtssubjekte› I. Kommunalrecht als Rechtsgebiet
I. Kommunalrecht als Rechtsgebiet
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Das Kommunalrecht als gewichtiger Teilkomplex des Besonderen Verwaltungsrechts umgreift alle diejenigen Rechtssätze, die sich auf die Organisation und den Aufgabenkreis der kommunalen Körperschaften beziehen und deren Handeln im Rechtsverkehr regeln. Nach der grundgesetzlichen Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen (vgl Art. 70 ff GG), die deutscher Tradition entspricht, ist der Erlass der die kommunale Organisation betreffenden Normen Ländersache. Trotz der mit dieser Kompetenzverteilung einhergehenden Gesetzesvielfalt ist das Kommunalrecht von länderübergreifenden Grundsätzen geprägt und folgt im Wesentlichen einheitlichen Prinzipien, welche sich in den jeweiligen Landesregelungen wiederfinden. Aus diesem Grunde stellen sich in allen Ländern nahezu dieselben Rechtsfragen, die dann auch regelmäßig Gegenstand von Klausuren in den juristischen Staatexamina sind[1].
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Von den klassischen landesrechtlichen Regelungen[2] seien hier besonders hervorgehoben:
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Die preußische Städteordnung v. 19.11.1808 (GS 1822 Anh. S. 324), nach ihrem Urheber, dem Freiherrn vom Stein, auch Steinʼsche Städteordnung genannt, |
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die bay. Verordnung, die künftige Verfassung und Verwaltung der Gemeinden im Königreiche betreffend, aus dem Jahre 1818 (GBl. Sp. 49), |
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das württ. Verwaltungsedikt für die Gemeinden, Oberämter und Stiftungen v. 1.3.1822 (Kgl. Staats- u. RegBl. S. 131), |
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die revidierte preuß. Städte-Ordnung v. 17.3.1831 (GS S. 10), |
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das badische Gesetz über die Verfassung und Verwaltung der Gemeinden v. 31.12.1831 (RegBl. S. 81), |
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die sächs. Landgemeinde-Ordnung v. 7.11.1838 (GVBl. S. 431), |
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die Landgemeinde-Ordnung für die Provinz Westfalen v. 31.10.1841 (GS S. 297) und |
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die Gemeindeordnung für die Rheinprovinz v. 23.7.1845 (GS S. 523). |
Im Jahre 1935 wurde mit der DGO erstmals ein für das gesamte Reichsgebiet geltendes einheitliches Gemeinderecht geschaffen, dessen organisatorischer Teil allerdings von nationalsozialistischem Gedankengut (Führerprinzip) durchdrungen war. Demgegenüber galten die wirtschaftsbezogenen Teile der DGO als in hohem Maße funktionsgerecht und haben dann auch durchgängig bei der kommunalrechtlichen Nachkriegsgesetzgebung in den einzelnen Bundesländern starke Beachtung gefunden.
Der sog. Weinheimer Entwurf, ein gemeinsamer Entwurf einer Gemeindeordnung auf der Grundlage von Beratungen der Innenminister der Länder und der kommunalen Spitzenverbände vom Juli 1948, hatte ua zum Ziel, den überkommenen Aufgabendualismus von Selbstverwaltungs- und Auftragsangelegenheiten durch das monistische Aufgabenmodelleiner einheitlichen Gemeindeselbstverwaltung zu ersetzen, die sich auf alle öffentlichen Aufgaben im Gemeindegebiet beziehen sollte. Der Entwurf hatte aber den Abschnitt über die innere Gemeindeverfassung (dazu unten § 4) ausgeklammert und konnte allenfalls partiell und punktuell in die Realität umgesetzt werden. Lediglich in den 1970er-Jahren gelang eine parallele Novellierung der gemeinderechtlichen Bestimmungen über die gemeindliche Haushaltswirtschaft.
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