4. Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Deutschland
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Auch negative Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Deutschland durch Bestechungszahlungen werden zum Teil als Folge von Korruption gesehen. Die Frankfurter Halbmonatsschrift „Das freie Wort“ wies bereits am 5.11.1901 in einem Artikel mit dem Titel „Innere Ursachen für den Niedergang der Industrie in Deutschland“ auf mögliche Schäden der deutschen Exportwirtschaft hin.[54] Ähnliche Auswirkungen sind auch in der heutigen Zeit denkbar. So wird ausgeführt, dass in einem internationalen Wirtschaftswettbewerb Bestechung dazu führen könne, dass ausländische Investitionen in Folge der Verweigerung des Zugangs zu einem korrupten und abgeschotteten Auftragsmarkt zurückgehen oder gar ausbleiben würden.[55] Eine solche Befürchtung hat Steinrücken graphisch verdeutlicht und daraus abgeleitet, dass zwischen dem inländischen Korruptionsniveau und den jährlichen ausländischen Direktinvestitionen ein Zusammenhang besteht.[56]
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Ob dieses Ergebnis zutreffend ist, mag dahingestellt bleiben. Dagegen könnte jedenfalls eingewendet werden, dass negative Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Deutschland nur dort denkbar sind, wo durch Bestechungszahlungen in direkter Weise ausländische Investitionen verhindert werden. Korrupte Handlungen sind aber auch durch ausländische Investoren selbst denkbar und könnten dann zu einer Verdrängung inländischer Mitbewerber führen. Außerdem scheint eine nennenswerte Schädigung der Gesamtwirtschaft nur bei einer hohen Verbreitung von Korruption vorstellbar. Diesbezüglich ist aber festzustellen, dass Deutschland nach einer Studie von „Transparency International“ aus dem Jahr 2012 bei der Wahrnehmung von Korruption lediglich Platz 13 von 174 ausgewerteten Staaten belegt, das heißt nur in 12 anderen Staaten der Korruptionswahrnehmungsindex niedriger ist.[57] Daher kann von einer ernsthaften Gefährdung des Wirtschaftsstandorts Deutschland – zumindest bei dem derzeitigen vergleichsweise niedrigen Korruptionswahrnehmungsindex – nicht gesprochen werden.
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Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass sich Bestechungszahlungen zumeist negativ auf sämtliche aufgezeigte Funktionen des wirtschaftlichen Wettbewerbs auswirken. Zwar wird im Einzelfall nicht immer zwingend jede einzelne Wettbewerbsfunktion beeinträchtigt, doch scheint eine Gefährdung des gesamtwirtschaftlichen Systems durch das vollständige Unterlaufen des freien Leistungswettbewerbs plausibel. Insgesamt ist die oftmals pauschale Verweisung auf die Beeinträchtigung des freien Wettbewerbs aufgrund der vielfältigen Auswirkungen von Bestechungszahlungen daher nachvollziehbar. Unsicher erscheinen hingegen Auswirkungen der Bestechung auf die Wirtschaftsmoral sowie den Wirtschaftsstandort Deutschland. Diese Auswirkungen sind weder empirisch belegt, noch stellen sie sich als zwingende Folge von Bestechungszahlungen dar. Die Auswirkungen auf individuelle Marktteilnehmer bestehen zweifellos in den meisten Fällen von Wirtschaftskorruption, wenngleich auch diese häufig nicht empirisch belegbar sind. Deshalb muss hier ein besonderes Augenmerk auf den jeweiligen Einzelfall gelegt werden, da nicht notwendigerweise sämtliche Interessen der einzelnen Marktteilnehmer in jeder Konstellation beeinträchtigt werden.[58]
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Die einzeln erläuterten Funktionen sind im Hinblick auf die spätere Frage der Strafbarkeit von Gewährung und Annahme von Vorteilen zugunsten der Anstellungskörperschaft des Vorteilsannehmenden im Blick zu behalten. Möglicherweise werden einzelne Wettbewerbsfunktionen, die in einem den Unrechtstypus der Bestechung im Wirtschaftsbereich repräsentierenden Normalfall durch Bestechungszahlungen typischerweise unterlaufen werden, in bestimmten, den Untersuchungsgegenstand repräsentierenden Fallkonstellationen gerade nicht beeinträchtigt.
[1]
Tiedemann Wettbewerb und Strafrecht, S. 7.
[2]
So auch Tiedemann Wettbewerb und Strafrecht, S. 8.
[3]
Köhler/Bornkamm UWG, Einl. UWG Rn. 1.1.
[4]
Köhler/Bornkamm UWG, Einl. UWG Rn. 1.1.
[5]
Wobei sich die Ziele der unterschiedlichen Wettbewerbe dabei oftmals überschneiden oder gar identisch sind. Beispielsweise ist die gesellschaftliche Anerkennung ein allgemeines Ziel menschlicher Bestrebungen und daher in unterschiedlichen Wettbewerben zu finden.
[6]
Koepsel Bestechlichkeit und Bestechung, S. 34; Peifer Lauterkeitsrecht, S. 3 f.; Olten Wettbewerbstheorie, S. 13.
[7]
Vgl. Baur ZHR 134 (1970), 97 (117 ff.); Knöpfle Wettbewerb, S. 203 ff.
[8]
Herdzina Wettbewerbspolitik, S. 8.
[9]
Der Begriff findet sich bei u.a. bei Rittner/Kulka Wettbewerbs- und Kartellrecht, S. 3; Ekey Grundriss des Wettbewerbs- und Kartellrechts, S. 5; Cox/Hübener in: C/J/M, Wettbewerb, S. 6. Gemeint ist wohl die Tatsache, dass Wettbewerb stets Freiheit der Marktteilnehmer voraussetzt und sich nicht vorhersagen lässt, welche Art von Marktprozessen sich aus der Ausübung der Freiheit ergeben. So auch Köhler/Bornkamm UWG, Einl. UWG Rn. 1.6.
[10]
Vgl. Köhler/Bornkamm UWG, Einl. UWG Rn. 1.1; Rittner/Kulka Wettbewerbs- und Kartellrecht, S. 22 f.; Delhaes/Fehl Dimensionen des Wettbewerbs, S. 2; Cox/Hübener in: C/J/M, Wettbewerb, S. 5 f.; Herdzina Wettbewerbspolitik, S. 11.
[11]
So ebenfalls Koepsel Bestechlichkeit und Bestechung, S. 35.
[12]
Koepsel Bestechlichkeit und Bestechung, S. 36.
[13]
Olten Wettbewerbstheorie, S. 15.
[14]
Hoppmann Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, S. 299.
[15]
Koepsel Bestechlichkeit und Bestechung, S. 36.
[16]
Olten Wettbewerbstheorie, S. 15.
[17]
Peifer Lauterkeitsrecht, S. 4.
[18]
Gemeint ist, dass sich grundsätzlich derjenige im Wettbewerb behauptet, der die beste Leistung erbringt. In diese Richtung Koepsel Bestechlichkeit und Bestechung, S. 100 f. Vgl. dazu ausführlich Rn. 97.
[19]
Fischer StGB, Vor § 298 Rn. 6.
[20]
Auch als Wettbewerbswirkungen bezeichnet, ohne dass in der Sache etwas anderes gemeint ist.
[21]
Vgl. Baur ZHR 134 (1970), 97.
[22]
Herdzina Wettbewerbspolitik, S. 11 f.; Koepsel Bestechlichkeit und Bestechung, S. 37.
[23]
Delhaes/Fehl Dimensionen des Wettbewerbs, S. 2; Cox/Hübener in: C/J/M, Wettbewerb, S. 3.
[24]
Koepsel Bestechlichkeit und Bestechung, S. 37.
[25]
Olten Wettbewerbstheorie, S. 23; Koepsel Bestechlichkeit und Bestechung, S. 38.
[26]
Herdzina Wettbewerbspolitik, S. 18.
[27]
Vgl. nur die Darstellung bei Herdzina Wettbewerbspolitik, S. 19.
[28]
Olten Wettbewerbstheorie, S. 23.
[29]
Koepsel Bestechlichkeit und Bestechung, S. 38.
[30]
Vgl. Olten Wettbewerbstheorie, S. 24 f.; Cox/Hübener in: C/J/M, Wettbewerb, S. 4.
[31]
Koepsel Bestechlichkeit und Bestechung, S. 40.
[32]
Herdzina Wettbewerbspolitik, S. 19.
[33]
Koepsel Bestechlichkeit und Bestechung, S. 39.
[34]
Koepsel Bestechlichkeit und Bestechung, S. 40; Tiedemann Wettbewerb und Strafrecht, S. 9.
[35]
Olten Wettbewerbstheorie, S. 21.
[36]
Hoppmann Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, S. 307. Siehe dazu auch ausführlich Rn. 53 ff.
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