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Hinzu kommen weitere Schwierigkeiten bei der Ermittlung der Bedeutung eines Begriffs. So kann beispielsweise die Art und Weise der Konstruktion zweier Begriffe identisch sein, diese Parallelität sich aber nicht auf die Bedeutungsebene erstrecken. Dies möge ein Beispiel veranschaulichen: Während die „Feuerwehr“ das Feuer bekämpfen bzw. vor diesem schützen soll, so soll die „Bundeswehr“ gerade den Bund und nicht vor dem Bund schützen.[117] Selbst Präpositionen können in unterschiedlichen Satzkonstruktionen unterschiedliche Bedeutungen haben; auch die Verwendung des Plurals eines Begriffes wirkt sich nicht immer identisch auf dessen Bedeutung aus.[118] Wort und Satz bedingen sich gegenseitig.[119]
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All diese Eigenheiten von Sprache gelten auch für Normtexte. Erst aus dem komplexen Zusammenspiel eines Begriffs mit seinem Kontext ergibt sich seine Bedeutung.
Demnach kann – jedenfalls grundsätzlich – dem „Alltagsverständnis“ eines Begriffs bestenfalls indizieller Charakter bei der Bedeutungsfindung zukommen.[120] Die Bedeutung eines Normbegriffs lässt sich nicht isoliert von der Norm bestimmen. An diesem Phänomen kann auch der Normgeber selbst wenig ändern.[121] Bringt er sein Begriffsverständnis zwar im Normgebungsverfahren zum Ausdruck, nicht aber im Gesetzestext selbst, so ist dies für den Rechtsanwender nicht bindend.[122] Die einzige Möglichkeit für den Normgeber, die juristische Begriffsbildung zu erleichtern, ist die Verwendung von Legaldefinitionen. Zwar setzen sich auch solche aus Begriffen zusammen, die ihrerseits auslegungsbedürftig sind.[123] Nichtsdestotrotz sind sie jedenfalls dem Grunde nach zur Präzisierung geeignet. Aufgrund des Vorrangs des Rechts sind sie auch bindend für den Rechtsanwender und stärken somit die Gewaltenteilung.
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Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass eine Akzessorietät des Rechts zu außerrechtlichen Gegenständen grundsätzlich möglich ist; in Bezug auf die Politik ist sie sogar zwingend, wenn auch der Einfluss der Anschauungen des ursprünglichen Gesetzgebers durch den Wegfall der Prämissen seiner Anschauungen in der Umwelt oder die Aktivität eines späteren und politisch anders ausgerichteten Gesetzgebers schwinden kann.
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Bezüglich aller anderen Lebensbereiche kann eine Akzessorietät des Rechts nur durch das Recht selbst hergestellt werden. Dies kann zum einen negativ geschehen, indem das Recht bestimmte Bereiche insoweit nicht erfasst, weshalb zur Entscheidungsfindung in der „Rechts“-Anwendung Rückgriff auf außerrechtliche Erkenntnisse genommen werden muss. Zum anderen kann ein Akzessorietätsverhältnis positiv durch die Normierung einer hier sog. „Öffnungsklausel“ begründet werden. Solche Öffnungsklauseln finden sich in allen Rechtsbereichen und für alle Wirklichkeitsbereiche. Sie liegen immer dann vor, wenn der Normgeber unmissverständlich deutlich macht, dass ein rechtsautonomes Begriffsverständnis ausnahmsweise nicht möglich ist bzw. gerade nicht gebildet werden soll, etwa wenn auf die „Gebräuche des Handelsverkehrs“ Bezug genommen wird. Nicht zwangsläufig eine Öffnungsklausel liegt hingegen vor, wenn eine Norm einen extrem offenen Begriff (wie z.B. „unbefugt“) verwendet. Ein solcher Begriff ist aufgrund des Vorrangs des Rechts zunächst durch Rechtswertungen auszufüllen. Erst wenn dies nicht möglich ist, darf auf außerrechtliche Sätze zurückgegriffen werden. Damit wird nicht nur dem Rechtsstaatsgedanken, sondern auch dem Demokratieprinzip Rechnung getragen.
3. Die Akzessorietät des Rechts zum Recht
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Als zweiter möglicher Gegenstand eines rechtlichen Akzessorietätsverhältnisses kommen neben den verschiedenen Wirklichkeitsbereichen auch andere Rechtssätze in Frage.
a) Gesetzliche Verweisungen (i.w.S.)
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Ein solches Verhältnis besteht offenkundig jedenfalls an den Stellen, an denen gesetzliche Vorschriften selbst unmittelbar auf andere Rechtsnormen Bezug nehmen – auf welche gesetzgebungstechnische Art und Weise das auch geschehen mag. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn § 331 Nr. 3a HGB sich auf vorstehende Regelungen des HGB bezieht. Nichts anderes gilt auch beispielsweise im Falle von § 283b Abs. 1 Nr. 3 StGB, der Verletzungen der Buchführungspflicht „entgegen dem Handelsrecht“ sanktioniert. Hier bestehen keine Zweifel an einer grundsätzlichen (Rechts-)Akzessorietät der betreffenden Norm.
b) Weitergehende Rechtsakzessorietät kraft eines übergeordneten Prinzips der „Einheit“ bzw. „Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung“
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Verwenden Rechtsvorschriften etwa hingegen Begriffe, die sich auch in anderen Regelungszusammenhängen finden, ist die Frage, ob und ggf. inwieweit die Auslegung der beiden Begriffe sich aneinander zu orientieren hat, nicht mehr so leicht zu beantworten. Dasselbe gilt für die Frage, ob die Aussage einer Rechtsvorschrift über die Rechtmäßigkeit oder die Rechtswidrigkeit eines bestimmten Verhaltens nur unter dem Blickwinkel eines bestimmten Rechtsgebiets sich auch zwangsläufig auf die übrigen Rechtsgebiete erstrecken muss.
Derartige rechtsgebietsübergreifende Regelungsmechanismen setzen einen übergeordneten allgemeinen Grundsatz voraus, aus dem sie sich ableiten lassen. Ein solches Systemdenken wurde unter vielfältigen Oberbegriffen diskutiert;[124] wohl am häufigsten finden sich in diesem Zusammenhang die Topoi der „Einheit der Rechtsordnung“[125] , der „Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung“[126] und der „Folgerichtigkeit der Rechtsordnung“[127].[128]
Die Begriffe der „Einheit“ und der „Widerspruchsfreiheit“ (bzw. „Widerspruchslosigkeit“) der Rechtsordnung werden teilweise synonym verwendet, teilweise aber auch differenziert: Unter „Einheit“ der Rechtsordnung wird zusätzlich die äußere Geschlossenheit und/oder die Lückenlosigkeit[129] der Rechtsordnung verstanden; die Widerspruchslosigkeit stelle insofern nur einen „Ausfluss“ der Einheit der Rechtsordnung dar.[130] Wenn im Folgenden der Begriff der „Einheit der Rechtsordnung“ verwendet wird, dann in dem engeren Sinne, der bei Vertretern einer differenzierenden Begriffsbildung als „Widerspruchslosigkeit der Rechtsordnung“ bezeichnet wird.
Neben den terminologischen Unterschieden besteht auch inhaltlich keine Einigkeit,[131] was die Befassung mit der Thematik zusätzlich erschwert. Die Behauptung Canaris “, der Gedanke der „Einheit der Rechtsordnung“ gehöre „zum gesicherten Bestand rechtsphilosophischer Einsichten“[132], kann jedenfalls als widerlegt bezeichnet werden;[133] es handelt sich keineswegs um ein „nahezu unbestrittenes Dogma“[134].
aa) Die Figur der „Einheit der Rechtsordnung“ in Wissenschaft und Rechtsprechung
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„[J]eder Schriftsteller stellt sich etwas anderes [scil. unter der Einheit der Rechtsordnung] vor“[135], stellte Karl Engisch bereits 1935 fest. An diesem Zustand hat sich bis heute nichts geändert;[136] vielmehr hat das Problem sich verschärft. Hieraus erklärt sich, dass teilweise aus dem (vermeintlich selben) Argument gegenteilige Ergebnisse gewonnen werden.[137]
Wird in Literatur und Rechtsprechung oder sogar auch in Parlamentaria[138] der Topos der „Einheit der Rechtsordnung“ oder einer der Parallelbegriffe verwendet, findet regelmäßig keine inhaltliche Auseinandersetzung statt, was darunter zu verstehen ist und welche Konsequenzen sich daraus ergeben, sondern er wird schlagwortartig zur Untermauerung der eigenen Argumentation herangezogen[139].[140] Doch auch unter den Autoren, die sich näher mit dem Phänomen der Einheit der Rechtsordnung befassen, besteht bereits dahingehend Uneinigkeit (oder es wird erst gar nicht thematisiert), ob es sich um ein vorgegebenes Faktum handelt oder einen Zustand, den es durch rechtswissenschaftliche Methoden herzustellen gilt. Unklar ist weiterhin, woraus sich ein solcher Grundsatz herleiten lassen könnte. Soweit er als verfassungsrechtliches Postulat begriffen wird, besteht zudem keine Klarheit darüber, ob (nur) der Rechtsanwender oder auch (bzw. sogar ausschließlich) die rechtssetzenden Instanzen adressiert werden.
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