8
(2) Einordnung der Dokumentationsfunktion: Im Hinblick auf die Dokumentationder Geschäftsvorgänge im externen Rechnungswesen zur Erfüllung der steuerlichen Nachweispflichten treten gegenüberden anderen Zweckender Steuerbilanz keine gegenläufigen Effekteauf. Sowohl die Zahlungsbemessungsfunktion (der Fiskalzweck) als auch die Informationsfunktion können nur erfüllt werden, wenn die Bilanzierung und die Bewertung auf Daten beruhen, die sich vom Adressaten nachvollziehen lassen und die frei von Willkür sind.
9
(3) Verhältnis zwischen den Lenkungsaufgaben und der Zahlungsbemessungsfunktion sowie der Informationsfunktion: Bei den über die steuerliche Gewinnermittlung verfolgten Lenkungsaufgabenliegt sowohl gegenüberder Zahlungsbemessungsfunktionder Steuerbilanz als auchgegenüber ihrer Informationsaufgabeoffensichtlich ein Zielkonfliktvor. Durch Vorschriften, die auf dem Lenkungszweck beruhen, wird der mit Hilfe einer Steuerbilanz ermittelte Gewinn bewusst so modifiziert, dass bei den Steuerpflichtigen die gewünschte Verhaltensänderung erreicht wird. Damit werden aber nicht nur die für die Ertragsteuern herangezogenen Bemessungsgrundlagen – bezogen auf den Fiskalzweck – verfälscht, sondern auch die aus der Steuerbilanz ableitbaren Aussagen über die wirtschaftliche Lage des Gewerbebetriebs.
Der zwischen dem Fiskalzweck (der Zahlungsbemessungsfunktion) und den Lenkungsaufgaben bestehende Zielkonflikt tritt nicht nur in der Steuerbilanz auf, sondern auch bei anderen Einkunftsarten sowie bei anderen Steuerarten. Obwohl das Nebeneinander von Fiskalzweck und Lenkungsaufgabeneine der Hauptursachen für die Komplexität unseres Steuersystemsist, besteht Skepsis, ob dieser Zielkonflikt in absehbarer Zeit aufgelöst wird. Bestrebungen, die Vorschriften zur Ermittlung der steuerlichen Bemessungsgrundlagen um Ausnahmevorschriften zu bereinigen, scheiterten bislang häufig daran, dass aus wirtschafts- oder sozialpolitischen Gründen für bestimmte Personen oder ausgewählte Tätigkeiten Ausnahmen gefordert und im Gesetzgebungsverfahren durchgesetzt wurden. Solange zwischen den Steuerpflichtigen und deren Interessensvertretern kein Konsens über eine allgemein verbindliche Leitlinie der Besteuerung besteht, die ohne Ausnahme für alle Steuerpflichtigen anzuwenden ist, wird der häufig beklagte Konflikt zwischen dem Fiskalzweck der Besteuerung und dem Ziel, über steuerliche Regelungen lenkend auf das Verhalten von Steuerpflichtigen einzuwirken, bestehen bleiben. Da die mit dem Lenkungszweck begründeten Beeinflussungen der ertragsteuerlichen Bemessungsgrundlagen häufig dazu führen, dass die Höhe der Ertragsteuern davon abhängt, ob die Voraussetzungen der einzelnen (Sonder-)Vorschriften erfüllt sind, werden die Einkommen- bzw Körperschaftsteuer sowie die Gewerbesteuer nicht nur von dem am Markt erzielten Einkommen beeinflusst, sondern auch davon, in welcher Weise das Handeln des jeweiligen Steuerpflichtigen mit den wirtschafts- und sozialpolitischen Zielen des Gesetzgebers übereinstimmt. Es ist offensichtlich, dass Lenkungsnormen dazu führen, dass gleiches Markteinkommen nicht in jedem Fall gleich besteuert wird. Ob ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung vorliegt, muss jedoch offen bleiben, weil eine ungleiche Besteuerung – zumindest im Sinne der Verfassung – zulässig ist, sofern für die Differenzierung sachliche Gründe angeführt werden können. Die Diskussion um Lenkungsnormen wird deshalb so heftig geführt, weil über die Berechtigung oder sogar Notwendigkeit einer differenzierten Besteuerung unterschiedliche Auffassungen vertreten werden.
10
Aus betriebswirtschaftlicher Sicht hat der Konflikt zwischen dem Fiskalzweck und den Lenkungsaufgaben Einfluss auf das Merkmal einer entscheidungsneutralen Besteuerung. Die Besteuerung gilt dann als entscheidungsneutral, wenn es durch die Besteuerung nicht zu einer Änderung der Vorteilhaftigkeitsreihenfolge von Handlungsalternativen kommt (Rangfolgeninvarianz):[1] Entscheidet sich der Steuerpflichtige ohne Berücksichtigung der steuerlichen Effekte für eine bestimmte Handlungsalternative (zB die Investition A), ist die Besteuerung dann entscheidungsneutral, wenn er unter Beachtung der Steuerwirkungen dieselbe Handlungsalternative auswählt. Fällt seine Entscheidung unter Einbezug der Besteuerung anders aus als ohne Berücksichtigung der steuerlichen Auswirkungen (beispielsweise zugunsten der Investition B), wird das Ziel der Entscheidungsneutralität der Besteuerung verletzt. Ein entscheidungsneutrales Steuersystem hat zum einen den Vorteil, dass es mit dem(steuerrechtlichen) Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung vereinbarist. Zum anderen wird dadurch auch der Fiskalzweckder Besteuerung nicht verletzt. In einem entscheidungsneutralen Steuersystem wählt ein Steuerpflichtiger die Handlungsalternative, die gemessen an seinen nichtsteuerlichen Zielen vorteilhaft ist. Dass die im Steuerrecht enthaltenen Lenkungsnormeneinen Verstoß gegendie Entscheidungsneutralitätder Besteuerung darstellen, ist leicht zu begründen: Eine Besteuerungsnorm muss aneutral wirken, wenn sie beabsichtigt, den Steuerpflichtigen zu einer Entscheidung zu veranlassen, die er ohne Berücksichtigung der steuerlichen Effekte nicht getroffen hätte.[2] Die Beurteilung dieses Zielkonflikts hängt von dem subjektiven Werturteil ab, in welchen Fällen und in welchem Umfang akzeptiert oder gefordert wird, dass über die Besteuerung der unternehmerische Entscheidungsprozess beeinflusst werden darf.
[1]
Vgl Schneider, Investition, Finanzierung und Besteuerung, 7. Aufl., Wiesbaden 1992, S. 173; Schneider, Steuerlast und Steuerwirkung, München/Wien 2002, S. 24–30, S. 79–88; Wagner, StuW 2005, S. 97.
[2]
Vgl Wagner, FA 1986, S. 32; Wagner, DB 1991, S. 5.
Erster Teil Steuerliche Gewinnermittlung› Erster Abschnitt Konzeption der Steuerbilanz› B. Methoden der Gewinnermittlung bei Einkünften aus Gewerbebetrieb
B. Methoden der Gewinnermittlung bei Einkünften aus Gewerbebetrieb
11
Im ersten Schritt wird das Konzept der Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich nach § 5 EStG vorgestellt. Die Gewinnermittlung durch eine Steuerbilanz setzt voraus, dass eine steuerliche Buchführungspflicht besteht. Im zweiten Schritt werden die Grundzüge der weiteren, bei Gewerbetreibenden möglichen Gewinnermittlungsmethoden (Einnahmen-Ausgabenrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG, Gewinnermittlung bei Handelsschiffen im internationalen Verkehr nach § 5a EStG sowie Schätzung des Gewinns nach § 162 AO) beschrieben.[1] Aufgrund des Prinzips der Abschnittsbesteuerung ist im dritten Schritt der Zeitraum festzulegen, für den die Gewinnermittlung durchzuführen ist (§ 4a EStG).
[1]
Zu den bei den anderen Einkunftsarten geltenden Einkunftsermittlungsmethoden und deren Anwendungsbereich siehe Band I, Rn. 162 ff.
I. Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich nach § 5 EStG (Steuerbilanz)
1. Anwendungsbereich der Steuerbilanz: steuerliche Buchführungspflicht
12
Einkünfte aus Gewerbebetrieb sind im Regelfall durch einen Betriebsvermögensvergleich nach § 5 EStGzu ermitteln. Diese Gewinnermittlungsmethode baut auf der Finanzbuchhaltung auf. Sie ist bei Gewerbetreibenden in folgenden Fällenanzuwenden:
– Derivative steuerliche Buchführungspflicht. Wer nach handelsrechtlichen Vorschriften verpflichtet ist, Bücher zu führen, hat diese Verpflichtung auch für die Besteuerung zu erfüllen (§ 140 AO). Nach § 238 HGB ist buchführungspflichtig, wer Kaufmann ist. Einzelunternehmen und Personengesellschaften (OHG, KG) sind Kaufmann, wenn sie ein Handelsgewerbe betreiben, dh wenn sie einen Gewerbebetrieb unterhalten, und wenn der Umfang der Aktivitäten so umfangreich ist, dass ein in kaufmännischer Weise eingerichteter Geschäftsbetrieb erforderlich ist (§ 1 – § 6, § 238 HGB). Kapitalgesellschaften sind aufgrund ihrer Rechtsform generell Kaufmann. Damit sind GmbH, UG, AG, SE und KGaA unabhängig von der Art ihrer Geschäftstätigkeit handels- und steuerrechtlich buchführungspflichtig (§ 13 Abs. 3 GmbHG, § 3 Abs. 1 AktG iVm § 6 Abs. 1 HGB).
Читать дальше