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Die Erhebung von Steuern beschränkt sich nicht auf den Finanzzweck, vielmehr dienen die steuerlichen Regelungen in vielfältiger Form auch außersteuerlichen Zwecken. Über die Gestaltung des Steuersystems sollen Impulse für die Bevölkerungs–, Ausbildungs–, Umwelt–, Wohnungsbau–, Wirtschafts- und Verkehrspolitik sowie die Vermögens–, Arbeitsmarkt–, Investitions- und Sozialpolitik gegeben werden. Diese wirtschafts- und sozialpolitischen Zielelassen sich danach unterteilen, ob eine Änderung der Einkommens- oder Vermögensverteilung (Umverteilungszweck) oder eine Beeinflussung des Verhaltens der Steuerpflichtigen (Lenkungszweck) angestrebt wird.[1] Für die Steuerbilanz ist der Umverteilungszweck weniger bedeutsam. Der progressive Verlauf des Einkommensteuertarifs zeigt deutlich, dass bei den Ertragsteuern die Zielsetzung der Umverteilung des von den Steuerpflichtigen am Markt erzielten Einkommens insbesondere über die Ausgestaltung des Steuertarifs umgesetzt wird. Der Lenkungszweckwirkt sich bei der Ermittlung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb an zahlreichen Stellen aus. Die Art und Weise der aufwandswirksamen Verteilung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts durch Abschreibungen (neben den verschiedenen Formen der planmäßigen Abschreibung insbesondere Sonderabschreibungen und erhöhte Absetzungen), die Möglichkeit zur Verrechnung von Bewertungsabschlägen und zur Bildung von steuerfreien Rücklagen, der Investitionsabzugsbetrag, die Steuerbefreiung von einzelnen Betriebseinnahmen (zB Investitionszulagen) sowie die Nichtabziehbarkeit von bestimmten Betriebsausgaben werden häufig mit Argumenten begründet, die außerhalb des Fiskalzwecks der Besteuerung liegen.
[1]
Aus steuerrechtlicher Sicht werden Regelungen, die dem Umverteilungs- oder Lenkungszweck dienen, unter den Begriff Sozialzwecknormen subsumiert. Siehe hierzu grundlegend Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl., Köln 2018, S. 72–73, S. 97–111.
III. Dokumentations- und Informationsfunktion
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Der Steuerbilanz kommt nicht nur die Aufgabe zu, den Gewinn aus der gewerblichen Betätigung zu ermitteln, vielmehr besitzt sie auch Dokumentations- und Informationsaufgaben. Diese lassen sich vereinfachend in drei Gruppeneinteilen:
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Dokumentation.Die Steuerbilanz ist ein Mittel, mit dem der Steuerpflichtige nachweisen kann, dass er seine mit der steuerlichen Veranlagung zusammenhängenden verfahrensrechtlichen Verpflichtungen erfüllt hat. |
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Externe Information.Zur Information über die wirtschaftliche Lage eines Unternehmens wird von Außenstehenden insbesondere bei kleineren Unternehmen (zB im Rahmen von Kreditwürdigkeitsprüfungen oder Verhandlungen im Zusammenhang mit dem Verkauf des Unternehmens) häufig nicht die Handelsbilanz angefordert, sondern die Vorlage der Steuerbilanz gewünscht. |
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Interne Information.Die steuerliche Rechnungslegung ermöglicht dem Steuerpflichtigen betriebswirtschaftliche Auswertungen, auf deren Grundlage er sich selbst über die wirtschaftliche Lage seines Unternehmens informieren kann. |
IV. Beziehungen zwischen den Zwecken der Steuerbilanz
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(1) Verhältnis zwischen der Zahlungsbemessungsfunktion und der Informationsfunktion: Wird das Markteinkommen mit Hilfe einer Steuerbilanz ermittelt (Zahlungsbemessungsfunktion der Steuerbilanz), treten zwischendem Fiskalzweckder Ertragsteuern undder Informationsfunktionder Steuerbilanz Zielkonflikteauf. Nach der Zahlungsbemessungsfunktion ist auf das in der abgelaufenen Periode erzielte Einkommen abzustellen, während nach der Informationsfunktion das Einkommen von Interesse ist, das von dem Unternehmen in der Zukunft voraussichtlich erwirtschaftet werden kann. Dieser konzeptionelle Unterschied führt dazu, dass bezogen auf den Fiskalzweck (Zahlungsbemessungsfunktion) dem Vorsichtsprinzip eine große Bedeutung beizumessen ist. Dies bedeutet, dass Gewinne erst dann ausgewiesen werden dürfen, wenn die Vermögensmehrung nahezu sicher eingetreten ist (Reinvermögenszugang). Im Gegensatz hierzu ist aus Sicht der Informationsfunktion anzustreben, dass die in der Bilanz ausgewiesenen Werte so weit wie möglich mit dem „tatsächlichen“ Wert (beizulegender Zeitwert, Fair Value) übereinstimmen. Um die Informationsfunktion zu erfüllen, sind die aktuellen Tageswerte auch dann heranzuziehen, wenn die Erhöhung des Werts eines Wirtschaftsguts am Markt noch nicht bestätigt wurde (Reinvermögenszuwachs). Dieser Zielkonflikt führt dazu, dass im Zusammenhang mit der Zahlungsbemessungsfunktion die Gewinnermittlung auf der Grundlage von möglichst verlässlichen Daten zu erfolgen hat, während bei der Informationsfunktion die Werte so nah wie möglich an dem „tatsächlichen“ Betrag liegen sollen. Je stärker die Informationsfunktion betont wird, umso mehr wird die Zahlungsbemessungsfunktion eingeschränkt bzw umgekehrt, je mehr die Zahlungsbemessungsfunktion beachtet wird, umso stärker tritt die Informationsfunktion zurück. In den letzten Jahren ist verstärkt eine Tendenz festzustellen, dass die Informationsfunktion durch die handelsrechtliche Rechnungslegung erfüllt werden soll. Dabei kommt den internationalen Rechnungslegungsgrundsätzen (insbesondere IFRS und US-GAAP) eine hohe Bedeutung zu. Dies bedeutet, dass für Informationszwecke die Steuerbilanz immer weniger herangezogen wird, sodass im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlungder Zahlungsbemessungsfunktion der Steuerbilanz(Fiskalzweck) gegenüber der Informationsfunktion Vorrang eingeräumt werden kann.
Da die Besteuerung in die Rechte des Steuerpflichtigen eingreift, darf die Erhebung von Steuern nur auf der Grundlage von Gesetzen erfolgen ( Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung, § 38 AO). Der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung ergibt sich aus der Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und der Bindung der vollziehenden Gewalt (zB Finanzverwaltung) und der Rechtsprechung (einschließlich Finanzrechtsprechung) an Gesetze und das Recht (Art. 20 Abs. 3 GG). Des Weiteren müssen Gesetzesvorschriften, die eine Steuerpflicht begründen, nach Inhalt, Gegenstand, Zweck und Ausmaß so konkret gefasst sein, dass für den Steuerpflichtigen die Höhe der von ihm geschuldeten Steuern vorhersehbar und berechenbar ist (Tatbestandsbestimmtheit). Die zum Begriff „Rechtssicherheit“zusammengefassten Anforderungen an die Tatbestandsmäßigkeit und die Tatbestandsbestimmtheit sind für die steuerliche Gewinnermittlung von besonderer Bedeutung, da die Konkretisierung des Werts eines Wirtschaftsguts häufig erhebliche praktische Schwierigkeiten bereitet und das Steuerbilanzrecht zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe enthält. Der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit und Tatbestandsbestimmtheit führt dazu, dass im Steuerrecht an die Nachprüfbarkeit der verwendeten Rechengrößen relativ hohe Anforderungen zu stellen sind. Für die steuerliche Gewinnermittlung ist deshalb der Objektivierungsgedanke sehr bedeutsam. Die Berücksichtigung des Grundsatzes der Rechtssicherheit hat zur Konsequenz, dass sich die Bedeutung der Zahlungsbemessungsfunktion der steuerlichen Gewinnermittlung erhöht und damit gleichzeitig die Informationsfunktion der Steuerbilanz weiter zurückgedrängt wird. Die auf den allgemeinen Besteuerungsprinzipien beruhende Forderung nach einer objektivierten Gewinnermittlung verstärkt den Zielkonfliktzwischen der Zahlungsbemessungsfunktion der Steuerbilanz und deren Informationsfunktion.
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