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Die Problematik soll anhand der Vereinsstrafeanschaulich werden. Die Vereinsstrafe hat nach Sinn und Rechtsgrundlage mit der staatlichen Strafe nichts zu tun. Sie bildet eine Disziplinarmaßnahme gegen Mitglieder, welche die Vereinssatzung verletzt oder sonst gegen die Interessen des Vereins gehandelt haben. Die Möglichkeit einer solchen Disziplinarmaßnahme ist in der Satzung oder in besonderen Vereinsordnungen geregelt. Als „Strafen“ kommen einschneidende Nachteile bis hin zur „Geldstrafe“ und zum Ausschluss aus dem Verein in Betracht.
Als einseitige Bestimmung der Rechtslage einer Person durch eine andere können derartige Maßnahmen nur rechtsgültig vorgenommen werden, wenn sich der Betroffene der Disziplinargewaltdurch freiwillige Erklärung vorher oder nachher unterworfenhat. Die Disziplinargewalt der Vereine beruht folglich auf der Ermächtigung durch die Mitglieder. Üblicherweise erklärt das Vereinsmitglied diese Unterwerfung unter die Disziplinargewalt durch den Eintritt in den Verein. Der Beitritt drückt implizit den Willen aus, an die Satzung gebunden zu sein. Bei der Neugründung eines Vereins liegt die Unterwerfung in dem Vertragsschluss, mit dem die Gründungsmitglieder die Satzung als verbindliche Ordnung akzeptieren.
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In diesem Zusammenhang ergeben sich schwierige Probleme. Gewöhnlich kennt jemand, der einem Verein beitritt, zwar die Ziele des Vereins, nicht aber die Einzelheiten der Satzung. Er rechnet zwar mehr oder minder bewusst damit, dass die Satzung dem Vorstand bestimmte einseitige Befugnisse einräumt. Insofern kann man sagen, dass sich Mitglied durch seinen Beitritt der Satzung unterwirft – er könnte sie ja, wenn er nur wollte, vorher lesen. Aber soll dem Mitglied jede, für seine Rechtsstellung noch so ungünstige Satzungsbestimmung als „gewollt“ zugerechnet werden? Auch dann, wenn er mit einer Satzungsbestimmung dieser Art nicht zu rechnen brauchte? Kann man Vereinsregelungen als vom einzelnen Mitglied „gewollt“ ansehen, die sich erst aus dem Zusammenspiel von überörtlichen Verbandsreglements ergeben? Kann man von freiwilliger Unterwerfung sprechen, wenn dem Beitretenden, will er seine Interessen zB als Teilnehmer an Tennisturnieren verfolgen, gar nichts anderes übrig bleibt, als einem verbandszugehörigen Verein beizutreten und das Satzungsreglement in Kauf zu nehmen?
Die Probleme ähneln denen, die bei Unterwerfung unter die Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Vertragspartners entstehen, siehe des näheren Rn 781 ff. Freilich soll nach hM die spezielle Kontrolle der Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach §§ 305 ff auf dem Gebiet des Vereinsrechts keine Anwendung finden (BGHZ 128, 93; anders, wenn in Verträgen zwischen dem Verein und Dritten, die dem Verein nicht angehören, vereinbart wird, dass für das Verhältnis zwischen den Vertragschließenden die Vereinssatzung maßgeblich sein soll). Zur Begründung für die Nichtanwendung der §§ 305 ff auf Vereinssatzungen wird ins Feld geführt, dass gemäß § 310 IV 1 der Abschnitt über die AGB auf dem Gebiet des „Gesellschaftsrechts“ keine Anwendung findet.
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Auch wenn man in der Unterwerfungserklärung des Mitglieds einen zureichenden Grund für die Rechtswirksamkeit der Vereinsstrafe sieht, erhebt sich das Problem der richterlichen Kontrolleüber die Ausübung der Disziplinargewalt.
Beispiel:
Ein Tennisspieler, obwohl von seinem Verein für ein Turnier benannt, erscheint zur angegebenen Zeit nicht an der Wettkampfstätte. Er wird vom hierfür zuständigen Vorstand aus dem Verein ausgeschlossen, der die Entschuldigung, er sei plötzlich erkrankt, nicht anerkennt. Dagegen erhebt der Ausgeschlossene vor dem zuständigen Zivilgericht Klage auf Feststellung, dass der Ausschluss unwirksam sei. Was kann das Gericht überprüfen?
Ein Blick auf die Rechtsprechung zeigt, dass sich die staatliche Gerichtsbarkeit zu Gunsten der Vereinsautonomie stark zurückhält. Weder soll das Gericht prüfen dürfen, ob sich der Sachverhalt, mit dem die „Strafe“ gerechtfertigt wird, wirklich zugetragen hat, noch soll es in der Regel prüfen dürfen, ob der festgestellte Sachverhalt die Voraussetzungen der vereinseigenen „Strafdrohung“ im Einzelnen erfüllt, sofern nur die Strafmaßnahme überhaupt in der Satzung „eine Stütze findet“ – es gibt also eine Art „Subsumtionshoheit“ der zuständigen Vereinsorgane. Freilich lässt sich eine Tendenz zur Stärkung des Individualschutzes gegenüber der Vereinsgewalt feststellen:
a) Nach herkömmlicher Formulierung kann das staatliche Gericht nachprüfen „ob die verhängte Maßnahme eine Stütze im Gesetz oder in der Satzung hat, ob das satzungsmäßig vorgeschriebene Verfahren beachtet ist, sonst keine Gesetzes- oder Satzungsverstöße vorgekommen sind und ob die Maßnahme nicht grob unbillig oder willkürlich ist“ (BGHZ 87, 337, 343).
b) Darüber hinaus dürfen die staatlichen Gerichte überprüfen, ob die der Maßnahme zu Grunde gelegten Tatsachen „bei objektiver und an rechtsstaatlichen Grundsätzen ausgerichteter Tatsachenermittlung zutreffend festgestellt worden sind“ (BGHZ 87, 337, 345; BGH NJW 1994, 2610; NJW 1997, 3368).
c) Das Verfahren, in dem die Vereinsstrafe verhängt wird, muss bestimmte rechtsstaatliche Mindeststandards erfüllen (zB Gewährung rechtlichen Gehörs, BGHZ 29, 352, 354).
d) Eine weitergehende Kontrolle durch die staatlichen Gerichte soll bei Vereinigungen stattfinden, die eine Monopolstellung oder eine überragende wirtschaftliche oder soziale Machtstellung innehaben (dazu BGHZ 93, 151, 154; l01, 193, 200).
Literatur:
K. Schmidt , Systemfragen des Vereinsrechts, ZHR 147 (1983), 43; B. Grunewald , Der Ausschluss aus Gesellschaft und Verein, 1987; F. Van Look , Vereinsstrafen als Vertragsstrafen, 1990; D. Reuter , NJW 1987, 2401; W. Hadding/F. Van Look , ZGR 1988, 270; M. Schockenhoff , Der Grundsatz der Vereinsautonomie, AcP 193, 36; M. Benecke , Der Ausschluss aus dem Verein, WM 2000, 1173.
Teil III Struktur und Verwirklichung von Pflichten und Rechten
Teil III Struktur und Verwirklichung von Pflichten und Rechten
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1 Das subjektive Recht
Kapitel 2 Die Pflicht und ihr Verhältnis zum subjektiven Recht
Kapitel 3 Absolute und relative Rechte
Kapitel 4 Das Gestaltungsrecht
Kapitel 5 Der Anspruch (die Forderung)
Kapitel 6 Die Schranken der Rechtsausübung
Teil III Struktur und Verwirklichung von Pflichten und Rechten› Kapitel 1 Das subjektive Recht
Kapitel 1 Das subjektive Recht
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Recht und Pflicht sind die wesentlichen Instrumente, mit deren Hilfe das Zivilrecht die rechtliche Stellung der Personen zueinander gestaltet.
Unter Rechtverstehen wir in diesem Zusammenhang die Berechtigung einer Person, anderen gegenüber etwas tun, bewirken, verlangen, bestimmen zu können oder zu dürfen ( subjektives Recht, zB: „Ich habe das Recht, dir zu kündigen“). Demgegenüber kann der Begriff „Recht“ auch die Rechtsordnung selbst oder einen Teil davon bezeichnen; wir sprechen dann von objektivem Recht(zB: „Nach Zivilrecht ist der Vertrag nichtig“).
Um die Deutung des subjektiven Rechtswird seit langem wissenschaftlicher Streit geführt. Die Rechtslehre des 19. Jh. begriff das subjektive Recht überwiegend als eine „von der Rechtsordnung verliehene Willensmacht oder Willensherrschaft“ (Windscheid) . Demgegenüber deutete Jhering die im subjektiven Recht gegebene Willensmacht nur als Mittel zum eigentlichen Zwecke des subjektiven Rechts, nämlich „dass es dem Menschen irgendeinen Vorteil gewähre, seine Bedürfnisse befriedige, seine Interessen, Zwecke fördere“. Er definierte das subjektive Recht demzufolge als rechtlich geschütztes Interesse. Gängige Definitionen erkennen heute beide Betrachtungsweisen an und vereinigen sie in ein und derselben Formel.
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