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Soweit die Sanktionierung abhängig ist von erlassenen Verwaltungsakten (vollziehbare Auflagen, vollziehbare Untersagungen), versteht es sich von selbst, dass der Unrechtstypus durch den Verstoß gegen die behördliche Anordnung geprägt wird.[55]
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Schwierigkeiten bereitet die Abgrenzung zwischen Tatbestands- und Rechtfertigungselementen bei dem Merkmal „ohne Genehmigung“ bzw. „ohne Erlaubnis“: Es stellt sich die Frage, ob und wann es sich um ein negatives Tatbestandsmerkmal oder einen (fehlenden) Rechtfertigungsgrund handelt. Die gleiche Frage stellt sich bei Tatbeständen wie den §§ 324, 326 StGB, die ein „unbefugtes“ Handeln voraussetzen, das im Falle einer behördlichen Genehmigung/Erlaubnis ausgeschlossen ist. Diesbezüglich setzt sich zunehmend auch in der Rechtsprechung die Ansicht durch, die auf den Sinn und Zweck des Genehmigungsvorbehalts abstellt und daran anknüpft, ob es sich um ein präventives oder ein repressives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt handelt. Die Erlaubnis ist Tatbestandsmerkmal, wenn das Verhalten von der allgemeinen Handlungsfreiheit – da sozialadäquat, wertneutral oder nicht unerwünscht – an sich gedeckt wird und die Erlaubnis nur den Zweck hat, eine Kontrolle über potentielle Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu ermöglichen (präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt). In diesen Fällen bezieht der Tatbestand seinen Unwertgehalt zumindest auch aus dem Handeln ohne Genehmigung. Demgegenüber stellt die behördliche Erlaubnis einen Rechtfertigungsgrund dar, wenn der Tatbestand unabhängig vom Genehmigungsmerkmal einen ausreichenden Unrechtssachverhalt umschreibt, im Einzelfall aber das Verbot aufgrund einer Interessenabwägung aufgehoben werden kann (repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt).[56] Danach hat die Genehmigung in den §§ 324, 326 StGB rechtfertigenden Charakter, während sie in § 327 StGB und in den Umweltstraftatbeständen mit dem Merkmal der Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten den Tatbestand ausschließt. Die Genehmigungsvorbehalte bei Bankgeschäften (§ 54 Abs. 1 Nr. 2 KWG),[57] im Bereich der Personenbeförderung (§ 61 Abs. 1 Nr. 1 PBefG) und grundsätzlich auch im Außenwirtschaftsrecht[58] haben Tatbestandscharakter. Soweit allerdings im Außenwirtschaftsrecht Verbote mit wirtschaftlichem Sanktionscharakter bestehen, haben Genehmigungsvorbehalte (§§ 17 Abs. 1, 18 Abs. 1 Nr. 2 AWG) rechtfertigende Wirkung.[59] Zumindest teilweise in Grenzbereiche gelangt man bei den Erlaubnisvorbehalten des Waffengesetzes (§ 52 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2-4 WaffG).[60]
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Bei dem in zahlreichen gesetzlichen Straftatbeständen enthaltenen und schon angesprochenen Merkmal „unbefugt“ kann es sich wie in den §§ 324 Abs. 1, 326 Abs. 1 StGB um ein allgemeines Rechtswidrigkeitsmerkmal handeln. Das Merkmal kann aber auch ein objektives Tatbestandsmerkmal sein, wenn der Tatbestand ohne dieses Merkmal kein ausreichendes Unrecht verkörpert. Dies hängt von der Auslegung des jeweiligen Straftatbestandes ab. Als Tatbestandsmerkmal wird das „unbefugt“ in § 263a Abs. 1 3. und 4. Var. sowie in § 303 Abs. 2 StGB angesehen.[61]
IV. Normative Tatbestandsmerkmale und objektive Tatbestandsmerkmale in Blanketttatbeständen
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Die Überschrift führt zu Abgrenzungsfragen zwischen normativen Tatbestandsmerkmalen und Verbots- bzw. Blankettmerkmalen und zu der Diskussion, inwieweit bei Blanketttatbeständen auch der Verweis auf die Ausfüllungsnorm und damit die Existenz des Verbots bzw. Gebots zu den objektiven Tatbestandsmerkmalen zählen. Die Auseinandersetzung ist deshalb so intensiv, weil sie mit Irrtumsfragen und der Abgrenzung zwischen Tatbestands- und Verbotsirrtum verknüpft ist. Irrtumsprobleme sind in diesem Abschnitt nicht zu erörtern, aber es ist nicht zu übersehen, dass die vorrangige Frage nach dem Tatbestandscharakter Einfluss auf die Irrtumsdiskussion hat. Allerdings wird auch diese Aussage in Frage gestellt. So ordnet Cornelius in seiner Schrift zur verweisungsbedingten Akzessorietät bei Straftatbeständen die Verweisungsmerkmale als Tatbestandsmerkmale ein, lässt aber offen, ob dies auch für den Irrtumsbereich Gültigkeit hat.[62]
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Als klassische normative Tatbestandsmerkmale gelten die Merkmale „fremd“ und „rechtswidrig“ der §§ 242, 246, 249 StGB, Tatbestandsmerkmale, die durch die Zivilrechtsordnung „ausgefüllt“ werden. Von daher läge es durchaus nahe, auch bei weiteren Strafvorschriften, die auf Zuwiderhandlungen gegen andere Gesetze verweisen, von einem normativen Tatbestandsmerkmal auszugehen.[63] Wenden wir uns unter diesem Blickwinkel der Auslegung einer konkreten Vorschrift zu und greifen § 283 Abs. 1 Nr. 7b StGB (übereinstimmend § 283b Abs. 1 Nr. 3b StGB) auf. Nach einer ersten Ansicht spricht für die Einstufung der Elemente „entgegen dem Handelsrecht“ und „in der vorgeschriebenen Zeit“ als Tatbestandsmerkmale schon die Aufnahme in den gesetzlichen Straftatbestand, auch wenn die Merkmale durch die handelsrechtlichen Normen noch weiter ausgefüllt werden müssen.[64] Demgegenüber „eliminiert“[65] die oft noch als h.M. bezeichnete Ansicht diese Elemente, indem sie in ihnen Blankettmerkmale sieht, die im Wege des so genannten „Zusammenlesens“ durch die Normen des Handelsrechts ausgefüllt – genauer: ersetzt – werden, so dass sich etwa folgender Straftatbestand ergibt (vgl. § 264 HGB): „Wer … es unterlässt, die Bilanz seines Vermögens … innerhalb der ersten sechs Monate des (folgenden) Geschäftsjahres aufzustellen.“[66] In der Literatur ist inzwischen eine dritte Ansicht sehr verbreitet, die aus der Irrtumsperspektive die Abgrenzung zwischen Blankett- und normativen Tatbestandsmerkmalen für zweitrangig hält, sondern für entscheidend erachtet, was den Unrechtstyp und den sozialen Bedeutungsgehalt des Tatbestandes ausmacht, und darin den maßgeblichen Bezugspunkt für den Vorsatz sieht. Im Lichte dieser Lehrmeinung wird sich oft zeigen, dass bloßes Tatsachenwissen nicht ausreicht, um vorsätzliches Handeln bejahen zu können, hierfür vielmehr auch das Wissen um das Verbot bzw. Gebot erforderlich ist.[67] Namentlich Tiedemann [68] und Roxin [69] sehen insoweit in der Existenz der ausfüllenden Norm ein normatives Tatbestandsmerkmal, eine Auffassung, die nach der Einschätzung von Roxin [70] „in neueren Arbeiten immer mehr Anhänger gefunden (hat) und … sich wahrscheinlich allgemein durchsetzen“ wird. Im Ganzen zeigt sich, dass die dritte Ansicht zumindest sehr nahe bei der ersten Ansicht liegt. Gleichermaßen nahe liegt es dann doch, den Gesetzgeber beim Wort zu nehmen und jedenfalls und auch dann, wenn er in den Verweisungstatbestand das Ver- oder Gebot ansprechende Merkmale wie „entgegen“ oder „zuwiderhandelt“ aufnimmt, darin konsequent normative Tatbestandsmerkmale zu sehen, die das Ver- bzw. Gebot zu einem Tatbestandsmerkmal machen.
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Daran anknüpfend wird man weiter sagen können, dass immer dann, wenn der Straftatbestand auf rechtliche Verhältnisse Bezug nimmt, das Rechtsverhältnis und insoweit der Rechtsverstoß normative Tatbestandsmerkmale sind.[71] Daher dürfen in § 292 Abs. 1 Nr. 2 StGB die Merkmale „unter Verletzung fremden Jagdrechts“ und „Sache, die dem Jagdrecht unterliegt“ nicht im Sinne des Zusammenlesens zu einem Straftatbestand der Art: „Wer auf einem fremden Grundstück eine Abwurfstange findet und sich zueignet, wird … bestraft“ (vgl. § 1 Abs. 1, 5; § 3 Abs. 1 BJagdG) umgeformt werden. Entsprechendes gilt für die in § 289 StGB aufgeführten Rechte. In diesem Zusammenhang ferner bemerkenswert ist § 3a Abs. 4 S. 2 Nr. 1 UStG, der als steuerrechtlich und daher auch steuerstrafrechtlich (§ 370 Abs. 1 AO) relevante „sonstige Leistungen“ die Einräumung, Übertragung und Wahrnehmung von „Patenten, Urheberrechten, Markenrechten und ähnlichen Rechten“ einstuft. Der BGH spricht insoweit von normativen Tatbestandsmerkmalen.[72] Von diesem Blickwinkel aus lässt sich § 106 UrhG wie folgt lesen: „Wer das Urheberrecht eines anderen verletzt, wird … bestraft“.[73] § 143a Abs. 1 MarkenG knüpft ausdrücklich („Wer die Rechte des Inhabers einer Gemeinschaftsmarke … verletzt“) an den Rechtsverstoß an und in § 144 Abs. 1 MarkenG geschieht dies mit dem Wort „entgegen“. In § 142 PatG wird auf das Erfordernis der Patentverletzung durch Bezugnahme auf die Tathandlungen des § 9 PatG Bezug genommen.[74]
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