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Eine übliche Reaktion auf Bestimmtheitsprobleme mit vom Gesetzgeber gewählten objektiven Tatbestandsmerkmalen ist die Forderung nach restriktiver Auslegung, die auch das BVerfG anmahnt.[34] Im angesprochenen Bereich der Untreue geht es insoweit insbesondere um zwei Kriterien: Erstens wird bei zivilrechtsakzessorischen Pflichtverletzungen das Erfordernis einer „gravierenden“ oder „evidenten“ Pflichtverletzung diskutiert.[35] Zweitens leitet der BGH aus dem Schutzzweck des § 266 StGB ab, dass nur solche (auch strafbewehrte) Verstöße gegen die Rechtsordnung untreuerelevant sind, die zumindest mittelbar auch das zu betreuende Vermögen schützen.[36]
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Weiter hat Saliger auf ein Strukturproblem der Untreue aufmerksam gemacht, das vor allem mit dem herausragenden Stellenwert und dem Verständnis der Tatbestandsmerkmale Tathandlung (Pflichtverletzung) und Taterfolg (Vermögensnachteil) zusammenhängt. Es ist die Gefahr der Verschleifung bzw. Verschmelzung von Tathandlung und Taterfolg. Diese Verschleifung tritt auf als Rückschluss vom Taterfolg auf die Tathandlung und umgekehrt als Schluss von der Tathandlung auf den Taterfolg.[37] Diesen Gedanken hat auch das BVerfG aufgegriffen und das Verschleifungsverbot dem Schutzbereich des Art. 103 Abs. 2 GG mit der Begründung unterstellt, beim Nachteilsmerkmal müsse „die Auslegung den gesetzgeberischen Willen beachten, dieses Merkmal als selbstständiges neben dem der Pflichtverletzung zu statuieren; sie darf daher dieses Tatbestandsmerkmal nicht mit dem Pflichtwidrigkeitsmerkmal verschleifen, d.h., es in diesem Merkmal aufgehen lassen“.[38]
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Bedeutung wie Trag- und Reichweite des Verschleifungsverbotes sind freilich ungeklärt und umstritten. Dies verdeutlicht der Telekom-Fall BGH NJW 2013, 401: Nachdem Geschäftsgeheimnisse der T-AG in der Presse erschienen sind, beauftragt der für die Konzernsicherheit zuständige leitende Angestellte K die N-GmbH mit im Lichte des § 206 Abs. 1 StGB strafbaren Ermittlungstätigkeiten. Nach der Durchführung des Auftrags veranlasst K die Bezahlung auch dieser von der N-GmbH in Rechnung gestellten Tätigkeiten. Der BGH begründet den Schaden damit, dass der Vertrag nichtig ist (§ 134 BGB) und die rechtsgrundlos geleistete Zahlung nicht durch das Erlöschen einer wirksamen Forderung kompensiert wird.[39] Was die Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht betrifft, knüpft der BGH nicht an die Norm des § 206 StGB an, weil diese keinen vermögensschützenden Charakter hat. Damit muss eine Strafbarkeit wegen Untreue aber nicht ausscheiden, wenn sich die Verletzung von anderen Pflichten feststellen lässt, die das Vermögen des Treugebers schützen sollen. Eine solche Pflichtverletzung sieht der BGH in der Begleichung einer nichtigen Forderung.[40] Insoweit wird angeknüpft an Pflichten, die sich unmittelbar aus dem Treueverhältnis ergeben.[41] Saliger widerspricht dem vehement und sieht ein „grandioses Missverständnis“.[42] Demgegenüber wird eingewandt, wenn man die Pflichtverletzung in der Anweisung der Zahlung ohne Rechtspflicht und den Vermögensnachteil in der kompensationslosen Minderung des Kontostandes sehe, würden beide Merkmale eigenständig begründet.[43]
III. Verwaltungsakzessorische Tatbestandsmerkmale
1. Begriffliche Verwaltungsaktsakzessorietät
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Von begrifflicher Verwaltungsakzessorietätspricht man, wenn Straftatbestände – vergleichbar mit den streng am Zivilrecht orientierten objektiven Tatbestandsmerkmalen[44] – Begriffe des Verwaltungsrechts übernehmen. Die charakteristischen Beispiele finden sich im Umweltstrafrecht. So sind die in § 330d Abs. 1 Nr. 1 bis 3 enthaltenen Legaldefinitionen des „Gewässers“, der „kerntechnischen Anlage“ und des „gefährlichen Gutes“ zumindest eng an die verwaltungsrechtlichen Regelwerke angelehnt.[45] Entsprechendes gilt für den Abfallbegriff des § 326 StGB, dessen Verständnis von § 3 KrWG geprägt wird. Abweichungen können sich aus den unterschiedlichen Schutzrichtungen von Straf- und Verwaltungsrecht ergeben. So gelten die Anwendungsbeschränkungen des § 2 Abs. 2 KrWG, die hauptsächlich vor dem Hintergrund öffentlichrechtlicher Spezialgesetze zu sehen sind, für § 326 StGB grundsätzlich nicht.[46]
2. Verwaltungsaktsakzessorietät
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Bei der Verwaltungsaktsakzessorietätist die Reichweite des Straftatbestandes von Einzelfallentscheidungen der Verwaltungsbehörden abhängig. Diese Akzessorietätsform ist im Gesetzeswortlaut besonders leicht zu erkennen, wenn die Strafbarkeit – wie mehrfach innerhalb des § 327 StGB – an ein Handeln „ohne Genehmigung“ oder „entgegen einer vollziehbaren Untersagung“ anknüpft (vgl. weiter etwa §§ 326 Abs. 1 Nr. 2, 328 Abs. 1, 329 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, Abs. 3 StGB). Entsprechendes gilt für die zahlreichen Umweltstraftatbestände, die das objektive Tatbestandsmerkmal „unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten“ enthalten (§§ 324a, 325, 325a, 326 Abs. 3, 328 Abs. 3, 329 Abs. 4 StGB), weil über dieses Merkmal ausweislich der Legaldefinition Rechtsvorschriften, die Genehmigungsvorbehalte aufstellen, sowie vollziehbare Verwaltungsakte und vollziehbare Auflagen einbezogen sind (§ 330d Abs. 1 Nr. 4a, c, d StGB).
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Außerhalb des Umweltstrafrechts findet man im Strafgesetzbuch kaum weitere Beispiele für verwaltungsaktsakzessorische Straftatbestände. Anders sieht dies im Nebenstrafrecht aus; beispielhaft seien die folgenden Strafvorschriften genannt: §§ 17 Abs. 1, 18 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 AWG; §§ 54 Abs. 1 Nr. 2, 54a Abs. 3 KWG; § 58 Abs. 1 Nr. 17, 18 LFGB; § 52 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2-4 WaffG. Desgleichen findet man im Ordnungswidrigkeitenrecht viele verwaltungsaktsakzessorische Bußgeldtatbestände. Erwähnt seien nur § 81 Abs. 2 Nr. 2 GWB, § 61 Abs. 1 Nr. 1, 4 PBefG sowie die Verkehrszeichen.[47]
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Die Abhängigkeit strafrechtlicher Sanktionen von Verwaltungsakten wirft Grundsatzfragen auf, die hier nicht näher zu diskutieren sind, aber immerhin angesprochen werden sollen. So stellt sich die Frage, ob in solchen Fällen gerade der Gesetzgeber die Strafbarkeit im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG in ausreichender Weise bestimmt. Im Ergebnis akzeptiert man weitgehend diese Gesetzgebungstechnik, soweit der Gesetzgeber die Voraussetzungen für den Erlass von konkretisierenden Verwaltungsakten durch ein förmliches Gesetz hinreichend bestimmt geregelt hat.[48] Bedenken knüpfen vor allem an etwaige verwaltungsrechtlich eingeräumte Ermessens- und Beurteilungsspielräume und unterschiedliche Entscheidungspraktiken der jeweils vor Ort zuständigen Umweltverwaltungsbehörden an.[49]
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Zum Teil umstritten ist, inwieweit auch Verstöße gegen fehlerhafte belastende Verwaltungsakte zu sanktionieren sind. Nach h.M. können auch Verstöße gegen sofort vollziehbare Verwaltungsakte (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) unabhängig von der materiellen Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts und dem späteren Ausgang ergriffener Rechtsbehelfe bestraft werden.[50] Diese Ansicht verdient keine Zustimmung, weil sie auf eine Ahndung von bloßem Verwaltungsungehorsam hinausläuft.[51] Die Ansicht der h.M. widerspricht auch gewissen Tendenzen in der Rechtsprechung des BVerfG.[52]
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Ferner stellt sich noch die Frage, inwieweit die erwähnten Einzelfallentscheidungen ausschließlich objektive Tatbestandsmerkmale darstellen oder auch Rechtfertigungsmerkmale sein können. Ausgangspunkt ist die Funktion des objektiven Tatbestandes als Unrechtstatbestand, alle Merkmale aufzunehmen, die den typischen Unrechtsgehalt der Straftat begründen.[53] Was das Merkmal „unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten“ betrifft, so wird es einvernehmlich, dem Willen des Gesetzgebers entsprechend, als objektives Tatbestandsmerkmal eingeordnet.[54] Dem ist nicht zu widersprechen. Immerhin sollte man sich die damit verbundenen Aussagen verdeutlichen. Mit Blick auf die drei Umweltmedien Wasser, Boden und Luft fällt ja auf, dass der Gesetzgeber Boden und Luft nicht in gleicher Weise wie Gewässer schützt, etwa in der Art: „Wer unbefugt ein Gewässer, den Boden oder die Luft verunreinigt, wird … bestraft.“ Vielmehr zeigen die zahlreichen, auch durch das Merkmal „unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten“ bedingten, Einschränkungen in den Tatbeständen der §§ 324a, 325 StGB, dass der Gesetzgeber das tatbestandsmäßige Unrecht der Boden- und Luftverunreinigung nicht schon allein in der Verunreinigung sieht, sondern weitere Unrechtsmerkmale für erforderlich erachtet. Diese Linie entspricht der historischen Tradition, wonach der Gewässerschutz eher absoluten Charakter hat, während Boden und Luft eher als frei verfügbar gelten. Indes hat sich unser Wissen über die ökologischen Funktionen von Boden und Luft, vom Gesetzgeber nicht unbemerkt, geändert. Ob und wann die Zeit für eine parallele Ausgestaltung der Tatbestände der Gewässer-, Boden- und Luftverunreinigung kommt, ist ungewiss.
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