8. Abschnitt: Unrechtsbegründung: Tatbestand› § 32 Geschriebene objektive Tatbestandsmerkmale› C. Standorte der geschriebenen objektiven Tatbestandsmerkmale
C. Standorte der geschriebenen objektiven Tatbestandsmerkmale
I. Straf- und Bußgeldtatbestände des Kern- und Nebenstrafrechts
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Bezogen auf das Kernstrafrecht sind die Straftatbestände im Besonderen Teil des Strafgesetzbuchs der klassische Standort für die objektiven Tatbestandsmerkmale. Diese sind in der Regel leicht zu erkennen und typischerweise in den die Strafbarkeitsvoraussetzungen regelnden Konditionalsätzen enthalten, die nach dem Muster „Wer sich so oder so verhält“ in einem Halbsatz den objektiven Tatbestand mit seinen objektiven Tatbestandsmerkmalen umschreiben, bevor im nächsten Halbsatz die Rechtsfolge „wird … bestraft“ ausgesprochen wird.
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Soweit der Gesetzgeber in umgekehrter Reihenfolge den Halbsatz mit der Rechtsfolge an den Anfang stellt (z.B. §§ 250, 261 Abs. 2, 263 Abs. 5, 264 Abs. 1, 266a Abs. 2 StGB), ändert sich an dem Inhalt der mit „wer …“ beginnenden Beschreibung des tatbestandsmäßigen Verhaltens nichts.
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Diese Muster wiederholen sich in den Straf- und Bußgeldtatbeständen des Nebenstrafrechts.
II. Allgemeiner Teil des Strafgesetzbuchs
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Weniger im Bewusstsein verankert ist, dass auch im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs geschriebene objektive Tatbestandsmerkmale verortet sind. Dies betrifft
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die rechtliche Einstandspflicht beim unechten Unterlassungsdelikt, die sog. Garantenstellung (§ 13 Abs. 1 StGB); |
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die Begehung durch einen anderen, d.h. die mittelbare Täterschaft (§ 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB); |
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die in § 25 Abs. 2 StGB geregelte gemeinschaftliche Begehung als Mittäter; |
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die Anstiftung und Beihilfe (§§ 26, 27 StGB); |
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die Erweiterung des Täterkreises bei Sonderdelikten durch § 14 StGB bzw. § 9 OWiG. |
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Innerhalb der Beteiligungsnormen lässt die Regelung der §§ 26, 27 StGB den Unrechtstatbestand besonders deutlich hervortreten: Der objektive Tatbestand mit den objektiven Tatbestandsmerkmalen setzt sich aus der vorsätzlichen rechtswidrigen (Haupt-)Tat und der Teilnahmehandlung zusammen. Auf diesen (zugleich) Irrtumstatbestand muss sich der Vorsatz erstrecken. Bei der mittelbaren Täterschaft ist die Tatbestandsverwirklichung durch tatbeherrschende Steuerung des Tatnächsten (Begehung „durch einen anderen“) objektives Tatbestandsmerkmal, auf das sich auch der Vorsatz zu beziehen hat. Bei der Mittäterschaft liegt das zentrale objektive Tatbestandselement der gemeinschaftlichen Begehung in der – vom Vorsatz umfassten – gemeinsamen Tatausführung, die ihrerseits auf einem gemeinsamen Tatentschluss fußt.[10]
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§ 14 hat die Funktion, bei Sonderdelikten mit die Strafbarkeit begründenden persönlichen Statusmerkmalen die Eigenschaft des Normadressaten auf bestimmte unmittelbar handelnde Vertreter überzuwälzen, die selbst das besondere persönliche Merkmal nicht aufweisen und daher nicht zum Kreis der tauglichen Täter gehören. Im Zusammenspiel mit dem einschlägigen Straftatbestand ersetzt § 14 StGB den Arbeitgeber, Betriebsinhaber usw. als tauglichen Täter durch einen Vertreter, der diese Täterqualität gerade nicht aufweist, und schafft auf diese Weise eine neue Verhaltensnorm mit einem neuen objektiven Tatbestandsmerkmal und neuen objektiven Tatbestand.
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Hält man sich noch einmal vor Augen, dass die erwähnten §§ 13 Abs. 1, 14, 25 Abs. 1 Alt. 2, 25 Abs. 2, 26, 27 StGB objektive Tatbestandsmerkmale enthalten, so sollte es keine Zweifel geben, dass die Vorschriften auch zum Garantietatbestand[11] gehören. Von daher werden diejenigen Stimmen bestätigt, die von einer Geltung des Art. 103 Abs. 2 GG auch im Allgemeinen Teil ausgehen. Auf einem anderen Blatt steht und nicht zu diskutieren ist, ob die zum Teil knappen Vorschriften wegen ihrer Kürze oder aus anderen Gründen den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG genügen.[12]
8. Abschnitt: Unrechtsbegründung: Tatbestand› § 32 Geschriebene objektive Tatbestandsmerkmale› D. Inhalt des objektiven Tatbestandes
D. Inhalt des objektiven Tatbestandes
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Zum zwingenden Gerüst eines jeden objektiven Tatbestandes gehören als objektive Tatbestandsmerkmale das Tatsubjekt und die Tathandlung.
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Die Beschreibung des Tatsubjektslegt fest, wer tauglicher Täter sein kann. Bei Delikten, die jedermann begehen kann und Allgemeindelikte heißen, kennzeichnet das Gesetz den Täterkreis in der Regel mit dem unbestimmten „Wer …“. Bei Sonderdelikten kommen als taugliche Täter nur Personen mit einer bestimmten Subjektsqualität in Betracht. Diese Delikte sind leicht zu erkennen, wenn das Gesetz das Tatsubjekt durch individualisierende Berufs- und statusbezogene Bezeichnungen charakterisiert, etwa als Zeuge oder Sachverständiger (§ 153 StGB), Arzt, Zahnarzt usw. (§ 203 Abs. 1 StGB), Angestellter oder Beauftragter eines geschäftlichen Betriebes (§ 299 Abs. 1 StGB), Amtsträger (§§ 331 f., 339 ff. StGB), Arbeitgeber (§ 266a Abs. 1 StGB), Anwalt oder Rechtsbeistand (§ 356 StGB), Vorgesetzter (§ 357 StGB), Gesellschafter und Geschäftsführer (§ 82 GmbHG), Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens (§ 130 Abs. 1 OWiG).
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Schwieriger als Sonderdelikte zu klassifizieren sind Tatbestände, bei denen das allgemeine „Wer …“ nicht durch ein berufs- oder statusbezogenes Substantiv ersetzt wird, sondern sich die Einschränkung des Täterkreises erst aus anderen Tatbestandsmerkmalen ergibt. So ist der Täterkreis bei § 266 Abs. 1 auf Personen begrenzt, denen die untreuespezifische Vermögensbetreuungspflicht obliegt, bei § 283 StGB auf den Schuldner,[13] bei § 315c Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2a bis f StGB auf den Fahrzeugführer[14] und bei den „Betreiberdelikten“ des Umweltstrafrechts (§§ 325 Abs. 1, Abs. 2, 325a, 327 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 328 Abs. 3 Nr. 1 StGB) unter Umständen auf den Anlagenbetreiber[15].
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Sonderdelikte stellen auch die unechten Unterlassungsdelikte dar; hier ergibt sich die Täterbegrenzung aus § 13 StGB.[16] Bei von § 14 StGB erfassten Sonderdelikten ist weiter auf die Erweiterung des Täterkreises durch § 14 StGB zu achten.[17]
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Die Tathandlungals objektives Tatbestandsmerkmal umschreibt das Verhalten, das die Verwirklichung eines objektiven Tatbestandes notwendigerweise voraussetzt. Dieses Verhalten kann in einer Tätigkeit oder Untätigkeit liegen. Im Regelfall besteht es in einem aktiven Tun und wird dementsprechend auch in den Straftatbeständen in der Form von Begehungsdelikten formuliert. Das umschriebene tatbestandsmäßige Verhalten kann aber auch in einem Unterlassen liegen. Verhältnismäßig selten wird ein derartiges Unterlassen ausdrücklich in den Tatbeständen geregelt. Soweit dies der Fall ist, spricht man von echten Unterlassungsdelikten, die im Kernstrafrecht selten (§§ 123 Abs. 1 Alt. 2, 138, 283 Abs. 1 Nr. 5, 7b, 323c I StGB), im Ordnungswidrigkeitenrecht dagegen erheblich häufiger vorkommen.[18]
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§ 13 StGB wandelt die als Begehungsdelikte formulierten Straftatbestände „Wer … tötet, körperlich misshandelt, wegnimmt, beschädigt, in Brand setzt usw.“ in (unechte) Unterlassungsdelikte um und sanktioniert die Passivität von Garanten, die trotz Handlungsmöglichkeit den Eintritt des Erfolges der Tathandlung (Tod, körperliche Misshandlung usw.) nicht verhindern.
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