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Das Abstraktionsprinzip wirkt sich zunächst zugunsten derjenigen Person aus, zu deren Gunsten eine rechtsgrundlose Verfügung erfolgt: Sie wird Eigentümer. Vor allem aber schützt es die Interessen des Rechtsverkehrs: Wenn der (neue) Eigentümer weitere Verfügungen trifft, sind die jeweiligen Erwerber zum Eigentumserwerb nicht auf die engen Voraussetzungen des gutgläubigen Erwerbs angewiesen. Denn sie erwerben ja vom Eigentümer als Berechtigten. Das lässt schwierige Prüfungen der Eigentumsverhältnisse entbehrlich werden. Freilich wirkt sich dieser Schutzgedanke im Ergebnis zu Lasten des ursprünglichen Eigentümersaus und schwächt die Unwirksamkeitsgründe. In der Rechtsanwendung wird das Abstraktionsprinzip im deutschen Recht zumindest durch zahlreiche (und meist umstrittene) Ausnahmen durchbrochen.[124] Trotz alledem wird das Abstraktionsprinzip in der deutschen Lehreüberwiegend als große Errungenschaftverteidigt – vor allem wegen seiner verkehrsschützenden Funktion.[125] Aus der Perspektive nicht-deutscher Rechtswissenschaftler fällt die Beurteilung meist kritischer aus. Besonders pointiert formuliert etwa Koziol : „Dass der Schutz Schlechtgläubiger und die Vernachlässigung überwiegender Interessen des früheren Eigentümers ein besonderes Gütesiegel für eine Verkehrsschutzregelung bedeuten soll und das Unvermögen, zwischen Schutzwürdigen und Unwürdigen zu differenzieren, als Zeichen besonderer Flexibilität anzusehen sei, vermag Angehörigen anderer Rechtsordnungen jedenfalls nicht einzuleuchten.“[126]
Teil I Grundlagen› § 1 Ziele und Prinzipien des Schuldrechts› VIII. Relativität der Schuldverhältnisse
VIII. Relativität der Schuldverhältnisse
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Schuldverhältnisse verbinden zwei Personendurch aufeinander bezogene und miteinander korrelierende Rechte und Pflichten. Der Witz des Schuldrechts besteht gerade in dieser Fokussierung auf nur zwei Personen, die durch das Schuldverhältnis rechtlich in einer „engeren“ Verbindung stehen als sie es ohne Schuldverhältnis würden. Die wechselseitigen Rechte und Pflichten bestehen deshalb auch grundsätzlich nur in der Relation dieser beiden Personen (Relativität der Schuldverhältnisse). Wer dem Schuldverhältnis nicht angehört, bleibt von diesen Rechten und Pflichten grundsätzlich unberührt: Weder kann er Rechte aus ihm ableiten, noch treffen ihn Pflichten wegen des Schuldverhältnisses anderer. Vertragliche Abmachungen gehen Außenstehende nichts an.[127] Wenn ich ein Auto bei einem Münsteraner Autohändler kaufe, gibt mir dieser Kaufvertrag vertragliche Ansprüche nur gegen den Autohändler. Ich kann meine Rechte aus dem Kaufvertrag nicht dem Hersteller gegenüber geltend machen. Natürlich kann der Hersteller sich in einem eigenen Vertrag mir gegenüber verpflichten; das geschieht in der Praxis häufig (selbständige Garantien). Dazu tritt, unter bestimmten Voraussetzungen, die Produzentenhaftung.[128] Und denkbar sind auch, wie etwa im Diesel-Abgasskandal relevant, deliktische Ansprüche.[129] Auch für diese gilt freilich, wie für gesetzliche Schuldverhältnisse allgemein, die Begrenzung der Rechtsfolgen auf die durch sie gebundenen Parteien.
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Schuldrechtliche Forderungensind deshalb auch nicht als absolutes, gegenüber allen wirkendes Recht iSd § 823 Abs. 1 geschützt.[130] Das zeigt sich beispielsweise beim Doppelverkauf:
In Fall 4scheitert der Anspruch der B auf Übergabe und Übereignung aus § 433 Abs. 1 S. 1 gegen A an § 275 Abs. 1. Sie könnte zwar sekundärrechtliche Ansprüche geltend machen, etwa aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 283 oder § 284, aber das entspricht nicht ihrem Rechtsziel. Im Verhältnis zu C steht die Relativität der Schuldverhältnisse vertraglichen Ansprüchen entgegen: Der Kaufvertrag zwischen A und B gibt B keine Rechte gegen C. Der Kaufvertrag zwischen A und B geht C nichts an. Auch § 823 Abs. 1 hilft B nicht weiter: Die aus dem Kaufvertrag resultierenden Rechte sind relative Rechte und damit gerade keine absoluten, allen gegenüber geschützten Rechte iSd § 823 Abs. 1. B verbleibt allein § 826, um von C doch noch die Herausgabe des Gemäldes zu erreichen. Die Hürden der Norm sind aber hoch, denn § 826 setzt eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung voraus. Die Norm kann eingreifen, wenn C im Einzelfall A zum Vertragsbruch überredete und ihn von allen Ansprüchen der B freistellte, nur um diese zu schädigen.[131] Davon ist hier nicht auszugehen, weshalb sich B mit Schadens- bzw Aufwendungsersatz begnügen muss.
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Wie jedes schuldrechtliche Prinzip setzt sich die Relativität der Schuldverhältnisse nicht immer anderen Prinzipien oder Gerechtigkeitsgedanken gegenüber durch. Man kann insoweit auch von Durchbrechungen der Relativität der Schuldverhältnissesprechen. Dabei geht es um Situationen, in denen Dritte aus spezifischen Gründen von den Rechten und Pflichten aus einem Schuldverhältnis berührt werden – sie also ein fremdes Schuldverhältnis ausnahmsweise doch einmal etwas angeht.
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So geht einen Dritten der Vertrag zwischen zwei anderen Personen dann etwas an, wenn dieser Vertrag gerade zu seinen Gunsten abgeschlossen wurde: Dies ist etwa dann der Fall, wenn eine Familienmutter einen Lebensversicherungsvertrag zugunsten ihrer Tochter abschließt. Solche Verträge sind als Verträge zugunsten Dritterin den §§ 328 ffgeregelt.[132] Eine weitere Durchbrechung haben wir beim Vertrauensschutzprinzip schon kennengelernt:[133] Gem. § 311 Abs. 3kann ein Schuldverhältnis auch Dritten gegenüberbegründet werden – etwa dann, wenn der Dritte gegenüber den eigentlichen Vertragsparteien in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch genommen hat. Den Dritten treffen dann Pflichten aus einem für ihn an sich fremden Schuldverhältnis. Die Voraussetzungen dieser Norm sind allerdings eng; dahinter steht gerade das Prinzip der Relativität der Schuldverhältnisse, das Durchbrechungen nur in Ausnahmefällen zulässt.
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Dritte können, wie wir soeben gesehen haben, Pflichten aus einem fremden Schuldverhältnis treffen. Sie können aber auch aus einem fremden Schuldverhältnis berechtigt sein, wie § 328 zeigt. Ein weiterer Fall, in dem Dritten Ansprüche aus einem fremden Schuldverhältnis zugesprochen werden, ist der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter.[134] Das Institut gibt Dritten Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung von Schutzpflichten aus einem Schuldverhältnis, dem die Dritten gar nicht angehören. Sein Zweck liegt vor allem darin, Schwächen des deutschen Deliktsrechts auszugleichen, indem ansonsten weitestgehend schutzlosen Dritten zumindest Schadensersatzansprüche zuerkannt werden. Eng verwandt mit dem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ist das Institut der Drittschadensliquidation[135]: Streng genommen begründet es keine Durchbrechung der Relativität der Schuldverhältnisse – denn die Ansprüche verbleiben in den jeweiligen Vertragsbeziehungen. Mit Blick auf seine Ordnungsaufgabe gehört es aber doch hierher. Wenn in einem Schuldverhältnis die Pflichtverletzung des Schuldners zu einem Schaden führt, der – aus zufälligen Gründen – nicht den Gläubiger, sondern einen Dritten trifft, kann der Gläubiger in bestimmten Fällen den Schaden des Dritten geltend machen. Der Dritte profitiert davon im Ergebnis, regelmäßig durch Abtretung des Schadensersatzanspruchs.
[1]
Radbruch , Rechtsphilosophie. Studienausgabe (1999), S. 34.
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