78
Vorläufiger Rechtsschutzrichtet sich nach dem Begehren in der Hauptsache. Die Länder, die von der Ermächtigung des § 187 Abs. 3 VwGO a.F. Gebrauch gemacht haben, haben meistens § 80 Abs. 4 ff. VwGO für entsprechend anwendbar erklärt (etwa § 112 Satz 2 JustG NRW).
Beispiel:
Wird der Abriss einer baulichen Anlage unter Anordnung der sofortigen Vollziehung ausgesprochen und die Ersatzvornahme für den Fall angedroht, dass die Verpflichtung nicht fristgerecht erfüllt wird, kann der Betroffene beim zuständigen Verwaltungsgericht beantragen, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs (oder seiner Klage[174]) gegen diese Ordnungsverfügung wiederherzustellen[175] bzw. anzuordnen[176] (§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
79
Bestreitet der Betroffene die Bestandskraft oder die sofortige Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts, kann er analog § 80 Abs. 5 VwGO die Feststellung beantragen, dass seine Rechtsbehelfe aufschiebende Wirkung haben.[177] Hält er der Vollstreckung einer Verfügung nach Eintritt der Bestandskraft entstandene Einwendungen entgegen, muss er um vorläufigen Rechtsschutz im Verfahren nach § 123 VwGO nachsuchen.[178]
b) Sofortiger Vollzug und unmittelbare Ausführung
80
Sofortiger Vollzug.Die Anwendung von Verwaltungszwang in Gestalt des sofortigen Vollzugs stellt nach der hier vertretenen Auffassung einen Realakt dar. Für den Rechtsschutz gegen sofortige Zwangsmaßnahmen ist allerdings § 18 Abs. 2 VwVG zu beachten, wonach die allgemein gegen Verwaltungsakte gegebenen Rechtsmittel zulässig sind. Diese Vorschrift gilt entsprechend in Fällen einer sofortigen Zwangsanwendung nach Landesrecht,[179] sofern dieses keine spezifischen Regelungen enthält.[180] Der Betroffene kann mithin Widerspruch und Anfechtungsklage erheben und um vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nachsuchen.
Beispiel:
Wird ein Gebäude wegen rechtswidriger Nutzung im Wege der sofortigen Zwangsanwendung versiegelt, kann der Adressat beantragen, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs bzw. seiner Klage und die Aufhebung der Versiegelung anzuordnen.[181]
81
Häufig stellt sich Frage der Rechtmäßigkeit einer sofortigen Zwangsanwendung erst, wenn die Vollzugsbehörde einen Kostenfestsetzungsbescheid erlässt. Gegen diesen kann der Betroffene mit Widerspruch und Anfechtungsklage[182] vorgehen und geltend machen, die Voraussetzungen für den sofortigen Vollzug hätten nicht vorgelegen.
82
Unmittelbare Ausführung.Realakt ist auch die unmittelbare Ausführung einer Maßnahme. § 18 Abs. 2 VwVG gilt insoweit auch nicht entsprechend, so dass Widerspruch und Anfechtungsklage nicht statthaft sind. Rechtsschutz wird bei irreparablen Eingriffen durch Feststellungsklage und bei noch möglicher Folgenbeseitigung durch Leistungsklage und einstweilige Anordnung gewährleistet.[183] Gegen einen Kostenfestsetzungsbescheid kann sich der Betroffene mit Hilfe von Widerspruch und Anfechtungsklage wenden und die Unzulässigkeit der getroffenen Maßnahme geltend machen.
[1]
S. nur U. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35 Rz. 39.
[2]
Im Folgenden wird das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes zugrunde gelegt.
[3]
Wolff / Bachof , Verwaltungsrecht III, 4. Aufl., § 160 Rz. 1.
[4]
BGBl. I S. 157 (zul. geänd. durch Gesetz v. 25.11.2014, BGBl. I S. 1770).
[5]
BGBl. I S. 165 (zul. geänd. durch Gesetz v. 24.05.2016, BGBl. I S. 1217).
[6]
I.d.F. der Bekanntmachung v. 19.2.2003 (GV NRW, S. 156) zuletzt geändert durch Gesetz vom 08.07.2016 (GV NRW, S. 557).
[7]
Vgl. OVG NW v. 25.6.2015, NVwBl. 2016, 68 zu den Kosten einer Beerdigung im Wege der Ersatzvornahme.
[8]
Wegen der Einzelheiten s. Engelhardt / App , VwVG-VwZG, 9. Aufl., § 1 VwVG Rz. 3 ff.; Sadler , VwVG-VwZG, 8. Aufl., § 1 VwVG Rz. 11.
[9]
Engelhardt / App , VwVG-VwZG, 9. Aufl., § 4 VwVG Rz. 3; Sadler , VwVG-VwZG, 8. Aufl., § 4 VwVG Rz. 7.
[10]
Engelhardt / App , VwVG-VwZG, 9. Aufl., § 2 VwVG Rz. 2.
[11]
BayVGH v. 19.7.1976, BayVBl. 1976, 757.
[12]
Sadler , VwVG-VwZG, 8. Aufl., § 2 VwVG Rz. 12; Engelhardt / App , VwVG-VwZG, 9. Aufl., § 2 VwVG Rz. 3.
[13]
Engelhardt / App , VwVG-VwZG, 9. Aufl., § 2 VwVG Rz. 3.
[14]
Sadler , VwVG-VwZG, 8. Aufl., § 2 VwVG Rz. 18; Engelhardt / App , VwVG-VwZG, 9. Aufl., § 2 VwVG Rz. 4.
[15]
Sadler , VwVG-VwZG, 8. Aufl., § 2 VwVG Rz. 19.
[16]
Engelhardt / App , VwVG-VwZG, 9. Aufl., § 2 VwVG Rz. 5.
[17]
Zum Ganzen s. BVerwG v. 12.1.1973, BVerwGE 41, 306; v. 26.10.1978, BVerwGE 57, 29 f.; VGH BW v. 28.4.2010, DVBl. 2010, 1583; Engelhardt / App , VwVG-VwZG, 9. Aufl., § 3 VwVG Rz. 5; Sadler , VwVG-VwZG, 8. Aufl., § 3 VwVG Rz. 25.
[18]
Vgl. OVG Sachsen-Anhalt v. 11.8.2015, LKV 2015, 522; das bloße Bestreiten der Bekanntgabe genügt regelmäßig dann nicht, wenn der Schuldner dies für eine Mehrzahl von Bescheiden (im Streitfall von Rundfunkbeitragsbescheiden) geltend macht.
[19]
BVerwG v. 22.10.1992, NJW 1993, 2884; Sadler , VwVG-VwZG, 8. Aufl., § 2 VwZG Rz. 32; zu den streitigen Einzelheiten vgl. U. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 41 Rz. 75 ff. m.w.N.
[20]
Vgl. Sächsisches OVG v. 26.11.2015, 5 B 229/15.
[21]
VGH BW v. 4.2.2015, KStZ 2015, 151 zur Vollziehbarkeit eines Rundfunkbeitragsbescheids trotz offener Fragen zur Verfassungsmäßigkeit der Beitragsforderung.
[22]
OVG NRW v. 15.7.1964, OVGE 20, 152; Sadler , VwVG-VwZG, 8. Aufl., § 3 VwVG Rz. 47.
[23]
App , JuS 1987, 203, 204.
[24]
Sächsisches OVG v. 12.1.2016, NVwZ-RR 2016, S. 571–572; Sadler , VwVG-VwZG, 8. Aufl., § 3 VwVG Rz. 67; Engelhardt / App , VwVG-VwZG, 9. Aufl., § 3 VwVG Rz. 8.
[25]
Engelhardt / App , VwVG-VwZG, 9. Aufl., § 3 VwVG Rz. 8.
[26]
OVG NRW v. 15.7.1964, OVGE 20, 153; Sadler , VwVG-VwZG, 8. Aufl., § 3 VwVG Rz. 73; Engelhardt / App , VwVG-VwZG, 9. Aufl., § 3 VwVG Rz. 8.
[27]
BGH v. 11.6.2015, ZKF 2015, 187; v. 8.10.2015, MDR 2015, 1587.
[28]
BVerwG v. 18.11.1960, NJW 1961, 332, 333; Engelhardt / App , VwVG-VwZG, 9. Aufl., § 3 VwVG Rz. 9; Sadler , VwVG-VwZG, 8. Aufl., § 3 VwVG Rz. 1.
[29]
Engelhardt / App , VwVG-VwZG, 9. Aufl., § 4 VwVG Rz. 5.
[30]
BVerwG v. 18.11.1960, NJW 1961, 333; v. 16.9.1977, BVerwGE 54, 316; v. 23.3.1987, BVerwGE 77, 140; U. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35 Rz. 166; Engelhardt / App , VwVG-VwZG, 9. Aufl., § 281 AO Rz. 1.
[31]
OVG Bautzen v. 29.11.2005, NVwZ-RR 2007, 68, 69; OVG NRW v. 27.10.1971, OVGE 27, 139; U. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35 Rz. 166; Engelhardt / App , VwVG-VwZG, 9. Aufl., § 309 AO Rz. 3.
[32]
OVG NRW v. 27.10.1971, OVGE 27, 139 f.
[33]
Die Rechtsnatur derartiger Anträge ist umstritten, s. Kopp / Ramsauer , VwVfG, § 35 Rz. 113; U. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35 Rz. 166 ausführlich Engelhardt / App , VwVG-VwZG, 9. Aufl., § 322 AO Rz. 5 m.w.N.; Beispielsfall, VG Köln v. 23.4.2008 – 23 L 370/08 (juris).
[34]
Brockmeyer in Klein, Abgabenordnung, 12. Aufl., § 324 Rz. 15.
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