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Form und Inhalt.Diese sind von den verschiedenen Zwangsmitteln abhängig. Ein Zwangsgeld wird durch Erlass eines Leistungsbescheides festgesetzt, worin dem Pflichtigen u.U. nach Landesrecht (z.B. § 60 Abs. 2 VwVG NRW) eine angemessene Zahlungsfrist eingeräumt werden muss. Im Falle der Ersatzvornahme besteht die Festsetzung in der Mitteilung an den Betroffenen, dass die vertretbare Handlung auf seine Kosten von einem beauftragten Dritten oder der Behörde selbst vorgenommen wird. Beim unmittelbaren Zwang ist die Festsetzung die Mitteilung an den Betroffenen, dass die Vollzugsdienstkräfte zur Zwangsanwendung angewiesen würden.[132] Eine Anhörung des Pflichtigen darf im Übrigen gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG unterbleiben.
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Voraussetzungen.Für die Festsetzung eines Zwangsmittels sind (1) eine unanfechtbare oder sofort vollziehbare Grundverfügung, (2) die Androhung des Zwangsmittels, (3) die Nichterfüllung der Verpflichtung innerhalb der gesetzten Frist, soweit eine Fristsetzung erforderlich ist,[133] und (4) das Fehlen von Vollstreckungshindernissen erforderlich. Ist die Androhung unanfechtbar geworden, kommt es nicht mehr auf ihre Rechtmäßigkeit, sondern nur noch auf ihre Wirksamkeit (§ 43 VwVfG) an. Ein anderes als das zuvor angedrohte Zwangsmittel darf die Vollzugsbehörde nicht festsetzen. Im Übrigen muss sie bei der Festsetzung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten, etwa prüfen, ob sie ausnahmsweise nochmals eine Frist setzt und erst nach Fristablauf das Zwangsmittel anwendet. Ansonsten ist das behördliche Ermessen dahin intendiert, dass die Festsetzung des Zwangsmittels die regelmäßige Folge der Androhung ist.[134] Ferner ist die Vollstreckungsbehörde bei der Durchsetzung von Handlungsgeboten mit dem Mittel des Zwangsgelds nicht verpflichtet, zunächst die Beitreibung eines nicht gezahlten Zwangsgelds durchzuführen, bevor sie ein weiteres Zwangsgeld festsetzt.[135]
c) Anwendung der Zwangsmittel
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Letzte Stufe des Verwaltungszwangsverfahrens ist die Zwangsmittelanwendung. Reagiert der Betroffene auf die Androhung und ggf. die Festsetzung eines Zwangsmittels nicht und besteht auch weiterhin kein Vollstreckungshindernis, darf das Zwangsmittel angewendet werden (§ 15 Abs. 1 VwVG bzw. § 65 Abs. 1 VwVG NRW). Die Zwangsmittelanwendung ist mangels Regelungsgehalts kein Verwaltungsakt, sondern ein Realakt .[136] Sie muss sich strikt im Rahmen der Androhung bzw. Festsetzung halten. Verstößt die Vollzugsbehörde gegen diesen Grundsatz, steht dem Betroffenen ein Folgenbeseitigungsanspruch zu.[137] Die Anwendung erfolgt beim Zwangsgeld durch Einziehung bzw. Beitreibung des festgesetzten Betrages. Bei der Ersatzvornahme wird die geforderte Handlung entweder von einem beauftragten Dritten oder von einem Bediensteten der Behörde vorgenommen. Beim unmittelbaren Zwang wird die dem Betroffenen aufgegebene Verpflichtung durch Anwendung von physischer Gewalt gegen ihn oder gegen Sachen durchgesetzt.[138] Der Pflichtige hat die Ersatzvornahme oder den unmittelbaren Zwang zu dulden, leistet er Widerstand, kann dieser mit Gewalt gebrochen werden. Die Polizei ist insoweit zur Amts- bzw. Vollzugshilfe verpflichtet (§ 15 Abs. 2 VwVG, § 65 Abs. 2 VwVG NRW).
E. Die Vollstreckung von Verwaltungsentscheidungen› III. Die Erzwingung von Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen › 7. Die Einstellung des Zwangsverfahrens
7. Die Einstellung des Zwangsverfahrens
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Zwangsmittel dürfen solange wiederholt und gewechselt werden, bis der Grundverwaltungsakt befolgt worden ist oder er sich auf andere Weise erledigt hat. Der Vollzug ist – in jeder Stufe des Verfahrens – einzustellen, sobald sein Zweck erreicht ist (§ 15 Abs. 3 VwVG, § 65 Abs. 3 lit. a VwVG NRW). Dies ist der Fall, wenn die Verpflichtung vom Betroffenen entweder freiwillig erfüllt worden ist[139] oder wenn Verwaltungszwang angewendet worden ist. Wird gegen ein Duldungs- oder Unterlassungsgebot verstoßen, kann ein Zwangsgeld allerdings auch dann festgesetzt und beigetrieben werden, wenn eine weitere Zuwiderhandlung wegen Fristablaufs oder Erledigung der Verfügung nicht mehr möglich ist, es sei denn, das jeweilige Vollstreckungsrecht des Landes bestimmt für diesen Fall ausdrücklich die Einstellung des Vollzugs.[140] Entscheidend ist allein, dass der Verstoß nach der Androhung und während der Zeit, in der das Verbot noch galt, erfolgt ist. Andernfalls entfiele die Wirksamkeit der Zwangsgeldandrohung als Beugemittel, wenn sich der Adressat dem angedrohten Zwangsgeld gerade durch Verstoß gegen seine Pflicht entziehen könnte.[141]
Der nordrhein-westfälische Gesetzgeber geht in § 57 Abs. 3 Satz 2 VwVG NW davon aus, dass bei Erzwingung einer Duldung oder Unterlassung (etwa einem bauaufsichtlich verfügten Nutzungsverbot) ein Zwangsgeld für jeden Fall der Nichtbefolgung festgesetzt werden kann; eine Unterlassungspflicht befolgt nur, wer die untersagte Handlung ausnahmslos unterlässt, bereits ein einmaliger Verstoß schließt deshalb eine Befolgung der Unterlassungspflicht aus.[142] Die Art. 37 Abs. 4 BayVwZVG nachgebildete Regelung des § 60 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz VwVG NRW sieht jetzt für solche Fälle eine ausdrückliche Pflicht zur Beitreibung des Zwangsgeldes vor. In Fällen besonderer Härte kann allerdings in entsprechender Anwendung von § 26 VwVG NRW von der Beitreibung abgesehen werden (§ 60 Abs. 3 Satz 2 3. Halbsatz VwVG NRW).
Die Anordnung von Ersatzzwangshaft zur Durchsetzung eines Grundverwaltungsakts, der ein Verbot beinhaltet und sich erledigt hat, ist mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit allerdings nur ausnahmsweise zulässig. Ein derartiger Ausnahmefall kann vorliegen, wenn die Androhung des Zwangsmittels der Durchsetzung einer Ordnungsverfügung dient, die den Schutz des Lebens oder der Gesundheit von Dritten bezweckt.[143]
Ist eine Ordnungsverfügung auf die Vornahme einer Handlung gerichtet, darf ein angedrohtes Zwangsgeld hingegen nicht mehr festgesetzt werden, wenn der Ordnungspflichtige seiner Handlungspflicht zwar nicht innerhalb der gesetzten Frist, wohl aber nach deren Ablauf nachgekommen ist, weil die Zwangsgeldfestsetzung sonst Sanktionscharakter hätte.[144]
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Der Zweckerreichung steht es gleich, wenn dem Adressaten die Erfüllung der Pflicht unmöglich wird[145] oder wenn der Vollzugszweck ganz entfällt, weil wegen einer veränderten Sach- oder Rechtslage kein öffentliches Interesse mehr besteht, die Verpflichtung durchzusetzen.[146] So darf die Bauaufsichtsbehörde eine bestandskräftige Beseitigungsverfügung nicht vollziehen, wenn die zu beseitigende bauliche Anlage inzwischen genehmigungsfähig bzw. – bei nicht genehmigungsbedürftigen Vorhaben – materiell rechtmäßig ist.[147] Die Vollstreckung muss weiterhin eingestellt werden, wenn der zu vollziehende Verwaltungsakt aufgehoben wird oder seine Vollziehbarkeit entfällt.[148] Das nordrhein-westfälische Landesrecht enthält mit Blick auf diese Fallgestaltungen klarstellende Regelungen (§ 65 Abs. 3 Satz 1 lit. b und c VwVG NRW).
Beispiel:
Auf Antrag des Betroffenen setzen die Widerspruchsbehörde oder das Verwaltungsgericht die Vollziehung aus (§ 80 Abs. 4 bzw. 5 Satz 1 VwGO).
E. Die Vollstreckung von Verwaltungsentscheidungen› III. Die Erzwingung von Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen › 8. Sofortiger Vollzug und unmittelbare Ausführung
8. Sofortiger Vollzug und unmittelbare Ausführung
a) Begriffe und Bedeutung
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Wegen seines Zeitaufwandes ist das mehrstufige Vollstreckungsverfahren in akuten Gefahrenlagen nicht geeignet, für eine wirksame Gefahrenabwehr zu sorgen. Zur Lösung solcher Situationen stellt das Polizei- und Ordnungsrecht unterschiedliche Rechtsinstitute zur Verfügung, denen gemeinsam ist, dass Zwang ohne vorausgehenden Verwaltungsakt angewandt werden kann. § 6 Abs. 2 VwVG und verschiedene Landesgesetze (etwa § 55 Abs. 2 VwVG NRW[149]) erlauben die Anwendung von Verwaltungszwang ohne vorausgehenden Verwaltungsakt, wenn das zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr notwendig ist und die Vollzugsbehörde hierbei innerhalb ihrer gesetzlichen Befugnisse handelt (sofortiger Vollzug).[150] Nach anderen Bestimmungen (etwa Art. 9 BayPAG, § 8 BadWürttPolG[151]) können die Ordnungsbehörden und die Polizei eine Maßnahme selbst oder durch einen Beauftragten unmittelbar ausführen, wenn der Zweck der Maßnahme durch Inanspruchnahme des Verantwortlichen nicht oder nicht rechtzeitig erreicht werden kann (unmittelbare Ausführung).
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