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Ersatzzwangshaft.Ist das Zwangsgeld uneinbringlich, kann das Verwaltungsgericht auf Antrag der Vollzugsbehörde die Ersatzzwangshaft anordnen, wenn bei Androhung des Zwangsgeldes schriftlich hierauf hingewiesen worden ist (§ 16 Abs. 1 Satz 1 VwVG). § 61 Abs. 1 Satz 1 VwVG NRW lässt auch den nachträglichen Hinweis auf die Möglichkeit der Zwangshaft zu. Die Ersatzzwangshaft ist keine Strafe, sie tritt als Beugemittel an die Stelle eines nicht beizutreibenden Zwangsgeldes. Hinsichtlich der Feststellung, ob ein Zwangsgeld uneinbringlich ist, gelten strenge Maßstäbe. Ein Zwangsgeld ist uneinbringlich, wenn ein Beitreibungsversuch erfolglos gewesen ist oder wegen offensichtlicher Zahlungsunfähigkeit des Betroffenen von vornherein keine Aussicht auf Erfolg verspricht.[91] Die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung ist nicht unbedingt erforderlich.[92]
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Die Anordnung der Ersatzzwangshaft liegt im pflichtgemäßen Ermessen des zuständigen Verwaltungsgerichts. Wegen des damit verbundenen Eingriffs in die durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG geschützte persönliche Freiheit des Pflichtigen darf sie nur angeordnet werden, wenn alle sonstigen zulässigerweise in Betracht kommenden Zwangsmittel erschöpft sind.[93] Im Übrigen sind die persönlichen Verhältnisse des Pflichtigen, etwa Krankheit oder Haftunfähigkeit, zu beachten. Die Haftanordnung setzt weiterhin voraus, dass das Zwangsgeld wirksam festgesetzt worden ist. Das Verwaltungsgericht entscheidet durch Beschluss. Die Bestimmung der Haftdauer liegt innerhalb der gesetzlichen Grenzen im Ermessen des Gerichts[94].
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Zugleich mit der Anordnung der Haft erlässt das Verwaltungsgericht den Haftbefehl (§ 16 Abs. 3 VwVG bzw. § 61 Abs. 2 VwVG NRW i.V.m. § 802g Abs. 1 ZPO).[95] Der Haftbefehl hat neben der Haftanordnung keine selbstständige Bedeutung, er ist nur die Ausfertigung des Beschlusses der Haftanordnung zum Zwecke der Zwangsvollstreckung.[96]
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Auf Antrag der Vollzugsbehörde wird der Pflichtige danach vom zuständigen Gerichtsvollzieher gemäß § 802g Abs. 2 Satz 1 ZPO verhaftet. Er kann die Haft allerdings immer noch dadurch abwenden, dass er seine Verpflichtung aus dem Grundverwaltungsakt erfüllt oder das festgesetzte Zwangsgeld zahlt; der Vollzug muss dann eingestellt werden (vgl. etwa § 15 Abs. 3 VwVG).[97]
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Unmittelbarer Zwang ist nach § 2 Abs. 1 UZwG, § 67 Abs. 1 VwVG NRW die Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt, ihre Hilfsmittel und durch Waffen.
Beispiele:
Räumung eines besetzten Hauses (nach Landesrecht teilweise geregelt, etwa § 62a VwVG NRW), Auflösung einer Demonstration unter Einsatz von Wasserwerfern[98], Versiegelung einer Baustelle[99], Schließung eines Gewerbebetriebs[100], Abschiebung eines Ausländers, Wegnahme von Berechtigungsscheinen.
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Er ist gegenüber der Ersatzvornahme und dem Zwangsgeld nachrangig und kommt als schärfste Form des Vollzugs hoheitlicher Gewalt nur in Betracht, wenn der mit der Vollstreckung beabsichtigte Erfolg nicht durch Anwendung dieser Zwangsmittel erreicht werden kann (§ 12 VwVG bzw. § 62 Abs. 1 Satz 1 VwVG NRW), etwa wenn bei einem gewaltbereiten „Fußballfan“ eine Reisebeschränkung im Pass eingetragen werden soll und aus Zeitnot die Androhung eines Zwangsgeldes nicht zum Ziel führen kann[101] oder der unmittelbare Zwang im konkreten Einzelfall das allein wirksame Zwangsmittel darstellt.[102] Ist die Ausübung unmittelbaren Zwangs im Einzelfall notwendig, ist die Form anzuwenden, die den Pflichtigen am wenigsten beeinträchtigt.
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Die Art und Weise der Anwendung ist in den Vollstreckungsgesetzen im Einzelnen geregelt (§§ 4 ff. UZwG bzw. §§ 66 ff. VwVG NRW). Insbesondere der Gebrauch von Waffen ist nur im äußersten Fall zulässig, wenn die Anwendung anderer Mittel erfolglos geblieben ist oder offenkundig nicht zum Erfolg führen wird.[103] Im Gegensatz zu den anderen Zwangsmitteln darf unmittelbarer Zwang im Übrigen nur durch besondere, gesetzlich im Einzelnen aufgeführte (§ 6 UZwG, § 68 VwVG NRW) Vollzugsdienstkräfte ausgeübt werden.
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Kosten.Geldbeträge, die bei der Zwangsanwendung von der Vollzugsbehörde an Beauftragte oder an Hilfskräfte gezahlt worden sind, sowie sonstige durch Ausführung des unmittelbaren Zwangs entstandene Kosten hat der Pflichtige zu erstatten (§ 19 Abs. 1 Satz 1 VwVG i.V.m. § 344 Abs. 1 Nr. 8 AO bzw. § 77 VwVG NRW i.V.m. § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 7 und 8 VO VwVG NRW).
E. Die Vollstreckung von Verwaltungsentscheidungen› III. Die Erzwingung von Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen › 6. Der Ablauf des Zwangsverfahrens
6. Der Ablauf des Zwangsverfahrens
a) Androhung der Zwangsmittel
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Bedeutung.Bevor ein Zwangsmittel zur Anwendung gelangt, muss es grundsätzlich zunächst angedroht werden. Die Androhung ist das Kernstück des Verwaltungszwangs. Dem Betroffenen soll deutlich gemacht werden, mit welchen Zwangsmitteln er rechnen muss, wenn er seinen Pflichten nicht nachkommt; weiterhin soll ihm Gelegenheit gegeben werden, die Verfügung freiwillig zu erfüllen.[104] Die Warnfunktion der Androhung hat Bedeutung in den Fällen der Rechtsnachfolge. Ist einer Person ein Zwangsmittel angedroht worden, so muss die Androhung gegenüber deren Rechtsnachfolger wiederholt werden, da dieser nicht von Vollstreckungsmaßnahmen überrascht werden soll.[105] Ihrer Rechtsnatur nach stellt die Androhung einen Verwaltungsakt dar,[106] § 18 Abs. 1 Satz 1 VwVG hat insofern klarstellende Bedeutung.[107] Die Androhung ist die erste Vollstreckungsmaßnahme,[108] gegen sie eingelegte Rechtsbehelfe haben nach den gesetzlichen Bestimmungen der meisten Länder (etwa § 112 Satz 1 JustG NRW) keine aufschiebende Wirkung.
Von einer Androhung darf nur in gesetzlich bestimmten Ausnahmefällen abgesehen werden (§ 13 Abs. 1 Satz 1 VwVG bzw. § 63 Abs. 1 Satz 5 und § 69 Abs. 1 Satz 2 VwVG NRW). Form und Inhalt der Androhung unterliegen besonderen Anforderungen, die sorgfältig beachtet werden müssen.
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Vollstreckungshindernisse.Vor Erlass einer Androhung muss die Vollzugsbehörde prüfen, ob der Vollstreckung Hindernisse entgegenstehen. Die Erzwingung solcher Handlungen ist unzulässig, deren Ausführung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht auf die Mitwirkung Dritter angewiesen ist und ohne deren Mitwirkung nicht möglich ist. So ist die Androhung, eine rechtswidrig errichtete bauliche Anlage im Wege der Ersatzvornahme beseitigen zu lassen, rechtswidrig, wenn der Betroffene die Verpflichtung (beispielsweise wegen Miteigentums oder Mitbesitzes eines Dritten) nicht allein erfüllen kann, es sei denn, der Dritte hat unwiderruflich sein Einverständnis erteilt, es liegen konkrete Anhaltspunkte vor, dass er gegen die Vollstreckung keine Einwände erheben wird oder ihm gegenüber ist eine unanfechtbare oder sofort vollziehbare Duldungsverfügung ausgesprochen worden.[109] Zu klären sind insoweit mitunter zivilrechtliche Fragen. So bedarf es zur Durchsetzung des Abrisses einer vom Pächter im Außenbereich errichteten Jagdhütte keiner Duldungsverfügung gegen den Grundstückseigentümer, wenn die Hütte als sogenannter Scheinbestandteil qualifiziert werden kann.[110]
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Förmlichkeiten.Die Androhung eines Zwangsmittels muss schriftlich erfolgen (§ 13 Abs. 1 Satz 1 VwVG bzw. § 63 Abs. 1 Satz 1 VwVG NRW). Als sog. unselbstständige Androhung kann sie mit dem zu vollziehenden Verwaltungsakt verbunden werden; sie soll mit ihm gemeinsam ergehen, wenn einem Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung zukommt (§ 13 Abs. 2 VwVG bzw. § 63 Abs. 2 VwVG NRW). Im Übrigen kann eine Androhung von der zuständigen Vollzugsbehörde auch separat in die Welt gesetzt werden (selbstständige Androhung). In diesem Fall kann von einer Anhörung des Betroffenen nach § 28 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG abgesehen werden. Die Androhung muss schließlich förmlich nach den Bestimmungen des Verwaltungszustellungsgesetzes zugestellt werden, im Fall einer unselbstständigen Androhung auch dann, wenn für das durchzusetzende Ge- oder Verbot keine Zustellung vorgeschrieben ist (§ 13 Abs. 7 VwVG bzw. § 63 Abs. 6 VwVG NRW). Diese Form der Bekanntgabe ist zwingend, ihre Nichtbeachtung führt zur Unwirksamkeit der Androhung.[111]
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