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Begriff.Kommt der Betroffene der ihm auferlegten Handlungspflicht nicht nach, kann die Vollzugsbehörde einen Dritten mit deren Ausführung auf Kosten des Pflichtigen beauftragen (§ 10 VwVG). Die Gesetze der Länder sehen neben dieser Fremdvornahme zumeist vor, dass eine Ersatzvornahme auch dann gegeben ist, wenn die Behörde die Handlung selbst ausführt (sog. Selbstvornahme, s. etwa § 59 Abs. 1 VwVG NRW). Nach § 12 VwVG stellt die Selbstvornahme hingegen einen Fall von unmittelbarem Zwang dar. Die Ersatzvornahme kommt nur bei vertretbaren Handlungen, nicht hingegen bei Duldungen oder Unterlassungen in Betracht. Eine Handlung ist vertretbar, wenn die Vornahme durch einen Dritten rechtlich zulässig ist und es für den Berechtigten im Ergebnis gleich bleibt, ob der Pflichtige oder ein anderer handelt.[70]
Beispiele:
Abriss einer baulichen Anlage, Abschleppen eines Kraftfahrzeugs, Entsorgung verseuchten Erdreichs nach einem Ölunfall, Beerdigung im Wege der Ersatzvornahme nach Erbausschlagung des Erben[71]
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Beauftragung.Zwischen dem Dritten und dem Träger der Vollzugsbehörde besteht ein privatrechtliches Vertragsverhältnis, in aller Regel wird ein Werkvertrag abgeschlossen. Im (öffentlich-rechtlichen) Verhältnis zwischen Behörde und Pflichtigem hat der Dritte die Stellung eines Vollzugsgehilfen der Behörde, es findet keine Beleihung statt.[72] Dies hat zur Folge, dass der Träger der Behörde gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG haftet, wenn der Dritte dem Pflichtigen im Rahmen der Durchführung des Auftrags einen Schaden zufügt.[73] Daneben stehen dem Dritten gegen den Verwaltungsträger Ansprüche aus einem durch den Abschleppvorgang begründeten öffentlich-rechtlichen Verwahrungsverhältnis zu.[74] Dies hat deswegen praktisch erhebliche Bedeutung, weil im Gegensatz zur Amtshaftung insoweit dem Verwaltungsträger die Beweislast für fehlendes Verschulden obliegt (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB analog). Eine Haftung des Dritten aus unerlaubter Handlung bzw. aus Vertrag (mit Schutzwirkung zugunsten Dritter) scheidet daneben aus.[75]
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Kostenansprüche.Die rechtmäßig durchgeführte Ersatzvornahme löst einen Kostenerstattungsanspruch gegen den Pflichtigen aus (§§ 10, 19 Abs. 1 Satz 1 VwVG i.V.m. § 344 Abs. 1 Nr. 8 AO bzw. § 59 Abs. 1, § 77 VwVG NRW i.V.m. § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 7 VO VwVG NRW), welcher durch Verwaltungsakt festgesetzt und ggf. im Wege der Verwaltungsvollstreckung wegen Geldforderungen beigetrieben werden kann. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen diesen Leistungsbescheid haben aufschiebende Wirkung. Der Leistungsbescheid ist keine Maßnahme in der Verwaltungsvollstreckung i.S.v. § 187 Abs. 3 VwGO a.F., da diese mit der Durchführung der Ersatzvornahme abgeschlossen ist. Auch sind die Kosten der Ersatzvornahme keine Kosten nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO.[76]
Anders ist die Rechtslage seit dem 16. Juli 2016 in Nordrhein-Westfalen. Der Landesgesetzgeber hat nunmehr in § 59 Abs. 1 Satz 2 VwVG NRW bestimmt, dass Anforderungen von Ersatzvornahmekosten sofort vollziehbar sind.[77] Er begründet diese Novellierung mit der Notwendigkeit, den Gesetzesvollzug zu erleichtern und dem öffentlichen Interesse an einem wirkungsvollen Verwaltungszwang. Ansonsten könnten wegen des Suspensiveffekts von Rechtsbehelfen beispielsweise Immobiliarvollstreckungen unterlaufen oder zumindest erheblich erschwert werden.[78] Ferner hat der Landesgesetzgeber in § 59 Abs. 4 VwVG NRW mit Wirkung vom 16. Juli 2016 geregelt, dass grundstücksbezogene Kosten der Ersatzvornahme als öffentliche Last auf dem Grundstück bzw. auf den grundstücksgleichen Rechten ruhen. Ziel ist es, mit Hilfe dieses Instruments der dinglichen Haftung Kostenerstattungen etwa bei der zwangsweisen Beseitigung bauordnungswidriger Zustände in prekären Wohnbereichen (sogenannten „Schrottimmobilien“) zu realisieren.[79]
Bei fehlerhafter Ersatzvornahme kann weder ein allgemeiner öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch noch ein Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag geltend gemacht werden, da das Verwaltungsvollstreckungsrecht insoweit eine abschließende Regelung trifft.[80]
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Geltendmachen der Kosten vor Ersatzvornahme.Nach § 59 Abs. 2 VwVG NRW darf die Vollzugsbehörde die voraussichtlich entstehenden Kosten der Ersatzvornahme durch Verwaltungsakt vor Durchführung der Ersatzvornahme geltend machen und beitreiben, wenn der Schuldner nicht fristgerecht zahlt. § 10 VwVG enthält dagegen keine ausdrückliche Regelung darüber, dass die Vollzugsbehörde von dem Pflichtigen die voraussichtlichen Kosten der Ersatzvornahme schon im Voraus verlangen kann. Eine solche Vorausleistungspflicht lässt sich dieser Vorschrift allerdings im Wege der Lücken füllenden Auslegung entnehmen[81].
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Eine Verzinsung des Kostenerstattungsanspruchs sieht § 59 Abs. 3 VwVG NRW vor. Nach der gesetzlichen Begründung[82] soll mit dieser Regelung Druck auf den Pflichtigen ausgeübt werden, seiner Zahlungspflicht fristgerecht nachzukommen, wenn er nicht die mit einer behördlichen Vorfinanzierung verbundenen – vor allem in Fällen aus dem Umweltrecht teilweise sehr hohen – Zinslasten tragen will. Nach der Neuregelung ist die Behörde nicht gezwungen, tatsächliche Finanzierungskosten in der betreffenden Höhe nachzuweisen, sie darf auch kalkulatorische Zinsen in Rechnung stellen. Die Zinszahlungspflicht entsteht an dem Tag, der sich aus der Fristsetzung im Leistungsbescheid ergibt, im Übrigen setzt sie die Fälligkeit der Erstattungsforderung voraus. Das Einlegen eines Rechtsbehelfs hindert die Entstehung der Zinsforderung nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers nicht, insbesondere hat der Eintritt der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 1 VwGO keinen Einfluss auf diese Forderung.[83]
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Verwaltungsgebühren für die Ersatzvornahme.§ 77 Abs. 2 Satz 5 VwVG NRW ermächtigt darüber hinaus, in der Ausführungsverordnung des Landes für Amtshandlungen im Zusammenhang mit dem Verwaltungszwang, einschließlich der Sicherstellung und Verwahrung, Verwaltungsgebühren vorzusehen. Die weite Gesetzesfassung soll es ermöglichen, sämtliche Kostenfaktoren, die bei der Anwendung von Verwaltungszwang relevant werden können (u.a. Personalkosten, übliche Sachkosten für administrativen Aufwand), in die Gebühren einzubeziehen.[84] Verfassungsrechtliche Bedenken dagegen bestehen nicht.[85] Von der Ermächtigung ist inzwischen Gebrauch gemacht worden: § 15 VO VwVG NRW konkretisiert die einzelnen Amtshandlungen (Beispiel: Beseitigung eines baurechtswidrigen Zustandes, Abschleppen eines zugelassenen Fahrzeugs) und die dafür zu entrichtenden Verwaltungsgebühren. Die Erhebung einer Verwaltungsgebühr für das Abschleppen von Kraftfahrzeugen gemäß § 77 VwVG NRW in Verbindung mit den Bestimmungen der KostO NRW ist verfassungsgemäß. Für die Gebührenbemessung ist es dabei grundsätzlich unerheblich, ob das Abschleppen im Wege der Ersatzvornahme oder als Sicherstellung erfolgt.[86]
b) Zwangsgeld und Ersatzzwangshaft
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Zwangsgeld.Mit Hilfe eines Zwangsgeldes können Handlungen, Duldungen und Unterlassungen durchgesetzt werden. Nach § 11 Abs. 1 Satz 2 VwVG darf ein Zwangsgeld bei vertretbaren Handlungen allerdings nur verhängt werden, wenn eine Ersatzvornahme untunlich ist. Der Begriff „untunlich“ ist verwaltungsgerichtlich in vollem Umfang überprüfbar und bedeutet, dass eine Ersatzvornahme nach Lage des jeweiligen Falles als Zwangsmittel erkennbar nicht in Betracht zu ziehen ist.[87] Die Vollstreckungsgesetze der meisten Länder kennen diese Beschränkung nicht, hier stehen Ersatzvornahme und Zwangsgeld gleichrangig nebeneinander (vgl. etwa §§ 57 ff. VwVG NRW);[88] in Bayern ist die Zulässigkeit der Ersatzvornahme allerdings davon abhängig, dass ein Zwangsgeld keinen Erfolg erwarten lässt (Art. 32 Satz 2 BayVwZVG). Die Behörde hat nach pflichtgemäßem Ermessen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu entscheiden, welches der beiden Zwangsmittel zur Anwendung kommen soll und, wenn sie ein Zwangsgeld auswählt, in welcher Höhe sie dieses androht. Ein Zwangsgeld kann etwa dann ein ungeeignetes Zwangsmittel sein, wenn der Schuldner nach seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen dauerhaft seiner Ordnungspflicht nicht nachkommen kann und auch absehbar keine Möglichkeit der Inanspruchnahme unentgeltlicher Hilfe besteht.[89] Die gesetzlichen Bestimmungen sehen im Hinblick auf die Höhe des Zwangsgeldes einen unterschiedlichen Rahmen vor. Innerhalb dieses Rahmens darf die Höhe des Zwangsgeldes so bemessen werden, dass der Betroffene – unter Berücksichtigung seiner Leistungsfähigkeit, der Hartnäckigkeit seines Verhaltens (erster Verstoß oder Wiederholungsfall), der abzuwehrenden Gefahr und seinem wirtschaftlichen Interesse an der Nichtbefolgung des Verwaltungsakts (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 2 VwVG NRW) – voraussichtlich Anlass sieht, die ihm auferlegte Pflicht zu erfüllen. Der zulässige Höchstbetrag darf in aller Regel nur unter besonderen Voraussetzungen und auch erst nach einer Wiederholung des Zwangsmittels ausgeschöpft werden.[90]
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