2. Tatbestandsvoraussetzungen
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In der Sache gelten die allgemeinen Rechtsscheingrundsätze[73]:
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a) Zunächst muss der Nichtkaufmann den Rechtsscheintatbestand in zurechenbarer Weise gesetzthaben, wie zB durch Verwendung von „e.K.“ auf dem Briefbogen oder durch Erteilung einer Prokura, wozu nach § 48 I HGB nur ein Kaufmann berechtigt ist.[74] Demgegenüber ist ein rein tatsächliches, kaufmannstypisches Verhalten, wie zB im Rahmen von Vertragsverhandlungen, in Ermangelung rechtlicher Qualität nicht ausreichend.[75] Der Rechtsscheintatbestand ist dem Nichtkaufmann zurechenbar, wenn er ihn selbst veranlasst hat oder er zumindest für die Veranlassung durch einen Dritten verantwortlich ist. Das setzt kein Verschulden aufseiten des Nichtkaufmanns voraus.[76] Eine Zurechnung kommt auch durch Unterlassenin Betracht, und zwar wenn der Betroffene nachträglich vom nicht veranlassten Rechtsschein Kenntnis erlangt oder zumindest hätte erlangen müssen, aber gleichwohl nicht für die Beseitigung sorgt.[77] Umgekehrt scheidet eine Zurechnung des Rechtsscheins bei Geschäftsunfähigen und beschränkt Geschäftsfähigennach den allgemeinen Grundätzen der Vertrauenshaftung und des Minderjährigenschutzes aus.[78] Anders als etwa bei § 15 I HGB (unten Rn. 59 ff.) geht hier Minderjährigenschutz stets vor Verkehrsschutz.
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b) Der zurechenbar gesetzte Rechtsschein muss weiterhin für den Abschluss des Rechtsgeschäfts kausalgewesen sein.[79] Nach allgemeinen Grundsätzen wird die Kausalität vermutet; der Nichtkaufmann muss also darlegen und notfalls beweisen, dass der Dritte im Zeitpunkt seiner Vertrauensdisposition – regelmäßig beim Vertragsschluss – nicht auf den Rechtsschein vertraut hat.[80]
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c) Schließlich muss der Dritte in Bezug auf die vermeintliche Kaufmannseigenschaft auch gutgläubiggewesen sein. In Anlehnung an § 932 II BGB schadet in diesem Zusammenhang positive Kenntnis und grob fahrlässige Unkenntnis.[81] Zwar sprechen die Wertungen der §§ 173, 405 BGB außerdem für die Einbeziehung bereits einfacher Fahrlässigkeit. Allerdings würde das Schutzanliegen der Rechtsscheinhaftung weitgehend sinnentleert, wäre der andere Teil stets verpflichtet, die Richtigkeit der von einem Vertragspartner getroffenen Angaben zu überprüfen. Schadete also bereits leichte Fahrlässigkeit, mangelte es der Rechtsscheinhaftung an der notwendigen Effektivität, als wirksames Schutzinstrument der Sicherheit und Leichtigkeit des Rechtsverkehrs zu dienen.[82] Der Dritte braucht daher normalerweise keine Nachforschungen über die Kaufmannseigenschaft seines Gegenübers anzustellen. Eine entsprechende Nachforschungsobliegenheit trifft den Dritten nur bei Vorliegen besonderer Verdachtsmomente.[83]
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a) Umstritten ist auf Rechtsfolgenseite, ob alle handelsrechtlichen Regelungen, die zwingende BGB-Schutzvorschriften abbedingen, auf den Scheinkaufmann Anwendung finden:
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Fall 3:
Der nicht im Handelsregister eingetragene Kleinhandwerker H ist gegenüber seinem Vertragspartner V als Kaufmann H aufgetreten und hat für den Fall der nicht fristgerechten Erfüllung eine hohe Vertragsstrafe versprochen. Da H in Verzug gerät, macht V die Vertragsstrafe geltend. H verlangt Herabsetzung gem. § 343 BGB.
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Das Herabsetzungsverlangen ist gem. § 348 HGB ausgeschlossen, wenn H Kaufmann ist. Zwar ist H laut Sachverhalt „klein“ und nicht eingetragen, daher weder Istkaufmann (vgl. § 1 II Hs. 2 HGB) noch Kannkaufmann gem. §§ 1 I, II, 2 S. 1 HGB. Allerdings könnte § 348 HGB auf H anwendbar sein, weil er sich aufgrund des zurechenbar gesetzten Rechtsscheins gegenüber dem gutgläubigen V als Kaufmann behandeln lassen muss.[84] Jedenfalls für Kleingewerbetreibende wie H (oben Rn. 13) ist dies anzunehmen,[85] weil es diese Personengruppe selbst in der Hand hat, für das Kaufmannsrecht zu optieren (§ 2 S. 1 HGB) und sich so der zwingenden BGB-Schutzvorschriften zu begeben. Ein Teil des Schrifttums geht sogar noch weiter und lässt – nicht nur bei arglistigem Handeln – die Durchbrechung zwingender BGB-Schutzvorschriften auch bei nichtgewerbetreibenden Scheinkaufleuten zu.[86]
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b) Der Rechtsschein wirkt stets nur zugunsten des Dritten, nie zugunsten des Scheinkaufmanns[87] (beachte hingegen: die Rechtswirkungen des § 5 HGB gelten auch zugunsten des Fiktivkaufmanns, vgl. oben Rn. 20). Umstritten ist allerdings, ob die Rechtswirkungen des § 366 HGB im Falle des Handelns eines Scheinkaufmanns zulasten des Eigentümers eintreten können:
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Fall 4:[88]
Der eingetragene Kannkaufmann K beschließt, das Sortiment seines Modegeschäfts auf einen anderen Lieferanten umzustellen. Er verschickt deshalb zum Abverkauf auf Geschäftsbriefpapier gedruckte Einladungen an seine besten Kunden. Aufgrund einiger Misserfolge in den Tagen danach beschließt K, sein Geschäft vollständig aufzugeben. Die Löschung der Firma wird wenig später vorgenommen und bekanntgemacht. Als K die Geschäftsabwicklung schon weitgehend abgeschlossen hat, betritt der befreundete G – durch die Einladung angelockt – den Laden, der von der Geschäftsaufgabe jedoch nichts weiß. Aus einem früheren Gespräch weiß G aber, dass K alle Kleidungsstücke vom Lieferanten L unter Eigentumsvorbehalt bezieht, nicht aber, dass wegen großer Außenstände L dem K bereits vor Monaten den Weiterverkauf bis zur vollständigen Zahlung untersagt hat. Gleichwohl verkauft K dem G einen Mantel, für den noch einige Raten ausstehen. Nachdem L davon erfährt, verlangt er von G Herausgabe.
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Durch die aufschiebend bedingte Übereignung (§§ 929 S. 1, 158 I BGB) scheidet ein Eigentumsverlust des L an K aus, da infolge noch ausstehender Raten die Bedingung der vollständigen Kaufpreiszahlung für den Mantel nicht eingetreten ist. Auch ein gutgläubiger Erwerb des G von K nach §§ 929 S. 1, 932 BGB scheitert, weil G bekannt war, dass K nicht Eigentümerder Ware ist. In Betracht kommt ein redlicher Erwerb nur nach § 366 I HGB, weil G zumindest an die Verfügungsbefugnisdes K glaubte (dazu ausf. unten Rn. 303 ff.). Allerdings hatte K seinen Gewerbebetrieb gerade aufgegeben und die Firma war auch im Handelsregister gelöscht, so dass weder § 2 noch § 5 HGB eingreifen. Zwar können auch Abwicklungsgeschäfteeine Kaufmannseigenschaft nach § 1 HGB begründen.[89] Abgesehen davon, dass K die Abwicklung schon weitgehend beendet hatte, erforderte sein Modegeschäft auch keine kaufmännische Einrichtung iSd § 1 II HGB. Umstritten ist nun, ob ein gutgläubiger Erwerb nach § 366 I HGB auch vom Scheinkaufmannin Betracht kommt. Während dies die hM[90] unter Hinweis darauf verneint, dass die nachteiligen Wirkungen des § 366 I HGB hier nicht den Scheinkaufmann treffen, sondern den Eigentümer, der sich das Handeln des Scheinkaufmanns hingegen nicht zurechnen lassen muss, meint die Gegenauffassung[91], dass es für den redlichen Erwerber keinen Unterschied mache, ob der Verfügende tatsächlich Kaufmann sei oder dies nur vorspiegele.
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Wenn die Gegenauffassung nun auf die subjektive Sichtweise des Erwerbers abstellen will, dann übersieht sie, dass – nach der Lehre vom unwirksamen Rechtsscheinträger[92] – der bloße Anschein für das Vorliegen eines Vertrauenstatbestands als taugliche Legitimationsgrundlage für einen redlichen Erwerb nicht ausreicht. Legitimationsgrundlage für das Eingreifen des § 366 I HGB ist die Eigenschaft des Veräußerers als Kaufmann im Rechtsverkehr. Hier vertraute G auf das bloße Gerede des K, nicht aber auf einen tatsächlich vorliegenden Rechtsscheinträger. Daher muss die von § 366 I HGB intendierte Lösung des Interessenkonflikts – mangels Zurechnung gegenüber dem wahren Eigentümer – zulasten des redlichen G ausfallen.[93]
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