b) Als negatives Tatbestandsmerkmalsind aus dem Gewerbebegriff Tätigkeiten künstlerischer, wissenschaftlicher, sportlicher oder freiberuflicherArt auszuscheiden. Hier steht die höchstpersönliche Leistung im Vordergrund, die nicht unter den Gewerbebegriff fällt. Dies ist teilweise gesetzlich angeordnet (s. etwa § 2 II BRAO; § 2 S. 3 BNotO; § 1 II BundesärzteO; § 1 II WiPrO; vgl. weiter § 1 II PartGG)[41] und im Übrigen durch eine gefestigte Rechtstradition im Rang von Gewohnheitsrechtbegründet. Auch eine Anwendung des § 5 HGB scheidet nach zutreffender hM aus ( Rn. 20, 23); in Betracht kommt aber die Anwendung der Lehre vom Scheinkaufmann ( Rn. 37).
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Abgrenzungsproblemetreten auf, wenn ein Unternehmer sowohl freiberuflich als auch gewerblich tätig wird: Der Arzt betreibt zusätzlich ein Sanatorium, der Architekt ein Bauträgergeschäft, der Künstler produziert in Serie. Hier ist zu differenzieren: Ist die unternehmerische Tätigkeit organisatorisch getrennt, so werden zwei Unternehmen betrieben, ein freiberufliches und ein gewerbliches.[42] Liegt dagegen keine organisatorische Trennung vor („gemischtes Unternehmen“) , so ist nach hM entscheidend, welche Komponente den Schwerpunkt der Tätigkeit bildet.[43]
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c) Streitig ist, ob der Gewerbebegriff die Absicht der Gewinnerzielungerfordert. Entgegen der früher ganz hM[44] verzichtet heute die hL darauf.[45] Praktische Relevanz hat die Frage hinsichtlich der Kaufmannseigenschaft von öffentlichen Unternehmen, die nicht bereits kraft Rechtsform Kaufmann sind:[46]
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Fall 2:
Die Stadt X betreibt den Schlachthof S als Eigenbetrieb, der nach seiner Satzung keinen Gewinn erzielen soll. Im Rahmen von Geschäftsbeziehungen zur Großschlachterei des G stellt sich die Frage, ob S Kaufmann ist.
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Entgegen dem OLG Stuttgart[47] kann es für die Anwendung der handelsrechtlichen Vorschriften nicht auf die Gewinnerzielungsabsicht ankommen. Ausreichend ist vielmehr, dass S am Wirtschaftsleben durch das entgeltliche Auftreten am Markt ( Rn. 25) teilnimmt. Allein der Verzicht auf Gewinn rechtfertigt keine privilegierte Behandlung.[48] Insbesondere ist es mit dem durch das Handelsrecht intendierten Verkehrsschutz unvereinbar, auf rein innerliche Tatsachen abzustellen. Zutreffend hat daher auch der BGH die Kaufmannseigenschaft der damaligen Deutschen Bundesbahn bejaht[49] (heute ist die Deutsche Bahn AG Kaufmann gem. § 6 HGB iVm § 3 I AktG: oben Rn. 14). Demgegenüber ist eine Stiftung des öffentlichen Rechts nicht Kaufmann, solange sie ausschließlich öffentliche Aufgaben erfüllt, da eine Tätigkeit, die allein und herkömmlich mit der Zielrichtung einer öffentlichen Aufgabe betrieben wird, grundsätzlich nicht den Gewerbebegriff erfüllt.[50] Gleiches gilt für einen kommunalen Zweckverband, der sich ausschließlich öffentlichrechtlich ausgestalteter Handlungsformen bedient (oben Rn. 25).[51]
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d) Die zivilrechtliche Wirksamkeitder vom Unternehmer getätigten Geschäfte ist für das Vorliegen eines Gewerbes nach heute herrschender und zutreffender Lehre nicht erforderlich.[52] So kann etwa auch der Ehevermittler trotz der Unklagbarkeit seiner Entgeltforderung (§ 656 BGB)[53] oder der Kreditwucherer trotz der Sittenwidrigkeit der Darlehen (§ 138 BGB)[54] Kaufmann sein. Die Voraussetzung des „ehrbaren Kaufmanns“ ist dem HGB fremd – anders als dessen Leitbild in den Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex.[55] Warum soll etwa der Waffenhändler (vgl. § 134 BGB) vor den Gefahren der mündlich abgegebenen Bürgschaft (vgl. bereits Rn. 19) geschützt werden?[56] Für die hier vertretene Auffassung spricht auch, dass das Fehlen öffentlichrechtlicher Voraussetzungen von § 7 HGB ausdrücklich für unbeachtlich erklärt wird.[57] Dies bedeutet natürlich nicht, dass der Drogenhändler als Kaufmann in das Handelsregister einzutragen wäre; eine verbotene Tätigkeit ist vielmehr von den zuständigen Behörden zu unterbinden.[58]
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e) Kaufmann ist derjenige, der das Gewerbe im eigenen Namen betreibt. Dies kann zB auch der Pächter des Unternehmensgrundstücks sein. Im Falle der Treuhand ist Kaufmann der Treuhänder (auch der Strohmann), nicht der Treugeber.[59] Im Falle der Stellvertretung ist Kaufmann der Vertretene, nicht der Vertreter; das gilt auch für die Geschäftsführungsorgane einer Handelsgesellschaft (dazu schon oben Rn. 18).[60] Keine Rolle spielt dagegen, auf wessen Rechnung die Geschäfte getätigt werden (zB Kommissionär, § 383 HGB[61]).[62] Auch der beschränkt Geschäftsfähige kann Kaufmann sein, doch ändert dies nichts an der Geltung der §§ 104 ff. BGB.[63]
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f) Beginnund Endeder Kaufmannseigenschaft korrespondieren mit der gewerblichen Tätigkeit. Beim Istkaufmann ist die Registereintragung deklaratorisch, so dass es weder auf die Eintragung des Handelsgeschäfts noch auf deren Löschung ankommt (oben Rn. 12). Während die Planung und Errichtung des Handelsgewerbes für sich noch unzureichend sind,[64] genügen nach zutreffender hM Vorbereitungs- und Anlaufgeschäfte, die auf den Betrieb eines in kaufmännischer Art und Weise eingerichteten Gewerbebetriebs gerichtet sind, wie zB der Abschluss von Miet- und Arbeitsverträgen.[65] Umgekehrt können auch Abwicklungsgeschäftein maßgeblichem Umfang ein Handelsgewerbe begründen, nicht aber die reine Vermögensverwaltung (oben Rn. 25).[66]
2. Ausnahme: Kleingewerbe
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a) Kleingewerbetreibende sind gem. § 1 II Hs. 2 HGB ex lege keine Kaufleute. Sie können den Kaufmannsstatus nur durch ihre Eintragungin das Handelsregister gem. § 2 HGB erlangen (oben Rn. 13).
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b) Für die Frage, wann ein in kaufmännischer Weise eingerichteter Geschäftsbetrieb erforderlich ist, verweist das Gesetz auf „Art oder Umfang“ der unternehmerischen Tätigkeit. Im Ergebnis nimmt die hM eine Gesamtbetrachtung vor, wobei Kriterien insbesondere die Zahl und Art der Geschäfte, Höhe von Kapital und Umsatz, Zahl der Beschäftigten sowie Vielfalt der Erzeugnisse sind. Entscheidend ist, ob die Anwendung der kaufmännischen Regelungen über Buchführung und Bilanzierung, über Firmenbildung und Mitarbeiterorganisation (Lohnbuchhaltung, Prokura usw.) auf das konkrete Unternehmen sachlich gebotenist; demgegenüber ist die tatsächliche Einrichtung des Gewerbebetriebs ohne Belang. Die Kasuistik der Rechtsprechung ist uneinheitlich.[67] Jedenfalls ab einem Umsatz in Höhe von 500 000 € pro Jahr ist die Schwelle zum Handelsgewerbe überschritten.[68] Auch wenn die Voraussetzungen des § 1 II Hs. 2 HGB im Einzelfall zweifelhaft sein können, bereiten unklare Sachverhalte in einer Klausur regelmäßig kein Problem. Denn nach der negativen Formulierung („es sei denn“) ist zu vermuten, dass ein Gewerbebetrieb „groß“ und daher als Handelsgewerbe zu qualifizieren ist.
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c) Das bedeutet für die Klausurbearbeitung: Finden sich im Sachverhalt keine Anhaltspunkte, die gegen das Bedürfnis nach einem in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb streiten, ist nach § 1 II HGB das Vorliegen eines Handelsgewerbes und damit die Kaufmannseigenschaft zu unterstellen.[69]
§ 2 Kaufmannseigenschaft› III. Scheinkaufmann
III. Scheinkaufmann
1. Grundlagen und Dogmatik
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Tritt eine Person, die nicht im Handelsregister eingetragen ist – so dass weder § 2 HGB und § 5 HGB (oben Rn. 13, 20) noch § 15 HGB (unten Rn. 59 ff.) zur Anwendung kommen –, im Rechtsverkehr wie ein Kaufmann auf, obwohl sie kein Handelsgewerbe betreibt, so muss sie sich gegenüber einem Dritten, der auf diesen Rechtsschein vertraut hat, so behandeln lassen, als sei sie Kaufmann.[70] Diese Lehre vom Scheinkaufmann ist ein wichtiger Unterfall der allgemeinen Rechtsscheinhaftung (siehe auch unten Rn. 816).[71] Mit den Bedürfnissen einer zügigen und rechtssicheren Abwicklung von Handelsgeschäften ist es nicht vereinbar, wenn der redliche Vertragspartner jeweils die Kaufmannseigenschaft nachprüfen müsste. Daher müssen sich Personen, die wie Kaufleute am Markt auftreten, im überindividuellen Interesse der Sicherheit und Leichtigkeit des Rechts- und Handelsverkehrs, gegenüber gutgläubigen Dritten auch als solche behandeln lassen. In der Klausur ist an die Fallgruppe des Scheinkaufmanns immer dann zu denken, wenn die Kaufmannseigenschaft bisher nicht auf anderem Wege bejaht werden konnte. Die Rechtsfigur ist subsidiär zu §§ 1, 2, 3, 5, 15 HGB und insbesondere für Freiberufler sowie nichteingetragene Kleingewerbetreibende relevant.[72]
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