Unterlassungenfallen nicht nur unter die dritte Alternative, sondern können auch ein Quälen oder rohes Misshandeln darstellen, was insbesondere beim Fehlen der Böswilligkeit in Betracht kommt (BGH 41, 117 m. Anm. Hirsch NStZ 96, 37; BGH NStZ 04, 94).
[6]
Z.T. abw. Sternberg-Lieben S/S 7.
[7]
Grünewald LK 14. BGH NStZ 07, 405: Verlust des Gefühls für das Leiden des Misshandelten, das sich bei jedem menschlich und verständlich Denkenden eingestellt haben würde (Schütteln eines schreienden Babys).
[8]
BGH 25, 277 m. bedenklichem und angesichts der Äußerungen der geisteskranken Opfer unnötigem Abstellen auf das Schmerzempfinden des hypothetischen Normalopfers; vgl. auch Jakobs NJW 74, 1829; Schroeder FS Hirsch 731.
[9]
RG 73, 391; dazu Nagler ZAkDR 40, 100; BGH 3, 20; NStZ 91, 234.
[10]
Vgl. AT § 22 Rn. 56; Hardwig ZStW 68, 24.
2. Der subjektive Tatbestand
9
Erforderlich und genügend ist der Vorsatz, der sich insbesondere auf das Bestehen des Abhängigkeitsverhältnisses und die relative Wehrlosigkeit des Opfers zu erstrecken hat. Dass der Täter in den ersten beiden Alternativen quälen oder „roh“ misshandeln muss, steht dem nicht entgegen, dass hier auch bedingter Vorsatz ausreicht: das Gesinnungsmoment der Rohheit ist mit der Willensrichtung des dolus eventualis vereinbar (BGH NStZ 04, 95). Ebenso genügt im Falle der dritten Alternative bedingter Vorsatz bezüglich des Eintritts der Gesundheitsschädigung; dagegen schließt die „Böswilligkeit“ den dolus eventualis bei der Vernachlässigung als solcher aus (RG 72, 119).
3. Strafe – Konkurrenzfragen
10
Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 10 Jahren (Abs. 1). Qualifizierung nach Abs. 3 mit Freiheitsstrafe von 1 bis zu 15 Jahren. In minder schweren Fällen Freiheitsstrafe von 3 bzw. 6 Monaten bis zu 5 Jahren.
Nach der weitgehenden Ablehnung der fortgesetzten Handlung durch BGH 40, 138 fasst die Rechtsprechung unter dem Merkmal des Quälens sehr lang dauernde Einzelhandlungen zu einer Tat zusammen[11].
Mit den übrigen Körperverletzungsdelikten ist mit Rücksicht auf den teilweise abweichenden Unrechtsgehalt des § 225 Idealkonkurrenz möglich[12], ebenso mit § 171.
[11]
BGH 41, 113 m. krit. Anm. Hirsch NStZ 96, 37 und Wolfslast/Schmeisser JR 96, 338: 7 Monate. Dazu auch Warda FS Hirsch 391.
[12]
Ebenso für § 227 jetzt BGH 41, 113 m. Anm. Hirsch NStZ 96, 37; Wolfslast/Schmeisser JR 96, 339.
§ 11 Gefährdung der Körperintegrität
1
Als „Leib eines anderen“ ist die Körperintegrität (zusammen mit dem Leben, s.o. § 4 I, und fremden Sachen von bedeutendem Wert) Schutzobjekt der allgemeinen Gefährdungsstraftaten(s. Tlbd. 2, §§ 50 ff.).
Daneben findet sich die Gefährdung der Gesundheit (zusammen mit der der Arbeitskraft) als Tatbestandsmerkmal in Strafvorschriften des Arbeitsschutzrechts(z.B. § 23 ArbeitszeitG, § 25 LadenschlußG, § 33 MutterschutzG, § 58 Abs. 5, 6 JArbSchG). In zahlreichen Strafvorschriften wird die Gefährdung der Gesundheit als Strafschärfungsgrund oder als Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall verwendet (s.o. § 8 Rn. 9).
2
Als Strafvorschrift gegen die Gefährdung der Körperintegrität ist aber auch der im Rahmen der „Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit“ im StGB geregelte Tatbestand der „ Beteiligung an einer Schlägerei“ (§ 231) anzusehen (u. II). Ferner gehört hierher der Missbrauch ionisierender Strahlen(§ 309 Abs. 1–5, u. III).
In diesen Bereich gehört auch § 171, soweit er die „Gefahr einer erheblichen Schädigung in der körperlichen Entwicklung“ erfasst. Diese Vorschrift wird jedoch hier im Rahmen der Straftaten gegen Familie und Jugend behandelt (s. Tlbd. 2, § 63 IV).
II. Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231)
Schrifttum:
Birkhahn , Teilnahme an einem Raufhandel nach Eintritt der schweren Folge?, MDR 62, 625; Eckert , Die nicht vorwerfbare Beteiligung an einer Schlägerei …, Diss. Potsdam 2002; Eisele, Zur Bedeutung des § 231 II StGB nach dem 6. StrRG, JR 01, 270 (dadurch überholt ZStW 110, 69); Hund , Beteiligung an einer Schlägerei – ein entbehrlicher Tatbestand?, Diss. Mainz 1988; Montenbruck , Zur „Beteiligung an einer Schlägerei“, JR 86, 138; Rönnau/Bröckers , Die obj. Strafbarkeitsbedingung im Rahmen des § 227 StGB, GA 95, 549; Saal , Die Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231 StGB), Diss. Bochum, 2005; Stree , Beteiligung an einer Schlägerei – BGHSt. 16, 130, JuS 62, 93; Stree , Probleme des Schlägereitatbestandes, FS R.-Schmitt 1992, 215 (skurrile Probleme); ferner die oben §§ 8, 9 angeführten.
3
§ 231 ist hervorgegangen aus § 195 preuß. StGB 1851, der seinerseits die kasuistischen Tatbestände des ALR II, 20, §§ 171, 844–848 zusammenfasste. Vorläufer war Art. 148 PGO[1].
4
Nach dem Grundsatz „mitgerauft, mitbestraft“[2] macht § 231 aus der Not eine Tugend. Bei einer folgenschweren Schlägerei scheitert die Bestrafung des Urhebers des verhängnisvollen Erfolges meist an Beweisschwierigkeiten: Unmöglichkeit einer Ermittlung schon des objektiven Verletzungstatbestandes. Möglich und kriminalpolitisch gerechtfertigt ist aber die Konstruktion als abstraktes Gefährdungsdelikt (vgl. AT § 20 III 3). Auch vom Schuldstrafrecht her ist diese Betrachtung einer Schuldvermutung bei Weitem vorzuziehen.
5
Dem entspricht der Aufbau des Tatbestandes: findet eine Schlägerei oder ein gemeinschaftlicher Angriff statt und wird im Laufe der Auseinandersetzungen ein Mensch getötet oder schwer verletzt (§ 226), so ist jeder am Zusammenstoß Beteiligte „schon wegen seiner Beteiligung“ strafbar. Der Unrechtsgehalt der Tat liegt in der Beteiligung, sie allein verstößt gegen das Gefährdungsverbot. Die schwere Folge ist ausschließlich Bedingung der Strafbarkeit mit allen sich daran knüpfenden Folgen (BGH 33, 103).
Auch diese Konstruktion und Auslegung des Tatbestandes ist allerdings noch nicht völlig bedenkenfrei[3]. Nach Hirsch LK 111 soll § 231 eine Vorsatz-Sorgfaltswidrigkeits-Kombination sein und Fahrlässigkeit hinsichtlich der schweren Folgen verlangen. Für Abschaffung wegen der Verleitung zu überhöhten Strafen Hund aaO S. 113 ff., 131. Der Bundesrat hat die im E 6. StrRG vorgesehene Abschaffung unter Hinweis auf Beweisschwierigkeiten gerade bei der aktuellen Gewaltkriminalität zurückgewiesen (BT-Dr 13/8587 S. 61).
Die Bedenken gegen den Tatbestand können allerdings kaum für die – in der Paragrafenüberschrift schamhaft verschwiegene und in der rechtspolitischen Diskussion oft außer Acht gelassene – Alternative des von mehreren gemachten Angriffsgelten, da hier bis auf seltenste Ausnahmen (s.u. Rn. 7) Mittäterschaft nach den §§ 226 bzw. 227, mindestens aber § 224 vorliegt, sämtliche mit höherem Strafrahmen. Dafür ist diese Alternative aber auch weitestgehend überflüssig (a.A. Saal aaO 25 ff.). Sie wird auch durch das Argument der Beweisnot (s.o. Rn. 4) nicht getragen. Die Beweisnot darf nicht zur ratio legis gemacht und ihr Fehlen daher nicht zur Einschränkung des Tatbestandes verwendet werden[4]. Die Alternative tritt hinter den genannten Vorschriften als subsidiär zurück (a.A. BGH 33, 104: Idealkonkurrenz).
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