Die geschilderte Arbeitsweise erleichtert auch die richtige Einstellung gegenüber Ansprüchen der Parapsychologie. Einige Astrologen, Hellseher oder Pendler glauben, für normale Menschen noch nicht durchschautes Geschehen, etwa ein noch nicht geklärtes Verbrechen, anhand anderer Ereignisse (Bewegung der Planeten, mediale Einfälle, Pendelausschläge) aufdecken zu können. In den weitaus meisten Fällen erweisen sich die Behauptungen solcher Leute aber als falsch und die Treffer, wenn man sie statistisch erfasst, als zufällig. Man sollte die Hinweise solcher Hellseher trotzdem nicht einfach ignorieren, denn Menschen, die sich erfolgreich als Astrologen, Hellseher oder Pendler betätigen, verfügen manchmal über ein überdurchschnittlich gutes (aber durchaus natürliches) Ahnungsvermögen, außergewöhnliche Einfühlungsgabe, eine gute Intuition und ähnliche Eigenschaften. Diese Qualitäten befähigen sie, Tatsachen und Zusammenhänge zu vermuten, auf die andere nicht so leicht und rasch kommen würden. In dieser Hinsicht (und nur in dieser) können solche Leute auch dem Kriminalisten mit Hinweisen helfen.[18] Es wäre deshalb falsch, nicht näher begründete, aber doch nicht völlig abwegige Behauptungen solcher Leute nicht kritisch zu prüfen, denn dadurch identifiziert man sich noch lange nicht mit ihrer „Wissenschaft“, sondern prüft nur eine Tathypothese auf deren Folgerichtigkeit. Im Übrigen kann man es sich bei Schwerstkriminalität in der heutigen medialen Gesellschaft gar nicht leisten, solche Hinweise überhaupt nicht zu überprüfen. Wären sie nämlich zufällig richtig, würde man sich im Nachhinein dem nur schwer zu begegnenden Vorwurf aussetzen, einem zutreffenden Hinweis nicht nachgegangen zu sein.
Nach dem Verschwinden der 5-jährigen Ylenia im Sommer 2007 in Appenzell gingen etwa 20 Hinweise von Pendlern und Hellsehern ein, wo das Mädchen versteckt sein könnte, meist begleitet mit dem Hinweis dieser Leute auf ihre früheren Erfolge in anderer Sache. Die Leiche des Mädchens wurde schließlich aufgefunden, und es ergab sich, dass der Täter das Kind noch am Tag der Entführung in einem Wald umgebracht und am Tatort vergraben hatte. Keiner der Pendler und Hellseher hatte einen Tipp abgegeben, der mit der Realität auch nur annähernd zu tun hatte, was allerdings in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen wurde – ein Grund dafür, dass sich solche Leute immer mit ihren angeblichen, in Wirklichkeit zufälligen Erfolgen brüsten können, denn ihre Misserfolge bleiben normalerweise im Verborgenen.
Der Fall zeigt übrigens auch, dass man die Nachwirkungen einer Tat von vornherein in seine Taktik einbeziehen sollte. Der Täter hatte das Mädchen begraben und dann in der Nähe Suizid begangen. Es war naheliegend, dass man in den ersten Tagen nach dem Delikt besonders gründlich in der näheren Umgebung der Täterleiche suchte, zumal sich die Erkenntnis verdichtete, dass dieser Tote tatsächlich mit dem Verschwinden von Ylenia zu tun hatte. Den späteren Fundort der Kindesleiche suchte man bereits in den Tagen nach dem Delikt sorgfältig ab, ohne fündig zu werden. Dass ein Passant die Leiche Wochen später dann doch noch fand, war auf den Umstand zurückzuführen, dass wilde Tiere mittlerweile nach der Leiche gegraben und sie deshalb teilweise offengelegt hatten. Deshalb war sie in den Tagen nach der Tat zunächst übersehen, dann aber von einem Passanten aufgefunden worden.
Es ist Aufgabe der Kriminologie und der Psychologie, Zusammenhänge zwischen Tatsituationen und Tätertypen aufzuhellen. Sind Deliktsart und Tatsituation bekannt, so lässt sich oft auf den Tätertyp schließen. So wird zum Beispiel Anlagebetrug typischerweise von Leuten begangen, die eine hoch entwickelte Fähigkeit haben, andere zu überzeugen, sich aber auch durch einen gewissen Narzissmus auszeichnen. Sie waren im normalen Wirtschaftsleben meist nicht erfolgreich und haben sich deshalb auf kriminelle Geschäfte eingelassen. Bemerkenswert ist, dass manchmal weniger Intelligente die fast unglaubliche Fähigkeit besitzen, wesentlich intelligentere Leute von ihrer Person und ihren Ideen zu überzeugen.
Der Deutsche Volker Eckel hatte sich als Sohn von Saddam Hussein ausgegeben, einen Vermögensausweis einer Bank über 700 Milliarden Dollar (!!!) gefälscht und in der Schweiz damit innerhalb kürzester Zeit in einem kleineren Kanton eine Aufenthaltsbewilligung erhalten und ein Pauschalbesteuerungsabkommen ausgehandelt. Er bot dann dem Zürcher Fußballklub Grasshoppers an, 300 Millionen Franken zu investieren, und wurde allein aufgrund dieser Ankündigung vom Vorstand, bestehend aus sonst gewieften Wirtschaftsleuten, eine Woche lang luxuriös bewirtet. Es gelang ihm dann, Investoren aus der Baubranche zu veranlassen, ihm im Hinblick auf angeblich geplante Großprojekte hohe Geldsummen anzuvertrauen.
Vor Gericht warf sein Verteidiger den Opfern vor, sie seien allzu leichtgläubig gewesen. Sie hätten insbesondere darüber hinweggesehen, dass Volker Eckel eine auffällige Rechtschreibschwäche und schlechte Tischmanieren habe. Offenbar war es ihm aber ohne weiteres gelungen, diese Defizite durch sonst brillantes Auftreten zu kompensieren.
Unter vielen Verdächtigen lassen sich also mit den Mitteln der Psychologie und der Kriminologie (mit Zurückhaltung und entsprechender Unsicherheit!) diejenigen eher ausschließen, die nicht fähig wären, einen Anlagebetrug zu begehen. Andererseits sind diejenigen Verdächtigen besonders gründlich zu überprüfen, welche die genannten psychischen Voraussetzungen besitzen.
Was für den Anlagebetrüger gilt, trifft ähnlich für viele andere Typen von Delinquenten zu: Auch sie besitzen spezifische psychische Merkmale. Darauf basiert die Konstruktion von Täterprofilen, auf deren Bedeutung wir später zurückkommen.
Delikte sind sodann soziale Erscheinungen und damit als Massenphänomene statistisch erfassbar. Ihre wissenschaftliche Bearbeitung ist eine der Aufgaben der Kriminologie. Die Ergebnisse sind kriminalistisch verwertbar. Man weiß aufgrund von Statistiken z.B., dass bei (vorsätzlicher) Brandstiftung in etwa 40% der Fälle der Täter der Eigentümer des zerstörten Objektes oder ein Angehöriger des Eigentümers ist, in 22% der Fälle ein Angestellter, in 16% der Fälle der Mieter oder Pächter. Das führt dazu, den Täter in erster Linie unter den Eigentümern, Angehörigen und Mietern zu suchen. Im Weiteren weiß man, dass Brandstifter häufig auch andere Straftaten begehen, und zwar vor allem Eigentums- und Gewaltdelikte; man wird also nach Vorbestraften suchen können. Schließlich ist aus amerikanischen Untersuchungen bekannt, dass 70% der Brandstifter das Feuer im Umkreis von wenigen Kilometern zu ihrem Wohnort legen; das wird also eine vorerst kleinräumige Suche nach dem Täter nahelegen. Hat man dagegen von einer vermutlich fahrlässig verursachten Feuersbrunst auszugehen, so könnte man mangels anderer Anhaltspunkte vor allem an Kinder denken, die mit Feuer gespielt haben.
Raphael Humbel hat errechnet,[19] dass die Täter bei vorsätzlichen Tötungsdelikten zu 40% aus Familie und Verwandtschaft, zu 19% aus dem Freundes- und Bekanntenkreis oder aus der Nachbarschaft des Opfers stammten; in 36% der Fälle konnte keine bekannte Beziehung zwischen Opfer und Täter hergestellt werden. Wenn man zusätzlich berücksichtigt, dass 89% der Täter männlich sind, gibt dies wertvolle Hinweise darauf, wo die Suche nach dem Täter (möglicherweise) am meisten Erfolg verspricht. Markant sind auch die Unterschiede zwischen Einzel- und Serientätern. Thomas Knecht gibt an, rund 80% der Tötungsdelikte gehe ein Interessenkonflikt zwischen Opfer und Täter voraus, es habe also eine Beziehung bestanden; bei Serienmördern dagegen bestehe in 82% der Fälle keine Vorbeziehung mit dem Opfer, bei sexuell motivierten Tötungshandlungen sogar bei 89%.[20] Findet man also kein konfliktbasiertes Motiv, dann sollte man eher nach einem Serientäter suchen.
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