„Tja“, sagte Hauptkommissar Onhoven. „Der Doktor hatte Recht mit seinem Zweifel an der offensichtlichen, selbstverpassten Überdosis. Gut, dass die Kollegen die Beweissicherung sorgfältig durchgeführt haben.“
Es war klar zu sehen, Hauptkommissar Dörner fand es gar nicht gut, dass der Doktor mit seinem Zweifel Recht gehabt hatte.
„So konnte die Ermittlungsarbeit gleich von Anfang an in die richtigen Bahnen laufen. Tatsache ist jedenfalls, dass Eugen Schäfer mit KO-Tropfen in der Cola betäubt worden ist und ihm dann die Überdosis gespritzt wurde. Es sollte wie ein Selbstverschulden aussehen, war aber Mord.“
„War er wegen Drogenschmuggel in Italien? War es ein Kunde, der seine Chance auf ein Freilos wahrgenommen hat und ihn deshalb umgebracht hat?“, formulierte ich einen möglichen Tathergang.
Die Blonde sah zufrieden aus, aber Onhoven beobachtete mich sehr genau und dazu nickte er bedächtig und nachdenklich. Ich konnte nicht einschätzen, was er wusste und welche Hypothesen er verfolgte, aber ich hatte den Eindruck, dass er Drogen nicht als Hintergrund und Motiv für den Fall ansah. Daher entschloss ich mich, herauszufinden, welches ihre Hauptermittlungsrichtung war und ob sie sich aufgrund dessen, was sie inzwischen ermittelt hatten, etwas anderes zusammenreimten und fragte: „Er hat aber nicht auf eigene Rechnung gearbeitet. Das LKA schaltet sich doch nicht ein, wenn ein kleiner, auf eigene Rechnung arbeitender Dealer von einem Kunden umgebracht wird. Und die Mordmethode passt nicht zu einem Kunden, der eine zufällige Chance wahrnimmt. Das war überlegt und vorbereitet, allerdings stümperhaft ausgeführt.“
Die Blonde sah überrascht aus, weil ich den Drogenbären nicht geschluckt hatte. Sie war aber narzisstisch genug zu erwarten, ich würde das Offensichtliche eins und eins zusammenzählen.
„Er ist ein Drogenkurier, der irgendwie nicht mehr passte und der deshalb umgebracht wurde. Das Ganze ist eine größere Geschichte, grenzüberschreitend, Mafia oder so. Deshalb ermittelt das LKA“, lockte ich.
In ihrem Auge war ein so beruhigtes Lächeln, dass sich meine Zweifel verstärkten. Sie war eine absolute Anfängerin. Onhoven sah mich immer noch nachdenklich an und Dietrich Dörner überlegte angestrengt, ob er vielleicht doch in irgendwelchen Schlamassel geraten war.
Ich wusste aber immer noch nicht, was sie dachten. Manchmal half fragen, manchmal kommt man mit Fragen erstaunlich weit, und so nahm ich mir die Kommissarin vor: „Was stimmt nicht an dieser Story? Sagen Sie es mir!“
Erschrocken sah sie mich an und suchte nach Worten. Peter Onhoven erbarmte sich ihrer, auch um zu vermeiden, dass sie etwas ausplauderte, was ich nicht wissen sollte. Er sagte: „Ehrlich gesagt, gibt es ein paar Gesichtspunkte, die nicht zu dieser Geschichte passen. Wir haben aber noch keine Theorie.“ Dabei blickte er sie sehr eindringlich an.
„Was hat Schäfer denn in Rom auf diesem Platz gemacht? Ist das ein Drogenumschlagplatz?“, bohrte ich und sah die Kommissarin dabei an, als wollte ich sie beißen.
Er hatte sie aber unter Kontrolle gebracht und sie würde nichts sagen. „Das ist einer der Gesichtspunkte, die nicht ganz passen: Die italienischen Kollegen sehen an dem Ort tatsächlich keinerlei Verbindung zu Drogen, dort befindet sich nur eine Kirche und ein Verwaltungsgebäude des Malteserordens. Vielleicht wollte er einfach mal sehen, wo sein Arbeitgeber sein Hauptquartier hat. Wir haben da nur Vermutungen“, versuchte er eine Begründung zu geben, die weder ihn, noch mich überzeugte und erst recht keinen der Gründe für die Zweifel an der Drogengeschichte ausräumte.
„Gibt es denn irgendwelche Anhaltspunkte für Drogengeschichten? Private Kontakte, Arbeitskollegen?“, lockte ich.
„Wir werden uns seine ehemaligen und aktuellen Arbeitskollegen vornehmen. Es hat da mal eine Geschichte gegeben, die aber im Sande verlaufen ist, weil sich das nicht feststellen ließ. Kann aber durchaus sein, dass da was war“, bestätigte Hauptkommissar Onhoven, was mir schon Alliard erzählt hatte.
„Wie ist er in den Rettungswagen gekommen? Hat eure Befragung von Taxifahrern etwas ergeben?“, versuchte ich es an einer anderen Stelle.
„Nein, wir wissen das noch nicht, und Hypothesen dazu sind noch nicht abschließend formuliert“, haspelte die Blonde, offenbar bemüht ihren Fehler wiedergutzumachen.
Dann schwiegen wir uns an. Ich hatte alles erfahren, was zu erfahren war, brauchte etwas zu trinken und sagte deshalb: „Es war nett, mit Ihnen zu plaudern und wenn Sie mich nicht mehr brauchen, gehe ich jetzt.“
Es reichte allen für heute und deshalb sagte Hauptkommissar Onhoven: „Okay, Sie können gehen.“ Kommissarin Blaire Bertes sah erleichtert aus und Dietrich Dörner wirkte sehr zufrieden damit, dass jedem klar war, er würde für wichtige Männer tanzen, aber in diesem speziellen Fall war er außen vor und würde sich auch aus allem raushalten.
Ich wurde nicht schlau aus diesem Hauptkommissar Onhoven und konnte seine Schritte nicht einschätzen. Warum er nicht an die Drogengeschichte glaubte, wusste ich zwar nicht, aber dass er hinter der Angelegenheit etwas anderes vermutete, lag ganz klar auf der Hand.
Ich hatte keine Angst, aber ich beschloss, mich vorerst nicht mehr mit dem Professor zu befassen, auch wenn er mich bei meinem Besuch angelogen hatte und nunmehr seinen Verdächtigungsindex stark gesteigert hatte, weil er seinen Buddy von Oberstaatsanwalt eingeschaltet hatte. Es war ganz gegen meine Gewohnheiten, denn wenn jemand versucht, mir Angst zu machen, ist das immer eine willkommene Herausforderung. Ich wollte aber Onhoven keine Gelegenheit geben, mich irgendwie aus dem Verkehr zu ziehen.
Es gelang mir, mich davon zu überzeugen, dass mein Zweifel an der Drogengeschichte nicht daher rührte, Julia Schäfer in ihre tiefen, türkisfarbenen Augen gesehen zu haben, als sie mich bat, zu helfen und nach Beweisen zu suchen, dass ihr Mann kein Drogendealer gewesen war. Es gelang mir, weil ich erstens bei meinem Gespräch mit von Richtplatz nicht so richtig an Drogen in dem Paket geglaubt hatte. Und zweitens, weil Alliard dementiert hatte, Eugen Schäfer habe etwas mit Drogen zu tun. Und drittens, weil ich schon während meines Gespräches mit dem Professor wusste, dass er etwas mit dem Fall zu tun hatte und sein Versuch mich kaltzustellen das bestätigte, er aber überhaupt nicht zu der Drogengeschichte passte: Die Vorstellung, dass er Drogen weiterverarbeitete, war lächerlich. Und viertens, weil Eugen Schäfer im Hauptquartier des Ordens gewesen war.
Es war ein berechtigter Zweifel!
Mittlerweile war es schon spät geworden. Es würde eine stille Nacht werden, aber durch die würden mir ein paar Drinks und das Deklamieren von Stefan Georges Gedichten helfen. Dabei würde ich über ein verschwundenes Paket, Humangenetik als Wissenschaft und einen Kelch nachdenken. Da ich den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte, erschien es mir angebracht, beim Dresden-Döner etwas zu essen, bevor ich Lina anrufen würde.
Es war alles wie immer: Die Glasscheiben der Theke waren ein wenig schmierig nach dem langen Tag, die Spieße drehten sich langweilig in mäßiger Geschwindigkeit und die Bedienung fragte „Mit scharf oder mit ohne scharf?“ Ich bestellte mit ohne scharf.
In der Ecke lief stumm auf einem Bildschirm die Aufzeichnung einer türkischen Musiksendung aus Vor-Corona-Zeiten: Eine fette Matrone in einem Seidenoberteil schüttelte ab und zu ihre Brüste, ansonsten schienen ihre Lippen den Stoffbezug des Mikros zu streicheln, während sie dazu ein bisschen dümmlich lächelte.
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