1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 Das war zwar klar widerlegbar, aber offensichtlich gab es zu den Gründen von Bernadea von Richtplatz keinen Tratsch. Deshalb versuchte ich es auf anderem Weg und fragte: „Wie ist Eugen Schäfer denn zu den Maltesern gekommen?“
Willig nahm er meine Frage auf: „Schon als Jugendlicher hat sich Eugen in unserem Libanon-Projekt engagiert. Bei der Bundeswehr war er dann im Sanitätsdienst und als er sein Medizinstudium abgebrochen und die Universität verlassen hat, hat er bei uns im Rettungsdienst angefangen.“ Sein Blick wanderte wieder zu seinem Salamibrötchen, aber er hatte sich unter Kontrolle und blickte mich wieder an.
„Wissen Sie, wo Eugen Schäfer in den letzten Tagen war und was er gemacht hat?“, ermunterte ich ihn, obwohl er mir mittlerweile auf die Nerven ging.
„Nein, er hatte Urlaub.“
Trotz seiner Leutseligkeit kam ich in dieser Frage offensichtlich nicht recht weiter, versuchte es aber trotzdem noch einmal: „Können Sie sich erklären, wieso er während seines Urlaubs im Krankenwagen saß und dort dann umkam?“ Die hochstehende Sonne konnte die Atmosphäre in diesem Büro nicht retten und mir fiel es zunehmend schwer, mich auf die Befragung zu konzentrieren.
„Nein, vielleicht fragen Sie mal Vitali Rau. Er war ein enger Arbeitskollege. Aber am besten fragen Sie den Leiter Rettungsdienst als seinen Vorgesetzten.“ Ich verstand nunmehr, dass er geübt war, Verantwortung abzuwälzen.
Ich griff dann zum Routine-Instrumentarium: „Hat es jemals irgendwelche Hinweise in Richtung Drogen gegeben? Komisches Verhalten, merkwürdige Besuche oder Anrufe? Fehlten vielleicht mal Betäubungsmittel?“
Er sah ein wenig bestürzt aus und Vorsicht trat in seine Augen: „Nein, das habe ich alles schon Ihrer Kollegin erzählt. Über die Betäubungsmittel führen wir streng Buch, das können Sie mir glauben. Aber da sprechen Sie auch am besten Herrn Alliard als Leiter Rettungsdienst an. Er ist der Vorgesetzte der beiden und hat damals auch die Untersuchung geführt.“
„Untersuchung?“, hakte ich nach. Drogen waren eine klare und einfache Sache.
„Ja, es gab da mal eine Untersuchung, weil Betäubungsmittel verschwunden waren. Aber das habe ich doch schon Ihrer Kollegin erzählt, warum sprechen Sie nicht mit der, sie wollte das in Essen klären“, wand er sich.
Ich wollte ihn nicht damit verwirren, dass ich allein arbeitete und erwiderte daher nichts. Ich hatte inzwischen starke Kopfschmerzen und meine Ambitionen, hier noch länger auszuhalten, waren aufgebraucht, da ich wegen der Maske und seinen Ausdünstungen nur schwer atmen konnte. Er würde auch nichts mehr sagen, was zum Fall beitragen würde. Was er mir eröffnet hatte, reichte auch erstmal hierzu. Ich wusste, es war unanständig, wie ich mich verhielt, aber ich erhob mich abrupt, bedankte mich und überließ ihn der Ausführung wichtiger Aufgaben und seinem gehässigen Leben.
Ich wollte es mir nicht eingestehen, aber nichts schien dagegen zu sprechen, Eugen Schäfer hätte mit Drogen zu tun gehabt und war deshalb umgebracht worden. In mir sträubte es sich zwar anzunehmen, dieser Forscherverein wäre ein Teil einer Drogengeschichte, aber auch dagegen sprach im Moment nicht viel. Ebenso wenig sprach dagegen, der Professor und dieser Studentenfunktionär hätten etwas damit zu tun. Es könnte sein, dass der Forscherverein Auftraggeber der Drogenverteiler und der Studentenführer Spitze der Verteilerkette waren. Und auch, wenn das absolut nicht überzeugend klang: Der Professor hätte vielleicht mit der Aufbereitung oder Weiterverarbeitung der Drogen zu tun. Wenn ich es so von rechts nach links und wieder zurück wälzte, passte es eigentlich sogar sehr gut. Wenn man das Motiv Drogen und den angenommenen Hintergrund von Auftraggeber, Weiterverarbeiter und Verteilernetz zusammenzählte, könnte sich irgendwo da dann auch der Täter finden lassen.
Dagegen sprach einfach nur mein Gefühl und ich versuchte, mich zu überzeugen, dieses Gefühl beruhte nicht einzig darauf, dass mich Julia Schäfers türkisblaue Augen angesehen hatten.
Ich hatte noch genug Zeit, bei dem direkten Vorgesetzten von Eugen Schäfer, dem Leiter Rettungsdienst, einige Ballons steigen zu lassen und machte mich über die A 448 und die A 40 auf den Weg nach Essen. Ich erwartete eigentlich nicht, auf Beweise für oder gegen eine Drogengeschichte zu stoßen. Ich würde es aber vielleicht schaffen, genügend Informationen zu erhalten, damit sich das Gefühl verflüchtigte, mit der Drogengeschichte auf der falschen Fährte zu sein. Dann müsste ich mich auch nicht mit einem Kelch mit rein ideellem Wert auseinandersetzen, denn damit fühlte ich mich genauso unwohl.
Ich fand den Besucherparkplatz auf Anhieb und tatsächlich wurde ich direkt zum Leiter Rettungsdienst vorgelassen.
Norbert Alliard war ein Mittvierziger mit einer modischen Brille und wachen Augen. Er steckte in einem blauen Pullover, einer dunkelgrauen Pepita-Hose, trug eine schwere Taucheruhr und lächelte mich freundlich an. Mit seinem glattrasierten Gesicht, in dem sympathische Lippen, eine kleine Stupsnase und intelligente Augen miteinander harmonierten, war er eine angenehme Erscheinung. Seine Haare waren dunkel und ich vermutete, er war vor kurzem beim Friseur gewesen, da auch seine Augenbrauen sorgfältig gestutzt waren. Das Blau seiner Augen war sehr intensiv, aber sicher war es Zufall, dass das Blau seines Pullovers damit sehr gut zusammen wirkte.
Nachdem er mir das Abnehmen der Maske mit ganz netten Worten vorgeschlagen und wir uns bekannt gemacht hatten, seufzte Alliard und verlieh seinem Kummer Ausdruck: „Schlimme Sache, das.“
Ich nickte zustimmend und seufzte auch. Er war nicht dumm und es gefiel mir, dass er sofort wusste, worum es ging.
Sein Büro war nicht sonderlich groß und der Besucherstuhl wirkte irgendwie vor dem Schreibtisch eingezwängt. An der Wand stand ein geschlossener Aktenschrank, die Lamellen waren etwas matt vom häufigen Öffnen und der Schlüssel fehlte. Auf seinem Schreibtisch lag ein Ordner, in dem sich aber nur wenige Blätter befanden, ansonsten war der Tisch leer, außer der obligatorischen Tastatur, der Maus und einem etwas altmodischen, eckigen Computermonitor.
Er nahm einen Block und einen Stift aus der Schreibtischschublade, legte sie vor aus, um eventuell mitschreiben zu können und sagte dann: „Es muss ein Schock für die Familie sein, er ist ja erst ein paar Jahre verheiratet.“ Er nahm den Aktenordner und stellte ihn aufrecht unter seinen Schreibtisch. „Und Sie sind von der Familie beauftragt, die These der Polizei zu widerlegen, dass es sich um einen Drogentoten handelt“, stellte er fest.
„So ungefähr“, antwortete ich.
„Ja, da macht die Polizei es sich wirklich zu einfach“, fuhr er mit seinen Feststellungen fort. „Es gab da zwar mal eine Untersuchung wegen Entwendung von Betäubungsmitteln, aber … Ich habe gerade noch einmal die Aktennotiz angesehen, das Ganze ist, wie soll ich sagen, doch etwas komplizierter.“
Ich sah ihn mit hochgezogener Braue zur Unterstützung meiner Frage an: „Komplizierter?“
Er verstand wiederum sofort: „Ich mache es einfach für Sie. Es ist mir wichtig, hier zu helfen, dass der Tod von Eugen Schäfer aufgeklärt wird.“ Er machte eine bedächtige kleine Pause und fuhr dann fort: „Unsere Rettungssanitäter, Rettungsassistenten und insbesondere Notärzte sind stark belastet. Es ist vor rund einem Jahr zu Diskrepanzen mit Betäubungsmitteln gekommen. Die Vermutung lag nahe, dass Betäubungsmittel entwendet wurden. Im Bericht steht, dass sich nicht genau feststellen lässt, warum es Abweichungen in den Mengen der Betäubungsmittel gab. Es könne daran liegen, dass bei der Dosierung am Unfallort etwas schiefgegangen ist, zum Beispiel eine defekte Spritze etc. und sich daraus mit höherer Wahrscheinlichkeit die Unregelmäßigkeiten erklären lassen.“ Seine blauen Augen waren etwas zusammengekniffen, als er fortfuhr: „Der Notarzt arbeitet auch jetzt nicht mehr für uns.“ Er öffnete die Augen weit und seine Brauen kräuselten sich dabei. „Es ist mir wichtig, dass der Tod von Eugen Schäfer aufgeklärt wird, auch wenn das bedeutet, dass die Untersuchung von damals nicht ganz zutreffend bzw. nicht sorgfältig genug war. Das wäre für mich zwar nicht schön, aber verkraftbar.“ Als er fertig war, blickte er mich mit halboffenem Mund an.
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