Ich überlegte kurz, ob ich die Renitenz-Karte spielen sollte. Aber da ich seinen hasserfüllten Blick sah, eine Abwägung der Erfolgschancen nicht positiv ausfiel und ich auch nicht wusste, in welche Richtung ich weiter fragen sollte, beschloss ich, die Befragung zu beenden. Ich stand also auch auf und wandte mich Richtung Tür.
Obwohl ich keinerlei Anhaltspunkte herausgefunden hatte, wie seine Verwicklung in den Fall aussah, wusste ich, dass Professor Ruben Osbert mit hoher Wahrscheinlichkeit darin eine Rolle spielte. Das war schon mal was und deshalb sagte ich beim Herausgehen artig ‚Danke‘. Ich wusste genau, wenn man nicht locker ließ, fand man im Laufe der Zeit immer mehr heraus und darunter war dann auch etwas, das als Tatsache an der Verwicklung klebte und auch einen gefassten, schlauen und vorsichtigen Professor zum Auspacken brachte.
Nachdem ich seine Tür geschlossen hatte, schickte ich noch einen Blick in die aufmerksamen Augen der Vorzimmerschönheit, die hinter ihrem Schreibtisch saß und die Beine übereinander geschlagen hatte, bedankte mich auch bei ihr und nahm mir vor, ihr ‚Auf Wiedersehen‘ zu überdenken.
Es dauerte etwa eine halbe Stunde und gefühlt circa gefragte 100 Studenten auf dem Campus, bis ich herausgefunden hatte, Anton Wewersdorf war zwar Student der Geschichtswissenschaften, nahm aber im Wesentlichen politische Aufgaben in der Studentenvertretung und im AStA wahr, so wie es auch Julia gesagt hatte.
Hinter der Tür mit der Aufschrift ‚Autonomes AStA-Referat‘ fand ich einen blassen, ziemlich kräftigen Jungen mit schwarzem Haar, der mich mit einem abweisenden Blick ansah, als ich durch die Tür kam. Er trug schwarze Jeans, ein schwarzes T-Shirt und eine schwarze Lederjacke. Ihm gegenüber saß ein Blondschopf, um dessen Mundwinkel sich ein grausamer Zug herausgebildet hatte, der mir wie eingebrannt erschien. Ansonsten war er das, was man gutaussehend nennen würde: Ebenmäßiges Gesicht, gerade Nase und dazu ausdrucksstarke, graue Augen mit gleichmäßigen kräftigen Wimpern und kühn geschwungene Augenbrauen. Er trug ebenso schwarze Jeans, schwarzes T-Shirt und eine schwarze Lederjacke.
Beide saßen an abgenutzten Schreibtischen auf verwohnten Stühlen. Ein weiterer leerer Schreibtisch mit einem Stuhl stand vor Kopf, so dass die drei Tische eine große Insel bildeten. Auf der Insel herrschte ein Chaos aus Papierstapeln, einzelnen Blättern, IT-Ausstattung, Telefonen, einem großen Locher, leeren und halbvollen Mineralwasserflaschen, Schreibutensilien und sonstiger Büroausstattung.
„Ich suche Anton Wewersdorf“, begrüßte ich die zwei.
Der Schwarzhaarige sah mich mit zusammengekniffenen Augenbrauen an und hieß mich dann mit den Worten willkommen: „Es stört Dich, dass der Neoliberalismus überall wächst und Du möchtest endlich etwas tun, stimmt‘s?“
Sein Hohn war hässlich und die Geringschätzigkeit, die daraus sprach, passte gut zu dem schäbigen Büro. An der Wand in seinem Rücken hing eine Flagge mit einem aufgedruckten Che Guevara, an den anderen Wänden hingen Plakate mit Aufschriften wie ‚Stoppt die Ausbeutung‘, oder ‚G7 in Hamburg – Kommt auch‘ und Ähnliches. An der Türwand war ein Einbauschrank, in dem Akten, Bücher, Kartons mit unbekanntem Inhalt, einige Tassen mit Stiften, anderer Krimskrams, einige Blechdosen mit Logos von Kaffeeherstellern und eine alte, schmutzige Kaffeemaschine samt leeren, schmutzigen Kaffeebechern standen.
„Nein, ich habe nichts gegen Freiheit“, entgegnete ich. Mit der Maske fühlte ich mich aber irgendwie unwohl und da mir niemand einen Sitzplatz anbot, trat ich nur etwas aus der Tür, schloss diese und blieb mit dem Rücken zu dem Einbauschrank stehen.
Überraschung verdrängte die Überheblichkeit aus dem Gesicht des Schwarzhaarigen. Seine Haut spannte sich über den breiten Wangenknochen, seine tiefliegenden Augen blitzten und seine unverheilten Akne-Pusteln zwischen den groben Poren seiner Haut kontrastierten besonders gut zu seiner Blässe: „Sie sehen aus wie ein Bulle, ich dachte Sie sind undercover hier. Was wollen Sie von mir?“ Nachdenklich hing sein Blick an meinem Gesicht, streifte dann meinen Anzug, während er an der abgesplitterten Kante seines Schreibtisches herumrieb. Dabei zog er die Augenbrauen hoch, als wenn es ihm wehtäte und lächelte gekünstelt.
Das Ganze war gar nicht so, wie ich es erwartet hatte, aber es machte keinen Sinn herumzuplänkeln. Er war sofort zur Sache gekommen und ich steuerte deshalb auch sofort auf den Kern der Sache zu: „Sie kennen Eugen Schäfer und haben seine Ehefrau angerufen, wegen eines Paketes. Warum interessiert Sie das Paket?“
Bestürzung und Verunsicherung krochen seine Schläfen hoch und seine Nasenlöcher weiteten sich. Eine Hand lag auf dem Schreibtisch direkt neben einem der Telefonapparate und begann zu zittern, die andere Hand verschwand fahrig unter dem Tisch. Dann murmelte er: „Das Paket …“ Die Hand kam wieder zum Vorschein und krallte sich an die Tischkante. „Warum waren Sie bei Julia Schäfer?“, fragte er dann irritiert und unschlüssig, während er mit der zitternden Hand begann, nervös an seinem Ohr herumzunesteln.
Der grausame Zug um den Mund des Blonden war verschwunden und er sah uns aufmerksam und ernst zu.
Da ich nichts zu verheimlichen hatte, sagte ich: „Ich bin Privatdetektiv und heiße Koslowski. Ich war bei ihr, um herauszufinden, warum Eugen zu Tode kam. Ich war an dem Abend zufällig vor Ort, als der tote Eugen gefunden wurde und dachte, es könne nicht schaden, etwas nachzuforschen.“
Als ich meinen Satz fertig hatte, wusste ich, ich hatte direkt in die richtige Stelle gestochen, denn aufgeregt stieß Anton hervor: „Du warst dabei, als sie ihn gefunden haben“, um dann erschrocken zu zischen: „Hatte er das Paket dabei?“
Ich war wirklich verblüfft von der Entwicklung des Gespräches, antwortete aber auf seine Frage mit „Ich habe kein Paket bei ihm gesehen“, um herauszufinden, wie weit ich damit kam.
„Wirklich nicht?“, fragte er ungläubig, und auf mein Kopfschütteln hin wurde er erkennbar ruhiger, obwohl die an die Tischkante gekrallten Finger inzwischen weiß wurden.
Um weiter Energie herauszunehmen, sagte ich: „Als er gefunden wurde, hatte er kein Paket dabei. Entweder muss sein Mörder das Paket mitgenommen haben, oder er hatte nichts dabei, als er mit dem Malteserwagen losfuhr.“
Offenbar funktionierte meine Beruhigung, denn er ließ die Tischkante los und machte mit dieser Hand eine lose, unbestimmte Faust. Auch sein Geknibbel am Ohr hörte auf, aber er konnte seine Finger nicht ganz ruhig halten, denn sie begannen, die Ecken der auf einem Stapel vor ihm liegenden Papiere zu rollen. Während Anton dabei „Interessant“ murmelte, sah er unbestimmt, aber konzentriert zum Fenster.
Obwohl ich nicht wusste worüber, war klar, er dachte nach. Offenbar war das ansteckend, denn auch der Blonde sah andächtig zum Fenster.
„Wissen Sie, was er in Italien gemacht hat?“, fragte Anton dann tonlos, ohne sich mir zuzuwenden. Die Finger hörten mit dem Papiereckenrollen auf und trommelten stattdessen auf der Tischplatte herum und ich bemerkte, dass er wieder unruhiger wurde.
„Nein, das versuche ich herauszufinden. Wissen Sie etwas darüber?“
Anton sah mich dann mit fiebrigen Augen an. „Haben Sie schon etwas über den ‚Verein zur Erforschung des Erbes der Katharer‘ herausgefunden?“, fragte er dabei unhöflich, ohne auf meine berechtigte Frage näher einzugehen.
Diese Befragung lief absolut nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Er wusste aber offensichtlich von dem Forscher-Verein und dessen Interesse an dem Paket. Ich trieb daher die Sache weiter voran: „Nein, aber der Vereinsvorsitzende interessierte sich auch dafür, ob es ein Paket als Hinterlassenschaft von Eugens Besuch in Rom gibt.“
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