Jobs, der drei Jahre zuvor zu Apple zurückgekehrt war, genoss den verbalen Schlagabtausch und setzte Leonardo da Vinci und Gandhi an die Spitze seiner Liste. Leonardo, ein großartiger Künstler und Erfinder, hatte in brutalen Zeiten gelebt.
Er war Konstrukteur von Panzerwagen, Zinnen, Befestigungswällen und vieler weiterer militärischer Waffen und Befestigungsanlagen für Festungen. Larry scherzte: Wenn Leonardo nicht schwul gewesen wäre, dann hätte er »die perfekte Ergänzung für die Bush-Behörde« sein können. Jobs, der in Indien studiert hatte, zitierte Gandhis Lehre der gewaltlosen Revolution als ein Beispiel, wie es möglich sei, moralisch sauber zu bleiben und dennoch nach dem Wechsel zu streben. Larrys Wahl des großartigsten Menschen der Geschichte hätte im Vergleich zu Gandhi nicht unterschiedlicher ausfallen können: der auf Korsika geborene Heerführer Napoleon Bonaparte. »Napoleon stürzte Könige und Tyrannen in ganz Europa. Er kreierte ein öffentliches und kostenloses Schulsystem und schrieb mit dem Code Napoleon Gesetze, die für jeden galten. Napoleon verwirklichte liberale Ziele mit konservativen Mitteln«, begründete Larry seine Wahl.
Larry und Steve schritten über Larrys 133 546 Qudratmeter großes Grundstück namens Sanbashi, für das allein die Bauplanung vier Jahre und die Bebauung ein weiteres Jahrzehnt in Anspruch genommen hatte. Das Anwesen lag eine Stunde von San Francisco entfernt in einer bewaldeten Umgebung mit bewachten Pferdeställen. Es verfügte über einen von Menschenhand errichteten 12 141 Quadratmeter großen See, sechs Gästehäuser und ein Haupthaus, das in zwei Bereiche unterteilt war. Einer diente der öffentlichen Unterhaltung, der andere war privat. Alles war über mehrere Wege im Freien miteinander verbunden. Der See war erdbebensicher konstruiert worden, indem man ihn aus drei verschiedenen Betonschichten gegossen hatte. Tausende Steine auf dem Grundstück waren von dem japanischen Garten- und Landschaftskarchitekten Shigeru Namba, einem gefeierten Künstler, handverlesen ausgewählt und nach Zen-Prinzipien arrangiert worden. Sie wirkten, als wären sie dort über Jahrtausende hinweg von Gott platziert worden. Die Holzhäuser waren mit japanischer Verzapfung und ohne einen einzigen Nagel konstruiert worden. Das Holz kam aus dem pazifischen Nordwesten über Japan. Weil das beste Holz Nordamerikas beinahe immer von Japanern gekauft wurde, die den Preis dafür zu zahlen bereit waren, flogen Larrys Designer nach Japan, um dieses Holz zurück nach Hause zu bringen. Die Trägerbalken im Holzhaus waren aus Douglastanne aus British Columbia, die Decken bestanden aus Zedernholz, das in Oregon und im Bundesstaat Washington angebaut wurde. Auf den Böden war helles Anegre aus Afrika verlegt. Alle Fenster waren aus Museumsglas gefertigt, das sonst für Gemälde genutzt wurde, um Reflexionen zu vermeiden. Nie zuvor hatte jemand Museumsglas auf diese Weise eingesetzt.
Sie saßen am See unter der ausufernden alten Eiche und turmhohen Mammutbäumen. Larry wiederholte seine Argumente gegenüber Steve. »Napoleon hat das moderne öffentliche Bildungswesen erfunden, öffentliche Museen und das moderne Rechtssystem. Und er hat die staatlich geförderte religiöse Diskriminierung beendet.« Und als wäre das noch nicht genug gewesen, sagte Larry, hätte er die Ghettos geräumt und den Juden Gleichheit vor dem Gesetz gegeben. »Napoleon hat Angriffskriege geführt, um Könige und Tyrannen zu stürzen. Er hatte keine Wahl. Sie konnten nicht dazu überredet werden, von ihrem Thron zu steigen.«
Steve hatte das alles schon einmal gehört und war doch nicht zu überzeugen. »Die Napoleonischen Kriege sind nach Napoleon benannt worden. Es ist keine wirklich gute Sache, wenn viele Kriege nach dir benannt werden«, konterte Steve und machte lange Pausen zwischen den Sätzen. Das war so seine Art. »Im Gegensatz dazu waren Gandhis Methoden moralisch und seine Erfolge erheblich. Er hat Indien zur Unabhängigkeit geführt.«
»Ja«, sagte Larry, »Indien hat seine Unabhängigkeit bekommen. Und damit einhergehend einen völkermörderischen Bürgerkrieg zwischen Hindus und Muslimen. Auf beiden Seiten sind unzählige Menschen abgeschlachtet worden.« Jobs merkte an, dass Gandhi in den Hungerstreik getreten sei, um den Krieg zu stoppen. »Ja, und für seine selbstlosen Einsätze ist Gandhi wie Lincoln erschossen und zum Märtyrer gemacht worden«, sagte Larry, »Amerikas größter Präsident hat sich an einem Krieg beteiligt, in dem mehr als 600 000 Menschen ihr Leben verloren. Er ignorierte die Verfassung und setzte den Habeas-Corpus-Grundsatz außer Kraft. Er setzte die Einberufung in Gang, um die Reihen der Unionsarmee aufzufüllen. Nach der Schlacht von Gettysburg musste er Truppen nach New York City entsenden, um die Aufstände gegen die Einberufungen niederzuschlagen. Sogar der heilige Lincoln war bereit, Zuflucht in der Gewalt zu suchen, um die Nation von der Sklaverei reinzuwaschen und die Nordstaaten zu schützen. Er konnte dem Süden die Abspaltung und die Sklaverei nicht ausreden. Die Erkenntnis ›Gewalt hat noch nie ein Problem gelöst‹ ist Unsinn.«
Larry und Steve hatten sich in Technologiekreisen kennengelernt. Sie waren seit ihrem ersten privaten Treffen Mitte der 1980er-Jahre Freunde. Steve hatte ein Haus in Woodside gekauft, das nur einen Hügel hoch von Larrys Haus entfernt lag. Sein Vorgarten begann, wo Larrys Anwesen endete. Eines Morgens, kurz nachdem Steve eingezogen war, war Larry vom Geschrei kreischender Vögel geweckt worden. Es waren Pfauen. Larry stapfte den Hügel hinauf und klopfte an die Tür, die von Steve geöffnet wurde.
»Steve, sind das deine Pfauen?«, fragte Larry.
»Ja, sie haben mich auch aufgeweckt. Sie sind wirklich laut, nicht wahr?«, antwortete Steve. »Sie waren ein Geburtstagsgeschenk. Ich weiß nicht, was ich mit ihnen machen soll. Ich hasse sie.«
Larry war ein Tierliebhaber und unterstützte Rettungsstationen für Tiere in aller Welt. Er entwarf mit Steve einen Plan für den Umzug der Geburtstagsvögel. Der Plan war einfach. Steve sollte einfach alle Schuld auf seinen nachtaktiven Nachbarn schieben, der sich darüber beschwert hatte, bei Sonnenaufgang von den schreienden Pfauen geweckt worden zu sein. Der seines Schlafes beraubte Nachbar hätte sogar damit gedroht, Rezepte für Pfauengerichte nachzuschlagen. Die Situation sei ernst und ließe Steve keine Wahl. Er lebte nun einmal in einer pfauenfeindlichen Umgebung und musste die Vögel zu ihrer eigenen Sicherheit loswerden.
Steve hielt den Plan für eine großartige Idee und führte ihn perfekt aus.
Da die beiden Männer nun wieder gut ausgeschlafene Nachbarn waren, begannen sie, mehr Zeit miteinander zu verbringen. Sie unternahmen gemeinsame Spaziergänge durch Woodside, gingen zusammen im Castle Rock State Park Fahrradfahren, den sie gleichermaßen als ihren Mini-Yosemite-Park schätzten. Und sie verbrachten gemeinsame Familienferien in Koona Village auf Hawaii. Ihre »Wer ist der Größte?«-Unterhaltung hatten sie schon öfter geführt. Steve hatte Alexandre Gustave Eiffel vorgeschlagen, der den gleichnamigen Turm gebaut hatte; Arthur Rimbaud, den französischen Poeten aus dem 19. Jahrhundert; Bob Dylan, von Rimbaud beeinflusst; und Sokrates, von dem Steve sagte, dass er seine gesamte Technologie gegen einen Nachmittag mit ihm eintauschen würde. Sie debattierten auch über die Rolle der Gründer großer Religionen, darunter Jesus Christus und Mohammed. Steve sagte gern, dass die Beatles seine Management-Vorbilder waren. Vier Jungs, die sich gegenseitig in Schach hielten und etwas Großartiges produziert hatten. Larry mochte Galileo Galilei und Winston Churchill. »Winston Churchill hat die westliche Zivilisation gerettet«, sagte Larry und wusste, dass sein Freund Churchills Methoden nicht guthieß. »Churchill hat Hitler von der Invasion in England abgehalten. Die englische Bevölkerung wurde nicht versklavt wie so viele andere. Klar, er hat das geschafft, indem er viele deutsche Flugzeuge abgeschossen und die deutsche Flotte versenkt hat. Nicht jedes Problem kann mit Reden gelöst werden.«
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