1 ...6 7 8 10 11 12 ...26 Larry setzte sich im Lokal an einen Tisch. Er dachte immer noch über die Abtrünnigkeit von Superstar Coutts und seinen Kiwis nach, als SAYONARAS höchst geselliger Trimmer Tony Rae dazukam und fragte, ob er darüber nachgedacht habe, sein Team auf ein neues Niveau zu heben. Er wies darauf hin, dass Larry mit Dickson, Butterworth, Joey Allen, Robbie Naismith und sich selbst bereits über eine eindrucksvolle Crew verfüge. Dazu über ein von Bruce Farr angeführtes Design-Team und das von einem weiteren Kiwi namens Mark »Tugsy« Turner geführte Bootsbauteam.
»Ist jemals irgendjemand im America’s Cup zu Tode gekommen?«, fragte Ellison mit einem Augenzwinkern. Nach der Sydney-to-Hobart-Regatta hatte Larry dem Hochseesegelsport zugunsten von küstennahen Tagesrennen abgeschworen. Rae, der von allen nur »Trae« genannt wurde, war seit 1987 Mitglied im Team New Zealand und Teil der Crew, die den Cup 1995 gewonnen und im Jahre 2000, also erst zwei Monate zuvor, erfolgreich verteidigt hatte. Er lachte Larrys Frage einfach weg (die Antwort lautete ja; ein spanischer Segler war während eines Trainings an Bord einer America’s-Cup-Yacht ums Leben gekommen).
Trae fuhr fort zu erklären, wie eine solche Kampagne zu formieren sei und was dafür nötig wäre. Ein Syndikat oder ein Team für den America’s Cup aufzubauen sei wie der Startschuss zu einer politischen Kampagne. Der Kandidat – Team, Skipper und Crew – müssten vorbereitet sein und die Eröffnung gewinnen. In diesem Fall also die Qualifikation zum America’s Cup namens Louis Vuitton Cup. Erst dann ginge es in den entscheidenden Tanz.
Wie in der Politik würde ein manipulativer Gesetzgeber die künftigen Wettbewerber kontrollieren und bis zu seiner Absetzung regieren. Beherrscht würde der Cup fast von Beginn an von der 1857 entstandenen Stiftungsurkunde (»Deed of Gift«). Zu der damaligen Zeit war es ein Dokument mit 240 Worten, das »einen friedlichen Wettbewerb zwischen verschiedenen Nationen« versprach und verkündete, dass der Herausforderer »auf eigenem Bug« zur Austragungsstätte anreiste. Eine weitere Klausel infolge der nächsten Überarbeitung verbannte Teams von Clubs, die an Binnensee-Revieren zu Hause waren, und schrieb herausfordernden Yachten vor, dass sie Rennen an einem Meeresarm auszurichten hätten. Weitere Zusätze zur Stiftungsurkunde schrieben eine ganze Reihe von zusätzlichen Anforderungen vor. Darunter vom Zeitraum, in dem Teams eine Herausforderung bekannt zu geben haben, bis hin zu den Yachtspezifikationen und dem Prozess der Registrierung.
»Warum also machst du keinen America’s Cup?«, fragte Rae, während er am Tisch kniete und auf den nun schon eine Stunde verspäteten Beginn der Siegerehrung wartete. Rae versicherte Larry, dass Ernesto Bertarelli mit seinem großen Portemonnaie und seinem noch größeren Ehrgeiz nicht der Einzige wäre, der talentierte Kiwis auf seine Seite ziehen könne. Rae bot für die Planung und die Strukturierung seine Hilfe an.
Larry dachte über die Idee nach. SAYONARA hatte seit ihrer Taufe im Jahre 1995 kein einziges Rennen in Küstennähe verloren. Team New Zealand hatte seit 1995 nicht mehr verloren. Irgendjemand aber musste 2003 verlieren. Bislang schienen die Kiwis unbesiegbar. Aus dem gleichen Grund, warum er sich nicht mit verheirateten Frauen traf, hatte Larry nicht die Absicht, Kiwis abzuwerben: Er wollte keine Familie zerstören.
»Okay, dann lass’ es uns machen«, sagte Larry zu Raes Überraschung. Der Oracle-Boss hatte sich weder nach den Kosten noch nach möglichem Sponsoring erkundigt. Fragen, die üblicherweise eine solche Entscheidung maßgeblich beeinflussen, weil eine Cup-Kampagne einen Eigner zwischen 50 und 100 Millionen US-Dollar kosten und Jahre der Planung bis zum ersten Rennen verschlingen kann. Larry argumentierte, dass er das Football-Team der San Francisco 49ers kaufen, aber deswegen nicht selbst Quarterback werden könne. In diesem Fall jedoch konnte er ein Team kaufen und selbst das Steuer in die Hand nehmen. Er hatte den festen Vorsatz, selbst zu steuern.
SAYONARAS Manager Bill Erkelens stand etwa sechs Meter entfernt vom Tisch, als mit Robbie Naismith ein weiterer der siegreichen neuseeländischen Cup-Segler zu ihm herüberkam und mit leiser Stimme sagte: »Du gehst da besser mal rüber. Sie sprechen über eine America’s-Cup-Teilnahme. Und sie machen keine Scherze.«
Larry sagte Erkelens, dass er am America’s Cup teilnehmen wollte, falls sie SAYONARAS Designer Bruce Farr verpflichten könnten.
Erkelens schaute Larry an und nickte. Dann begann die Siegerehrung.
Erkelens war es gewohnt, von seinem Boss überrascht zu werden. Er war sechs Jahre zuvor von Larrys Nachbar David Thomas für den Bau und das Regattamanagement von SAYONARA eingestellt worden. Larry Ellison traf Erkelens persönlich erstmals, als er ihn in seinem Haus im kalifornischen Atherton besuchte, um ihm die fertigen Zeichnungen von SAYONARA zu zeigen. Sein Leben lang ein leidenschaftlicher Segler und Liebhaber von Booten, hatte Erkelens doch nie zuvor eine Yacht wie sie gesehen. SAYONARA würde spektakulär sein. Er und Thomas präsentierten die Entwürfe. Larry schaute sie an und hatte nur eine einzige Frage: »Kann sie gewinnen?« Danach erkundigte er sich mit Begeisterung in der Stimme, ob sie sich vielleicht die Zeichnungen von einem neuen Flugzeug ansehen wollten, dass er gerade baute. Erkelens verließ das Meeting ohne Idee, ob das SAYONARA-Projekt nun verabschiedet sei. Was er aber verstanden hatte, war die Tatsache, dass er es mit einem Exzentriker zu tun hatte.
Eine Woche nach der Siegerehrung auf Antigua und nach der Überführung von SAYONARA zurück nach Südflorida erhielt Erkelens einen Anruf aus dem Büro von Ellison. Larry war selbst am Apparat. »Hast du ihn verpflichtet?«, fragte Larry ohne Begrüßung.
»Wen verpflichtet?«, fragte Erkelens.
»Bruce Farr.«
»Du hast mit dem America’s Cup keine Scherze gemacht?«
»Nein, habe ich nicht.«
Yachthafen von San Francisco
Frühjahr 2000
Norbert schloss seine Werkstatt an der unteren Divisadero Street in San Francisco ab. Sie lag in einem von kleinen Handwerksbetrieben und Unternehmen besiedelten Gebiet. Ganz in der Nähe fanden sich öffentliche Wohngebäude und hier und da einige hippe Bars, Clubs und Cafés. Er stieg in seinen Truck und steuerte ihn in nördliche Richtung den steilen Teil Divisaderos hinauf in die Pacific Heights, wo einige der teuersten Immobilien weltweit zu finden waren. Als er den Broadway erreicht hatte, legte Norbert eine kurze Pause ein und schaute nach unten. Divisadero verschwand hinter ihm wie bei einer aufregenden Achterbahnfahrt. Vor ihm breiteten sich die Stadt und die Bucht wie ein wundervolles pastellfarbenes Gemälde aus. Sein Ziel, der Golden Gate Yacht Club, lag direkt voraus.
Bei seiner Einfahrt in den Hafen verlangsamte Norbert das Tempo, während er am St. Francis Yacht Club mit seinem Dach aus spanischen Fliesen und seinen imposanten Blicken über die Bucht vorbeifuhr. Zu seiner Rechten lag die Slipanlage für die Yachten der Mitglieder des St. Francis Yacht Clubs. Etwa 115 Meter die Straße hinunter passierte Norbert einen alten steinernen Leuchtturm, bevor die Straße sich erst von gepflegt in holprig und dann, auf dem letzten Stück zum Golden Gate Yacht Club, in völlig ungepflastert verwandelte.
Er parkte auf einem der vier Parkplätze vor dem Club und ging den mit Holz beplankten Weg entlang durch die große Tür mit ihrem Bullaugenfenster die Treppen hinauf in die Bar. Er hatte angefangen, mehr Zeit im Club zu verbringen, und war von Freunden aufgefordert worden, sich um das Amt des Kommodores zu bewerben. Er war offenbar genau das, wonach sie suchten: etwas jünger, ausgestattet mit einem kaufmännischen Diplom; er mochte schöne Boote und guten Wein und hatte über seinen Vater familiäre Bindung zum Verein. Jozo war 1996 nach Gertrudes Tod in den Golden Gate Yacht Club eingetreten, und Norbert war ihm gefolgt.
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