1 ...8 9 10 12 13 14 ...26 Von Zeit zu Zeit sprach Norberts Vater über seine Kindheit im von Tito beherrschten kommunistischen Jugoslawien. Jozos Fischerdorf Hodilje lag an der Küste Dalmatiens an der Adria. Hodilje bedeutete in der kroatischen Sprache »kleiner Dornhai«. Das Dorf war ein Ort, an dem Kinder lernten, einen Fisch zu bestimmen, bevor sie einen Fuß in die Schule setzten. Im Alter von 18 Jahren, am 22. Mai 1952 und nach vier Monaten angstvoller Planung, verließen Jozo und vier Freunde Hodilje in einer dunklen Nacht. Sie marschierten viele Kilometer bis zu einem steinigen Strand. Dann schwammen sie nach Olepi. Dort wartete etwas ganz Außergewöhnliches auf sie: ein motorisiertes Segelboot, das einem kommunistischen Arzt gehörte. Die jungen Männer – Jozo, Bendo, Rafo, Dani und Ante – flohen aus ihrem Leben, das von Unterdrückung und Armut geprägt war. Jozos älterer Bruder war derjenige gewesen, der auf dem Boot des kommunistischen Arztes hätte sein sollen. Doch er war geblieben. Zwonkos Jugendliebe Maria, die seine Frau und Mutter seiner Tochter geworden war, konnte ihre Familie nicht verlassen und hatte ihn gebeten zu bleiben. Also nahm Jozo Zwonkos Platz an Bord ein. Sie verbrachten fünf Tage ohne Wasser und Nahrung auf dem nur 4,20 Meter langen Holzsegelboot, denn die Vorbereitung von Proviant hätte jemanden misstrauisch machen können. Nur wenige Wochen zuvor war Jozos Cousin bei einem ähnlichen Fluchtversuch geschnappt und ins Gefängnis gesteckt worden. Als Jozo und seine vier Freunde im Seehafen Bari von der italienischen Polizei aufgegriffen wurden, sorgte ihre mutige Flucht vor dem Kommunismus für einige Schlagzeilen in Italien – und zu Hause in Hodilje.
Von Italien wurden Jozo und die anderen jungen Männer zum Arbeiten nach Deutschland geschickt. Jozo lernte Gertrude in einer Tanzhalle in Kaiserslautern im Südwesten Deutschlands kennen. Die beiden begannen sich öfter zu treffen. Jozo war ein Romantiker und umwarb Gertrude. Sie war beeindruckt von seinem guten Aussehen und seiner Arbeitsmoral. Sie hatten Verwandte in San Francisco, die ihnen erzählten, dass Amerika ein Land war, in dem sich mit harter Arbeit ein gutes Leben führen ließe. Jozo und Gertrude Bajurin und ihr kleiner Junge namens Norbert kamen am 14. Februar 1957 in Amerika an. Sie waren an Bord eines US-Navy-Truppentransporters, der USS GENERAL LANGFITT, von Bremerhaven in die Vereinigten Staaten gefahren. Norbert und seine Mutter blieben im Frachtraum unter Deck, während die Männer weiter oben untergebracht waren. Jozo und Gertrude trafen sich mit Norbert im Schlepptau zu den Mahlzeiten und zu Spaziergängen an Deck. Als das Schiff in den Hafen von New York einlief, schickte Jozo ein kleines Gebet gen Himmel. Boote waren gut zu den Bajurins gewesen. »Wir kamen mit dem Boot hierher«, pflegte sein Vater jetzt zu sagen, »und haben es hier ohne Hilfe geschafft.«
Jozo hatte damit begonnen, tagsüber Gräben auszuheben und nachts Pizza zu backen. Heute gehörte ihm die Werkstatt Alouis Auto Radiator in San Francisco. 1965 hatten er und Gertrude in Marin County ein kleines Haus für 35 000 Dollar gekauft. Seinem Sohn erzählte Jozo immer wieder: »Als ich noch ein Junge war, trug ich meine Schuhe auf dem Weg zur Schule immer über der Schulter, um die Sohlen vor Abnutzung zu bewahren.« Hodilje war ein Ort, an dem die Väter ihren Söhnen das Fischerhandwerk beibrachten und dabei Netze benutzten, die alt und begehrt wie ein Erbstück waren. Doch Norbert hatte das Fischen von den Freunden seines Vaters gelernt. Jozo konnte sehr schnell ungeduldig werden und war niemals wirklich richtig zufrieden mit seinem einzigen Sohn gewesen, den er über Tage, Wochen oder auch Monate mit seinem typischen Schweigen bedachte.
Es war sonderbar, dachte Norbert nun, dass er sich nicht an einen einzigen Tag in seinem Leben erinnern konnte, an dem sein Vater auf ihn stolz gewesen zu sein schien. Er war als Kind ein guter Fußballspieler gewesen, doch Jozo hatte sich nicht ein einziges Spiel angesehen. Er war auch ein pflichtbewusstes Kind gewesen. Da seine Eltern beide arbeiteten, kam er von der Schule in ein leeres Haus, machte ihre Betten und seines, den Abwasch und deckte den Tisch. Sogar noch bei Tisch klagte der europäisch geprägte Vater, wenn er riesige Mengen Milch trank: »Wann hörst du endlich mit der Milchtrinkerei auf und fängst an, Wein zum Essen zu trinken?« Was immer er tat, war falsch.
Als sie nach dem Mittagessen an Bord der CROATIA immer noch nichts gefangen hatten und die Miene seines Vaters sich langsam verdüsterte, sagte Norbert: »Du, Papa, ich glaube, ich habe Neuigkeiten für dich, die dir gefallen werden.«
Sein Vater blickte in seine Richtung. Norbert hatte immer gedacht, dass Jozo – wären da nicht diese leuchtend blauen Augen – mit seiner Größe, seiner Stattlichkeit und der gekrümmten Nase aussehen würde wie der Schauspieler Robert De Niro.
»Ich bin zum Kommodore des Golden Gate gewählt worden.«
Jozo schüttelte seinen Kopf. »Bist du verrückt geworden?«
»Papa, du liebst doch diesen Club«, sagte Norbert überrascht.
»Konzentriere dich aufs Geschäft«, sagte sein Vater verärgert, schwenkte seinen Sitz und kehrte ihm den Rücken zu. Es war die gleiche abrupte Beendigung des Gesprächs, die er in seinem letzten Jahr an der Highschool im Frühjahr 1974 erlebt hatte. Er war im November 18 Jahre alt geworden. Sein Einberufungsbefehl kam wenige Monate später. Er traf einen der Musterungsoffiziere. Ihm gefiel, was das Militär zu bieten hatte. Seine Eltern erwarteten von ihm ein Studium an der Universität von San Francisco, wo er bereits angenommen worden war. Doch Norbert hatte andere Pläne. Er verpflichtete sich für drei Jahre in der Armee und informierte seine Eltern erst nach der Entscheidung. Zuerst sprach er mit seiner Mutter darüber, denn er fürchtete sich vor der Reaktion seines Vaters. Er lauschte, als die beiden darüber diskutierten, wie sie ungeschehen machen könnten, was er getan hatte. »Können wir zu unserem Priester gehen und die Sache ändern lassen«, bettelte seine Mutter bei Jozo. Aber es war zu spät. Norbert verließ sie bald darauf, um in der Garage eines Freundes zu leben. Sein Vater sprach nicht mehr mit ihm. Norbert wurde trotzdem mehrfach ausgezeichnet und geehrt.
Nachdem sie zwei Störe gefangen und einen dritten freigelassen hatten, weil er die minimale Länge unterschritt, packten Norbert und Jozo zusammen und fuhren heim in Richtung San Francisco. Als sie aus dem geschützten Meeresarm hinausfuhren, konnte Norbert den dicken Nebel sehen, der sich über der Landzunge ergoss und wie die Finger einer Hexe nach den düsteren Stahlseilen der Golden Gate Bridge zu greifen schien. Die Nebelhörner bellten in ihrem tiefen nachhallenden Klang. Zwei von ihnen waren am Steg unter dem Südturm etwa sechs Meter über der Wasserlinie angebracht. Drei weitere hingen in der Mitte der Brücke. Norbert gefiel es, dass die moderne Technologie die Hörner bislang nicht ersetzt hatte. Sie waren seit Eröffnung der Brücke in Betrieb. Norbert wusste aufgrund der in der Bucht verbrachten Zeit, dass die Hörner am Steg einen längeren und tieferen Einzelton aussandten als die in der Mitte, die zwei Töne abgaben.
Die Bucht der Stadt bot einen schönen Anblick. Der nahende Nebel hatte die puderige blaue Farbpalette in ein perlmuttfarbenes Grau verwandelt. CROATIA fuhr so schnell sie konnte, um dem Nebel zu entkommen. Jozo hatte kein Wort gesagt, seit Norbert den Yacht Club und seine zukünftige Rolle als Kommodore erwähnt hatte.
Als er das Thema noch einmal anschneiden wollte, blickte sein Vater ihn kalt an: »Bleib bei dem, was du kannst«, beschied er ihm, »bleib bei den Kühlern und Klimaanlagen.«
Woodside/Kalifornien
Frühlingsbeginn 2000
» Ich spreche über wahre Größe. Ich spreche darüber, der Welt eine Brechstange zu servieren und sie auch einzusetzen«, sagte Larry, während er mit seinem besten Freund Steve Jobs über das Grundstück seines neuen Anwesens in Woodside marschierte, »ich rede nicht über moralische Perfektion. Ich spreche über Menschen, die zu Lebzeiten die Welt am stärksten verändert haben.«
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