Steve und Larry hatten herausgefunden, dass sie viele Gemeinsamkeiten hatten. Beide hatten Adoptiveltern. Jobs biologische Mutter war Joanne Schieble, eine Studentin, die einst mit einem syrischen Studenten und Muslim namens Abdulfattah »John« Jandali zusammen gewesen war. Ihre Eltern erhoben Einspruch gegen die Beziehung, und Steve wurde bei seiner Geburt zur Adoption freigegeben. Larrys biologische Mutter war Florence Spellman, eine unverheiratete Siebzehnjährige, die eine Affäre mit einem italoamerikanischen Piloten der US-Luftwaffe hatte. Sie bemerkte ihre Schwangerschaft erst, als er bereits wieder in Übersee war. Sie fragte ihre Tante und ihren Onkel, Lillian Spellman Ellison und Louis Ellison aus Chicago, ob sie Larry in ihre Obhut nehmen könnten, als er neun Jahre alt war. Larry sah seine biologische Mutter wieder, als er 48 Jahre alt war. Seinen Vater lernte er trotz einiger Bemühungen nie kennen. Jobs war Mitte 20, als er seine biologische Mutter traf. Er entschied sich dafür, seinen Vater nicht kennenzulernen, obwohl er wusste, wer dieser war. Beide betrachteten ihre Adoptiveltern als ihre richtigen Eltern. Beide waren laut Larrys Eingeständnis Zwangsneurotiker, und beide waren antiautoritär. Sie teilten die Verachtung für herkömmliche Ansichten und das Gefühl, dass die Menschen Gehorsam und Intelligenz zu oft gleichsetzten. Beide hatten nie einen College-Abschluss gemacht. Steve war besonders stolz darauf, dass er das Reed College in Portland im Bundesstaat Oregon schon nach zwei Wochen wieder verlassen hatte, während andere wie Larry und ihr Rivale Bill Gates Monate oder sogar Jahre für ihren Schulabbruch gebraucht hatten.
Neben Microsoft hatten Larrys und Steves Unternehmen zu jener Zeit schon Formen angenommen. Sie waren aufgestiegen, wieder gefallen und beide wieder aufgestiegen. Beide Männer hatten ihre Unternehmen mit einer Idee begründet, die nicht ihre war. Im Juni 1977 gründete Larry mit zwei Männern, Bob Miner und Ed Oates, die Firma Software Development Laboratories. Ziel war es, das erste breit angelegte relationale Datenbanksystem einzuführen, das Informationen schneller und besser verarbeiten würde als alles andere auf dem Markt. Eine Handvoll Akademiker, angeführt von den IBM-Forschern Ted Codd und Don Chamberlin in San José und einer Gruppe Professoren an der Universität von Berkeley, hatten Arbeiten frei veröffentlicht, in denen sie erklärten, wie ihr relationales System funktionierte.
Zum ersten Mal konnten Daten wie Tabellen gehandhabt werden. IBM hatte keine Eile, diese neue Idee in den Massenmarkt einzuführen. Larry aber wohl. In ganz ähnlicher Weise und etwa zur gleichen Zeit war Steve Jobs zu einem Besuch in die Forschungszentrale von Xerox in Palo Alto eingeladen, um dort einen Blick auf die Technologie zu werfen. Darunter war eine kleine Schreibmaschine mit kleinen Bildern und Symbolen und etwas, das sich Maus nannte und mit dem man Dinge auf dem Bildschirm anklicken konnte. Sowohl Steve als auch Larry wurde von einer Reihe Neinsagern erklärt, dass die Technologie für den kommerziellen Markt unbrauchbar sei. Beide aber machten weiter und fanden Wege, sie zum Funktionieren zu bringen.
Die Freunde teilten auch ihre Freude am Lachen. Während ihrer gemeinsamen Familienferien auf Hawaii erzählte Steve gern lustige Geschichten und genoss es insbesondere, sich über Larrys persönliche Beziehungen lustig zu machen. Oft hatte Steve Mühe, seine eigenen Geschichten zu Ende zu erzählen, weil er so heftig lachen musste, dass er nicht mehr sprechen konnte. Mit bemerkenswerter Anstrengung fand er dann jedoch seine Fassung zurück und versuchte die Geschichte zu beenden. Dabei scheiterte er aber regelmäßig, weil er einen erneuten Lachanfall bekam, noch schlimmer als zuvor. Das passierte immer und immer wieder aufs Neue, bis alle nur noch unkontrolliert schrien vor Lachen, ohne die geringste Idee zu haben, wie die Geschichte denn nun zu Ende gegangen war.
Beim Blick auf Larrys See mit seinen massiven Blausteinfelsen der Sierras entlang der Ufer wurde Steve ganz still. Ein Amerikanischer Graureiher landete auf einem flachen und leicht von dem glitzernden Wasser umspülten Brocken und ließ eine Stockenten-Familie auseinanderstieben. Auf der anderen Seite des Sees standen noch mehr spektakuläre Eichen und Redwood-Mammutbäume. Vor ihnen wuchsen Japanische Ahornbäume mit ein paar verbliebenen Herbstblättern in Granat- und Bernsteintönen. Die lieblichen Klänge des Wassers waren überall. Gärten waren Larrys liebste Kunstform, ein Zusammenwirken von Gott und den Menschen, eine Skulptur, die niemals gleich blieb.
Schließlich machte Steve, der nie vorschnell Komplimente verteilte, eine Geste in Richtung der Schönheit um sie herum und sagte: »Warum kaufen Menschen Kunst, wenn sie doch ihre eigene Kunst erschaffen können?«
Larry dachte einen Moment lang nach und antwortete: »Nun ja, Steve, nicht jeder kann seine eigene Kunst erschaffen. Du kannst es. Das ist ein Geschenk.«
Larry war ein unersättlicher Leser. Er verbrachte viel Zeit damit, Wissenschaft und Technik zu studieren. Doch sein Lieblingsfach war Geschichte. Er lernte mehr über die menschliche Natur, Management und Führungsqualitäten aus Geschichtsbüchern denn aus Business-Ratgebern. Während einer lebendigen Dinner-Diskussion hörte sein Freund Tony Blair, der damalige britische Premierminister, ihm verwundert zu und bemerkte: »Larry, du liest zu viele Geschichtsbücher.« Larry hatte gerade ein Zitat aus David Fromkins »A Peace to End All Peace« abgeschlossen, in dem es darum ging, wie das Abkommen, das den Ersten Weltkrieg beendet hatte, gleichzeitig die ersten Samen für den Völkerstreit im Mittleren Osten legte. Larry, der ein Fan von Tony Blair war, nahm das als Kompliment.
Larrys Lieblings-Geschichtsbuch war »The Age of Napoleon« von Will und Ariel Durant. Er hatte es bereits mehrere Male gelesen. Wie sein Kumpel Steve und wie Larry selbst war Napoleon ein Außenseiter gewesen, dem man gesagt hatte, dass er es niemals zu etwas bringen würde. Im Alter von zehn Jahren war er von Korsika zur Militärschule in Brienne-le-Château in Nordmittelfrankreich geschickt worden. In den Berichten seiner Lehrer stand geschrieben, dass er Englisch mit einem »schrecklich starken italienischen Akzent« spreche. Und obwohl die anderen Kinder ihn nicht mochten, hatte er eine außergewöhnlich hohe Meinung von sich selbst. Seine Lehrer bemerkten aber auch eine gute Eigenschaft: Er war außerordentlich gut in Mathematik. Er war ein italienisches Kleinstadtkind (Korsika stand einst unter italienischer Herrschaft) und so ganz anders als die gebildeten Pariser, mit denen er zur Schule ging. Mit anderen Worten: Er war ein Mann, der etwas zu beweisen hatte, ein zwanghaft Besessener, der – während seine Marschälle in den Nächten vor den Schlachten feierten und tranken – durcharbeitete. Larry wunderte sich gegenüber Steve: »Er verteilte die Landkarten der Gegend auf dem ganzen Fußboden seines Zeltes. Dann verbrachte er die ganze Nacht mit Planungen und detaillierten Anweisungen an seine Kommandeure. Zum Abendessen wählte er gebratenes Hühnchen, weil er dann beim Essen nicht aufhören musste zu arbeiten.«
»Was mich interessiert«, fuhr Larry fort, »ist die Tatsache, wie der größte General der Geschichte gleichzeitig der fähigste Administrator der Geschichte sein konnte. Der Schöpfer von Gesetzen, Gerichten, Schulen, Museen und all den Institutionen, die Frankreich damals und heute prägen. Wie kann ein Mann das alles schaffen?«
Als er seinen Freund anschaute, kam ihm der Gedanke, dass hier so ein Mann war, der ebenfalls über diese Kombination von Talenten und Willen verfügte. Nur, dass Steve seine Schlachten mit Microsoft und nicht mit England schlug.
Steve und Larry debattierten über alles. Auch über Musik und Kunst. Als Larry sagte, dass der Songtext von Paul Simons »The Boxer« brillant sei, lachte Steve und sagte, Larry würde »den Unterschied zwischen Güte und Größe nicht kennen«. »Dylan«, sagte Jobs, »ist das Genie unserer Zeit.« Es hörte nie auf. Keiner der beiden gab nach. Beide genossen das Beisammensein.
Читать дальше