– Mehrschichtigkeit: Die Elemente selbst verändern sich in ihrer Wirkungsweise und ihrem Verhalten, insbesondere wenn sie von Veränderungen einer anderen Wirkungsebene respektive von einem anderen System betroffen werden. Wenn z. B. eine Fertigungsabteilung [40] aufgrund von Sparmassnahmen (Wirkung von der finanziellen Ebene) die Wartung reduziert und damit Ausfälle häufiger werden, hat das wiederum Auswirkungen auf die logistische Systemebene.
– Historizität: Komplexe oder nicht-trivale Systeme sind historische Systeme. Das heisst, ihr gegenwärtiger Zustand hängt unter anderem von ihrer Vergangenheit ab und prinzipiell kann jedes Ereignis oder jede Entscheidung den gegenwärtigen Zustand und die Arbeitsweise eines Systems verändern. Umgekehrt meint Historizität auch, dass frühere Entscheidungen sich auf spätere Entscheidungen auswirken. So können Pfadabhängigkeiten vorhanden sein, wenn Organisationen z. B. an einem bestimmten Betriebssystem festhalten, auch wenn sich über die Jahre andere, überlegene Softwarelösungen entwickelt haben.
Als Resultat sind die Verhaltensweise und Entwicklung komplexer Systeme sehr schwer vorhersehbar. Dies zeigt sich z. B. auch bei einer Pandemie. Während sich die «biologische» labormässige Vermehrung eines Virus in einem stabilen Kontext klar modellieren lässt, ist dies in einer Lebenswelt komplexer, in der viele Systemebenen zusammenspielen. Schon auf der biologischen Ebene ist die Natur offen: Viren können von ausserhalb in ein Land hineingetragen werden oder zwischen Lebewesen überspringen. Das Verhalten der Menschen ist nicht nur das Resultat der biologischen Ebene, sondern auch sehr stark von der wirtschaftlichen sowie von der politischen und gesellschaftlichen Ebene beeinflusst (z. B. von der Robustheit der Wirtschaft, vom Vertrauen in die Behörden und von der lokalen Kultur im Umgang miteinander).
Ähnliche Wechselwirkungen gelten bei Unternehmen, wenn z. B. ein auf der logistischen und finanziellen Systemebene an sich konsistentes Geschäftsmodell nicht realisiert werden kann, weil auf der sozialen und emotionalen Ebene Widerstände aufgrund von äusseren Einflüssen wie politischen Konflikten bestehen. Systemische Analysen helfen, das Verhalten von Unternehmen und Organisationen in ihrer Umwelt beschreibbar, modellierbar und damit erklärbar zu machen.
1.5.2 Prozesssicht auf Organisationen
[41] Prozesse können definiert werden als Abfolge von Aktivitäten, die von einem oder mehreren Arten Input zu einem Output führen (vgl. Porter, 1985). Grundlage und primärer Prozess jeder Organisation ist die Wertschöpfung. Jede Organisation definiert sich über die Leistungen, die sie erbringt. Diese Orientierung am Kundenwert der Leistung wird durch die Geschäftsprozesse im Zentrum des SGMM repräsentiert.
Ein Wertschöpfungsprozess muss zu einem Wertzuwachs zwischen Input und Output, einer sogenannten Wertschöpfung führen ( Abbildung 1-11). Dabei kann dieser Wert materieller, monetär berechenbarer Art sein, weil Input und Output über Märkte gehandelt werden und so einen Preis haben. Diese Wertschöpfung kann an die Anspruchsgruppen verteilt oder für die Weiterentwicklung des Unternehmens eingesetzt werden. Der Wert kann jedoch auch immaterieller Natur sein, z. B. wenn durch Freiwilligenarbeit Betreuungsleistungen oder Kulturschaffen ermöglicht wird, das in dieser Qualität nicht auf dem Markt erhältlich ist. Dabei wird der Wert dann z. B. über den erforderlichen Input, die Arbeitsleistung, definiert (für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Wertbegriff s. Mazzucato, 2018).
Abbildung 1-11: Illustrative Prozesskette
Aus Managementsicht sind neben der notwendigen Steuerung der Prozessaktivitäten (Koordination der Kapazität und Qualität, usw.) folgende Aspekte von Wertschöpfungsprozessen interessant:
– Tendenz, dass sich Wertschöpfungsketten laufend restrukturieren. Aufgrund von Umfeldveränderungen (z. B. neue Technologie oder veränderte Preise für die Inputfaktoren) werden Aktivitäten anders durchgeführt oder es werden die Wertschöpfungsketten sogar neu konfiguriert. Dies ist z. B. der Fall, wenn dank der Möglichkeit des «Print on Demand» keine Ersatzteillager mehr gehalten werden müssen.
– [42] Tendenz, dass sich Wertschöpfungsketten dabei aufgrund der dahinterliegenden «Economies» (z. B. Skaleneffekte) immer mehr ausdifferenzieren und spezialisieren.
– Tatsache, dass neben der Primärwertschöpfung einer Organisation auch Zusatzwertschöpfung entsteht (z. B. Beitrag zur Attraktivität einer Region über die bereitgestellten Arbeitsplätze und Steuern; Abbildung 1-12).
Abbildung 1-12: Unterscheidung von Primär- und Zusatzwertschöpfung einer Organisation
Eine Prozesssicht eines Unternehmens hilft, die einzelnen Prozesse in ihrem Zusammenwirken funktionsübergreifend zu optimieren. Das Grundmodell eines Prozessmodells für ein Unternehmen stammt von Porter (1985). In diesem Modell wird zwischen primären und unterstützenden Aktivitäten unterschieden. Die primären Aktivitäten sind direkt auf den Wertschöpfungsprozess ausgerichtet, während die unterstützenden Aktivitäten die Voraussetzungen schaffen ( Abbildung 1-13).
Abbildung 1-13: Die Wertkette
Quelle: Porter (1985, S. 37)
[43] Für komplexe Projekte (z. B. Kauf eines Tochterunternehmens), aber auch für komplexe Leistungsprozesse (z. B. Rekrutierung einer neuen Kadermitarbeiterin oder Installation von Fertigungsmaschinen) werden Modelle für Prozessplanungen mit verschiedenen Techniken entwickelt.
Um die Soll-Prozesse bei Dienstleistungen darzustellen (Idealbild), werden häufig «Service Blueprints» verwendet. Mit diesem normativen Gestaltungsinstrument werden verschiedene Ebenen sowie auch eine sogenannte Sichtbarkeitslinie dargestellt. Zuoberst sind die Kundinnen und Kunden bzw. die physischen Kontaktpunkte zu ihnen ( Abbildung 1-14).
Abbildung 1-14: Illustrativer Service Blueprint am Beispiel einer Publikumsmesse
Quelle: Wiedmann und Kirchgeorg (2018, S. 56)
[44] Für die Darstellung der Ist-Prozesse (reale Abläufe), können z. B. Prozesslandkarten verwendet werden. Mit diesen deskriptiven Erfassungsinstrumenten werden die Prozesse in der Realität empirisch erfasst und als Prozessdiagramm dargestellt ( Abbildung 1-15). Diese Prozesslandkarten bilden die Grundlage für die kontinuierliche Verbesserung solcher Abläufe, weil sie die Abhängigkeiten dieser Aktivitäten untereinander verdeutlichen.
Abbildung 1-15: Illustratives Beispiel einer Prozesslandkarte (Projektdokumentation ITEM-HSG)
Quelle: Rüegg-Stürm und Grand (2020, S. 83)
1.6 Typen von Unternehmen und Organisationen
[45] Wie die oben dargestellten Managementaufgaben priorisiert werden, wie sie erledigt werden und wie die entsprechenden Fragen beantwortet werden, hängt neben der Umwelt vor allem vom Typ einer Organisation ab. Dabei können für die Typisierung von Organisationen verschiedene Kriterien verwendet werden, die in Abbildung 1-16kurz beschrieben werden (nach Rüegg-Stürm & Grand, 2020, S. 36; Thommen, Achleitner, Gilbert, Hachmeister & Kaiser, 2017, S. 25).
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