1 ...6 7 8 10 11 12 ...22 1791 war sie bereits an den vielen Intrigen und Ereignissen in der Stadt beteiligt. Am 20. Juni dieses Jahres, es war Mittsommer, besuchten die Uzanne und Kassiopeia ein Fest, das neben Politik auch das übliche Kartenspiel, Klatsch und Tratsch und ausgelassene Lustbarkeit versprach. Für die Uzanne war es die perfekte Mischung, und ihre neueste Protégée Carlotta Vingström sollte sie unbedingt begleiten.
Carlotta und ich tauschten eine Reihe dringlicher Nachrichten hinsichtlich dieses Abends aus, denn wir hatten schon andere Pläne, aber Carlottas Position bei der Baroness war eine unanfechtbare Ehre und Verpflichtung. Und für mich war es genau die Gelegenheit, die ich brauchte. Fast zwei Wochen pflegten Carlotta und ich nun schon eine tägliche Korrespondenz, und ich besuchte die Weinhandlung so oft wie möglich, wichtige Themen hatten wir bislang jedoch noch nicht angeschnitten. Ich erstickte das Gemecker meines Vorgesetzten mit einer Flasche eines ausgezeichneten Tempranillo und versprach ihm, es sei die erste von vielen aus dem Keller meiner zukünftigen Schwiegerleute, denn zu Mittsommer wollte ich meine Absichten offenlegen und auf Antwort drängen.
Ich setzte Carlotta meine gewagten Pläne auseinander, um als ungeladener Gast Zutritt zu bekommen – nur um mit ihr zusammen zu sein. Dabei wusste ich, dass es nichts Leichteres gäbe, denn die Adresse war Gråmunkegränd 35. Aber das verriet ich Carlotta nicht. Um elf Uhr wurde ich erwartet, um die dritte Karte meines Oktavos zu legen, und Madame Sparv würde niemals von mir verlangen, meinen Schwur zu brechen.
Der Abend ließ sich gut an: Um sieben Uhr überbrachte mir meine Vermieterin Frau Murbeck eine letzte Nachricht von Carlotta, in der sie ihre Anerkennung für das Risiko ausdrückte, das ich ihretwegen einzugehen bereit war, ihre Überzeugung, dass ich mit Leichtigkeit in diese illustre Gesellschaft passen würde, und ihre Ungeduld, mit mir zusammen zu sein, sobald das Fest vorüber wäre. In einem frischgebügelten vornehmen Anzug und mit einem Spritzer Kölnischwasser benetzt eilte ich in die Gråmunkegränd. Die Glocken der Sankt-Nikolai-Kirche schlugen acht Uhr, aber der Himmel war hell wie am Mittag. Die Häuser und Straßen der Stadt waren mit Birkenzweigen und Blumengirlanden geschmückt. Hier und da standen zur Feier des Tages Mittsommerstangen, umschlungen von grünen Ranken und Blüten, angetan mit Kränzen und Bändern, die im Wind von der Bucht herauf flatterten. Die Gäste kamen lärmend an, die Räder ihrer Kutschen holperten über die Steine, man rief sich gegenseitig Grüße zu. Dann fuhr eine besonders elegante schwarze Kutsche mit einem freiherrlichen Wappen vor, und in das Hufgeklapper mischte sich das unmissverständliche Geplapper, das nur eine erregte Carlotta von sich geben konnte.
»Ich weiß Ihnen so viel über dieses Haus zu erzählen, Madame«, Carlotta sprang in schäumender zitronengelber Seide aus der Kutsche, »ich habe aber gewartet, bis wir hier sind, damit Sie das Geheimnis aus erster Hand erleben können. Wenn Sie einen Blick auf den Scheitelstein im Türbogen werfen wollen, Madame – sehen Sie das Gesicht? Es heißt, es würde sich bewegen. Das hier ist ein Geisterhaus, Madame.«
Die Uzanne spickte aus der Kutsche. »Das interessiert mich nicht, Carlotta. Ich will wissen, warum Herzog Karl uns alle hier in dieses gottverlassene Viertel bestellt hat«, sagte sie. Ihre Stimme war überraschend melodisch. Ich erwartete eine plumpe Matrone, die aussah wie ein großer, angeknabberter Kuchen vom Fest der letzten Nacht. Die Uzanne berührte kaum die Hand des Dieners, als sie aus der Kutsche stieg. Ihr helles Kleid schimmerte vor dem schwarzen Lack der Kutschentür. Die Robe, die sie trug, war nach der neuen Mode, à la anglaise , eng geschnitten, und die seegrüne Schärpe um ihre Taille brachte ihre Figur aufs Vorteilhafteste zur Geltung. Ihr dunkles Haar war nicht gepudert und schlicht frisiert, sie berührte es kurz, wie um sich zu vergewissern, dass es richtig saß. Im Spiel aus Licht und Schatten sah sie aus, als wäre sie in Carlottas Alter.
»Herzog Karl wünscht eine Audienz bei der Wahrsagerin hier.« Carlotta biss sich auf die Lippe, blickte aber weiterhin auf das steinerne Gesicht. »Ich habe die zuverlässigsten Quellen befragt, Madame, und alle haben mir versichert, dass diese Hellseherin unfehlbar ist.«
»Niemand ist unfehlbar, Carlotta – egal, was der Papst sich wünschen mag.« Die Uzanne ließ mit einer solchen Schnelligkeit einen Fächer aufschnappen, dass ich erstarrte. »Und warum soll Herzog Karl gerade von dieser Scharlatanin so angetan sein?«
»Sie ist König Gustavs Beraterin.« Mitten im Schlag ließ die Uzanne ihren Fächer innehalten – es folgte die Stille einer überheblichen Zurückweisung. Carlotta fuhr fort: »Herzog Karl teilt das Interesse seines Bruders am Okkulten und sucht Bestätigung und Führung. Und wer könnte das besser leisten als des Königs Quelle des Glücks? Der Herzog bestand darauf, dass die Hellseherin und ihre Räumlichkeiten ganz kurzfristig verfügbar sein mussten.«
»Und Gustav ist bereit, sein Orakel zu teilen?«
»O nein, König Gustav weiß davon nichts. Er ist auf Reisen.« Carlotta dämpfte die Stimme: »Die Frau ist eine glühende Royalistin, Madame. Sie hat sich geweigert, den Herzog zu empfangen. Und natürlich wurde sein Interesse durch ihre Ausflüchte nur noch angefacht. Er hat ihr klargemacht, dass er eine Weigerung nicht akzeptieren würde.« Die Damen betraten das Treppenhaus. »Ich verstehe nur nicht, warum der Herzog nicht allein kommt. Warum will er während eines Mittsommernachtsfestes eine Wahrsagerin aufsuchen?«
Die Uzanne drehte gemächlich ihren Fächer. »Der Herzog ist auf Veränderung bedacht, aber er braucht eine Menge Rückversicherungen. Er braucht Gesellschaft.«
Ich sah, wie sie die Treppen hinaufstiegen, ihre gerafften Röcke entblößten weiße Strümpfe und Satinschuhe mit geschweiften Absätzen. Die kleinen Messinglaternen auf jeder Stufe ließen den weichen Schwung der Knöchel schimmern. Carlotta war ein saftiger Pfirsich, aber sie hüpfte und sprang wie ein junges Mädchen. Die Uzanne hingegen bewegte sich mit einer Anmut, die man nur durch jahrelange aristokratische Übung erlangte, und das machte sie noch schöner – eine Frau, die man berühren wollte, auch wenn man wusste, dass man es nicht tun sollte, bei der man aber dennoch dreist genug sein wollte, es zu versuchen. Ich folgte in respektvollem Abstand und beobachtete, wie Carlottas prachtvoller Hintern sich majestätisch vor mir erhob.
Katarina zog eine Augenbraue hoch, wagte aber nicht, mich daran zu hindern, dass ich mich zu den Gästen gesellte. Im Foyer blieb die Uzanne kurz stehen und besah sich die Porträts des schwedischen und des französischen Monarchen. »In der Galerie der Herrscher fehlt ein königliches Bildnis«, sagte sie. »Herzog Karl. Es sei denn, hier bekommen nur diejenigen die Ehre, deren Zeit abgelaufen ist.«
Einen Herzschlag lang herrschte tiefes Schweigen, dann brandete Applaus auf, die Kommentare überschlugen sich.
Madame Sparv beobachtete alles vom anderen Ende der Diele aus. Sie trug ein helles grau-grünes Kleid und einen Paisley-Schal, der eher zu einer Tagesgarderobe gepasst hätte. Ihr braunes Haar war ungepudert, sie hatte es im Nacken zu einer Schnecke zusammengebunden und trug weder eine Perücke noch eine Haube. Ihr Gesicht war eine starre Maske. Nur die Hände verrieten ihren Ärger, sie hatte sie an ihren Seiten zu roten Fäusten geballt. Neben ihr stand ein zierlicher Mann in einer Militäruniform von äußerst vornehmem Schnitt und Tuch. Mit geübter Anmut trat er vor und schenkte der Uzanne einen ausgiebigen Kuss auf ihre behandschuhte Hand, dabei sah er Carlotta an, die ein paar Schritte hinter ihr stand.
Hinter mir kam Katarina herauf und zwickte mich in den Arm. »Das ist er. Herzog Karl.« Ich hatte erwartet, dass dieser Armeeheld und königliche Casanova von eindrucksvollerer körperlicher Statur wäre. »Er hat seine Gemahlin am Mälarsee und seine Mätresse auf der anderen Seite der Brücke auf Kungsholmen zurückgelassen«, flüsterte sie.
Читать дальше