»Ich habe keine acht Nächte für Sie, selbst wenn ich es wollte. In wenigen Stunden breche ich nach Aix la Chapelle auf. Dort werde ich die Familie des französischen Königs empfangen.« Er nahm einen blauen Seidenrock, den der Offizier ihm reichte, und gab Madame Sparv einen Lederbeutel. »Danke für Ihre Anteilnahme, Sofia.«
»Wir sind alte Freunde, Gustav«, sagte sie liebevoll.
»Ich baue auf die wenigen, die mir bleiben«, sagte er. »Der Polizeichef ist verfügbar, wenn Sie ihn brauchen. Und Bischof Celsius tut Buße; er und seine Klerisei werden Sie nicht länger belästigen.« Der König beugte sich vor und küsste Madame Sparv auf die Wange. »Ich melde mich, sobald der französische König in Sicherheit ist. Dann müssen Sie mich dafür bezahlen, dass ich die Zeichen richtig gedeutet habe!«
Sie lachte, und ich hörte, wie sich die Schritte der beiden entfernten. Draußen stand keine Kutsche, es war ein kurzer, feuchter Fußmarsch von der Gråmunkegränd zur Sankt-Nikolai-Kirche, der Storkyrkan, gleich dahinter lag das königliche Schloss.
»Madame Sparv!«, flüsterte ich aus dem Warteraum heraus. Erschrocken fuhr sie herum. »Ich bin’s – Larsson.«
Ihre Schultern entspannten sich, aber ihre Stimme war barsch: »Gustav sieht nicht gern Spione, die nicht in seinen Diensten stehen.«
»Katarina hat mich hereingelassen«, sagte ich, immer noch verblüfft darüber, meinem König so nah gekommen zu sein. »Ist er oft bei Ihnen zu Gast?«
»Nicht so oft, wie ich es mir wünschen würde. Wir sind seit über zwanzig Jahren befreundet, Herr Larsson.«
»Wie sind Sie dem König denn begegnet? Sie müssen damals noch sehr jung gewesen sein.«
»Gustav ging mit seinem jüngsten Bruder Fredrik Adolf nach Frankreich – Herzog Karl war nicht eingeladen. Die Mutter fand ihn unwürdig.«
»Und die Prinzen brauchten eine Hellseherin?«
Sie lachte und setzte sich auf einen der Stühle im Wartezimmer. »Sie brauchten eine Wäscherin mit ausgezeichneten Französischkenntnissen. Mein Vater war Handwerksmeister, er arbeitete auf Schloss Drottningholm. Er hatte von der bevorstehenden Reise gehört und meine Dienste angeboten, weil er fand, das wäre meine Chance, dem Königshaus zu dienen und eine sichere Stelle zu bekommen – Freier mieden Mädchen mit der Gabe der Hellsichtigkeit, und so war dies unsere große Hoffnung für meine Zukunft. Außerdem wollte Vater unbedingt, dass ich meine Heimat kennenlernte – er hatte Angst, ich könnte sie vergessen. Mein Französisch war tadellos, und meine Mutter hatte mir die Geheimnisse des Bleichens und Stärkens gut vermittelt. Ich begleitete diese fröhliche Entourage als Dienerin, doch meine Hellsichtigkeit weckte das Interesse des Kronprinzen, und ich wurde gut behandelt. Gustav und sein kleiner Bruder Fredrik eroberten Paris im Sturm – Bälle und Jagdgesellschaften mit König Ludwig und Marie Antoinette, sie trafen die Brüder Montgolfier mit ihrem Riesenballon und verkehrten in den exklusivsten Salons. Karl ist darüber bis heute verärgert.«
»Haben Sie König Gustav in Paris die Karten gelegt?«
»Das konnte ich damals noch nicht, ich verließ mich auf meine Visionen. Ich sah, dass die Krone für ihn greifbar war, und sagte es ihm. Einige verspotteten mich, sie schimpften mich eine Hure des Teufels und Schlimmeres. Aber Gustav war mein getreuer Beschützer. Der alte König starb, während wir in Paris waren, Gustav wurde im Mai 1772 gekrönt. Noch immer schätzt er intuitives Wissen und sucht oft die Nähe von Menschen, die sich auf diese Kunst verstehen: Magier, Astrologen, Geomanten. Jüngst hat er einen Alchimisten angestellt, der die königlichen Schatullen füllen soll.«
Ich saß auf dem Stuhl neben ihr. »Und welches Bedürfnis erfüllen Sie?«
»Sein Bedürfnis nach echter Freundschaft und Wahrheit. Nichts weiter.« Sie sah mich aus zusammengekniffenen Augen an. »Das wagen nur wenige zu bieten, und noch weniger wird deren Rat befolgt, wie Sie gesehen haben. Aber er ist ein großartiger König, Herr Larsson.«
»Ein großartiger König«, wiederholte ich. »Und er hat ganz sicher recht, Madame Sparv. In Bezug auf die Vision, meine ich. Sein Verständnis der Welt übersteigt Ihres bei Weitem.«
»Dennoch ist er ein Mann. Er sieht, was er sehen will.« Sie lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück, als wollte sie gleich einschlafen. »Doch kommen wir jetzt am besten wieder zu Ihnen«, nuschelte sie und rieb sich die Augen. Wir gingen die Stiege hinauf und setzten uns an den Tisch. Sommerregen prasselte gegen die Scheiben, im Zimmer war es kühler als in der Nacht zuvor. Sie nahm die beiden bekannten Karten aus dem Stapel, mischte lange und legte das Deck dann in die Mitte des Tischs.
Ich hob ab, sie legte aus. Nach vier Runden tauchte die zweite Karte meines Oktavos auf: Der Gefangene war das Ass der Stempelkissen. Wir beugten uns vor und studierten die Karte.
In der Mitte am oberen Rand eines Wappenschildes war das Antlitz eines Cherubs zu sehen. Direkt unter seinem Kinn schwebte ein Vogel. Zwei Löwen standen sich in getrennten Feldern gegenüber, einer hielt eine keimende Saat oder einen Wurzelstock in den Tatzen.
»Das Ass ist ein junger Mensch oder einer mit begrenzter Erfahrung und formbarem Geist. Es steht für einen Neubeginn und kann weiblich oder männlich sein«, sagte sie.
»Rohrkolben. Die stehen auf jeden Fall für Armut«, sagte ich, als ich die zwei Pflanzen sah, die zu beiden Seiten des Stempelkissens über dem Engelskopf in die Höhe ragten. Ich dachte an meine verarmten Cousins; alle Rohrkolben, die sie nicht aßen, verwendeten sie als Kerzen, indem sie sie in Wachs tauchten und den Stiel wie einen Docht anzündeten.
»Nicht notgedrungen. Das Stempelkissen steht für Handel und Wandel, es kann also jemand sein, der aus wenigen Mitteln etwas machen kann. Er steht in enger Verbindung mit Ihrem Gefährten – und die Königin der Weingefäße symbolisiert Reichtum –, also kann er von der Freundschaft mit ihr profitieren. Jedenfalls ist das Ihr Gefangener.«
Ich sah den hübschen Cherub an. »Könnte das Carlotta sein?«
»Vielleicht. Aber die Karten verraten ihre lebenden Pendants erst, wenn alle acht an ihrem Platz sind.«
»Ich kann nicht warten, Madame Sparv!«
»Das müssen Sie aber. Noch weitere sechs Tage.« Sie lächelte über meine Ungeduld. »Sie sind ja nicht zusammen mit Gustav im Aufbruch zur französischen Königsfamilie begriffen, oder, Herr Larsson?«
»Meine Königin ist hier in der Stadt.«
»Wenn Sie sich sicher sind, können Sie Ihren Gefangenen halten oder freilassen, je nachdem, was am besten zu Ihrem wahren Ziel führt, was auch immer es sei.«
»Ich kenne mein wahres Ziel.«
Glücksspiel
Quellen: E. L., Madame S., Katarina E., Dame C. Kallingbad,
Hausmeister E., A. Nordell u. a.
Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass beim Kartenspiel alle verlieren. Interessant ist, wie und was sie verlieren und was daraus folgt. Graf Oxenstierna verhielt sich wie ein perfekter Gentleman, als er bei dem Spiel La Belle zwei große Grundstücke verlor. Die Mitspieler waren erstaunt über seine Contenance, doch der Sturm, der daraufhin bei ihm zu Hause losbrach, war monatelang ein ergiebiges Gesprächsthema, das seine Gattin, seine erwachsenen Kinder, ein Teil der Bediensteten und die Irischen Wolfshunde umfasste. Doch versteckte Andeutungen und Gerüchte sind nur eine kärgliche Labsal, verglichen mit dem mitreißenden Festmahl eines großen Verlustes, dessen Augenzeuge man wird. So war es, als ich zwei wohlhabende Damen kostbarste Faltfächer am Spieltisch setzen sah. Deutlich hörte ich eine Kartenspielerin, die auf einen Bluff hereinfiel, und in diesem Moment schenkte ich meine Aufmerksamkeit dem Spiel, statt mich mit jeder Faser meines Seins auf Carlotta Vingströms schöne Brüste zu konzentrieren. Bei der Spielerin, die das Wagnis eingegangen war, handelte es sich um die Baroness, allen bekannt als »die Uzanne«, eine Frau, die nie verlor.
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