Ich will Ihnen von der Uzanne erzählen. Getauft war sie auf die Namen Kristina Elisabeth Luisa Gyllenpalm, die zwar alle einen majestätischen Anklang hatten, aber nie benutzt wurden. Als Kind war sie das Junge Fräulein, nach ihrer Heirat eine Madame. Doch im Gespräch hieß sie immer nur die Uzanne, vielleicht weil es nur eine geben konnte. Die Uzanne sammelte Faltfächer. Diese Begeisterung hatte sie mit fünfzehn Jahren entwickelt, als sie beobachtet hatte, wie eine gleichaltrige Cousine, die weder reicher noch hübscher war als sie, einen ganzen Salon mit ihrem kunstvollen Gewedel in Bann schlug. Die Uzanne, damals noch das Junge Fräulein, konnte ihre Cousine überreden, sie in diese fesselnde Sprache einzuführen. Männer und Frauen kannten die Zeichen des Fächers gleichermaßen, und wie in jeder Sprache konnte man desto mehr ausdrücken, je geübter man war. Bald war die Schülerin darin geschickter als die Lehrerin. Zuschnappen, sinken lassen, Drehungen des Handgelenks, kleine Schläge, Fächeln und sehnsüchtiges Streicheln füllten die Lücken, die unaussprechliche Worte des Verlangens hinterließen. Die Uzanne wusste, in welchem Winkel sie den Fächer über ihre Brust halten musste, wenn sie als Kurtisane betrachtet werden wollte oder auch nicht, und wie sie mit einem Blick über einen halbgeschlossenen Fächer jeden Mann auf ihre Seite ziehen konnte. Die Gesellschaft riss sich um die Anwesenheit der Uzanne auf Bällen und in Salons. Die eifersüchtige Cousine sann auf Rache und gab ihr beim jährlichen Figurentanz einen bürgerlichen Tölpel an die Seite. Die Uzanne zog die Maske der fürsorglichen Kupplerin auf und machte einen epileptischen finnischen Grafen, der die leere Mulde in seinem Hochzeitsbett gern füllen wollte, auf die Cousine als erwartungsvolle Jungfrau aufmerksam. Die Uzanne vergoss die herrlichsten Krokodilstränen, als sie ihrer Cousine zum Abschied winkte, die sich nach Åbo einschiffte, einem scheußlichen Kaff, das sich als Finnlands Hauptstadt bezeichnete.
Die Uzanne hatte ihre Waffe gefunden. Jahrelang praktizierte sie ohne Unterlass, sie reiste nach Paris und Wien, um von Konkubinen und Königinnen zu lernen, die hinter dem Thron die Fäden zogen, und sie besuchte Fächerhersteller, von denen sie Tipps und Tricks bezog. Mit neunzehn Jahren feierte sie ihren größten Triumph, als sie den reichen jungen Baron Henrik Uzanne erst in ihre Arme und dann in ihr Bett fächelte. Nach drei Monaten vermählten sie sich. Nur ihre ältere Schwester, die mit besagtem Edelmann verlobt gewesen war, schien völlig am Ende. Stolz nahm das junge Fräulein den alten französischen Familiennamen an, der ein Jahrhundert zuvor Einzug in Schweden gehalten hatte. Dass der Name Uzanne damals einen ehrgeizigen Landsknecht verkörperte, der sich seinen Weg nach oben mit dem Säbel erkämpft hatte, erwähnte sie nie.
Henrik war die perfekte Eroberung: hochbegehrt, aristokratisch, gutaussehend, eine angenehme Gesellschaft und mit ausreichend eigenem Vermögen ausgestattet, um ihren Wünschen nachzukommen. Mit der Zeit fand die Uzanne heraus, dass Henrik mehr war als nur eine Trophäe, die sie mit ihrem beispielhaften Talent gewonnen hatte. Er liebte sie, und mit ihm fand sie die Leidenschaft ihres Lebens. Henrik war politisch sehr engagiert und führte die Uzanne in die Spiele der Regierenden ein, was sehr viel verlockender war als die Tändelspielchen und Intrigen bei Hof. Erst weckte Henrik ihr Interesse, dann fand er in ihr eine scharfsinnige Beobachterin und Analytikerin. Die Uzanne und ihr Henrik verschworen sich mit den Patrioten zugunsten einer Wiedereinsetzung der Herrschaft des Adels mit Herzog Karl als Strohmann auf dem Thron. Ihr Komplott schweißte sie enger zusammen als viele andere Ehepaare, und keiner konnte verstehen, warum sie sich nicht mitunter zu einem Stelldichein trafen. Henrik war betrübt über ihre Kinderlosigkeit, aber die Uzanne hatte nicht vor, schon bald Mutter zu werden. Abgesehen von ihrer Eitelkeit und den Risiken einer Geburt hielt sie Kinder für die größte Unannehmlichkeit, die sie sich vorstellen konnte. Sie ließ Henrik freie Hand bei ihren Zofen, mit denen er ein paar süße Bastarde zeugte, und so war diese kleine Unstimmigkeit beseitigt. Als sie es schließlich für angebracht hielt, einen Erben zu produzieren, war es leider zu spät.
Henrik gab auch ihrer Leidenschaft für Fächer nach, und bald besaß die Uzanne eine Sammlung, die ohnegleichen war. Sie umfasste alle Farben, alle Länder, alle Arten. Italienisches Sandelholz, spanische Spitze, russisches Pergament, englisches Silber, japanische Seide und alles, was aus Frankreich kam. Und die Uzanne würde alles geben für einen Fächer, den sie einen »Charakter« oder eine »Novität« nannte. Charaktervolle Fächer übermittelten ein bestimmtes Gefühl; ihre Sammlung beinhaltete Sehnsucht, Melancholie, Wut, Langeweile, Lust, Verliebtheit und verschiedene Formen des Wahnsinns. Novitäten waren Teleskopfächer, double-entente , die sich in beide Richtungen öffnen ließen und zwei verschiedene Ansichten hatten (Henrik mochte vor allem die pornographische Variante), Cabriolet-Fächer, Surprise-Fächer mit Vexierbildern, Blätter mit Gucklöchern aller Art, Deckstäbe mit Uhr, Stäbe mit Thermometer und sogar einen Fächer mit einer Gemme am Dorn, die eine Prise Schnupftabak oder Arsen enthielt. Als Henrik seiner Frau den Fächer »Kassiopeia« zum Geburtstag schenkte, wurde er zum Kronjuwel ihrer Sammlung. Kassiopeia vereinte auf sich den Charakter unwiderstehlicher Autorität und das Novum eines geheimen Schaftes im exquisit gearbeiteten Mittelstab sowie Schönheit und die geheimnisvollen Bande einer Künstlerin mit ihrem Instrument. Die Uzanne und Kassiopeia passten zusammen wie eingeschworene Liebende auf einem zu kleinen Diwan, die wissen, wie sie sich bewegen müssen, um den größtmöglichen Effekt zu erzielen.
Mit der Zeit baten die Damen der Stadt die Baroness, ihnen ihre Geheimnisse zu enthüllen; die Uzanne aber wusste, dass Wissen wertvoll war. Schon bald bezahlten die Töchter aus den Adelshäusern von nah und fern teuer für ihren Unterricht. Unter ihrer Anleitung konnten Mütter zusehen, wie ihre Töchter sich allmählich als raffiniert und schlau erwiesen und selbst in der schillerndsten Gesellschaft auf dem Kontinent in der Lage waren, zu brillieren. Nicht selten wurde ihnen die Ehe angetragen. Die Mädchen sahen sich einer langen Schlange von Freiern gegenüber, Offiziere drückten sich in ihren dunkelblauen Uniformen und nach Kölnischwasser duftend an sie, Diplomaten flüsterten ihnen unübersetzbare Worte ins Ohr, Edelleute wagten es, ihre Hände, Brüste, Schenkel zu berühren und ihre Lippen mit der Zunge zu teilen, sie zu öffnen wie einen Fächer von der Hand einer Expertin: langsam, ganz langsam, bis er so weit offen ist, dass er zu reißen droht. Doch ein Regiment Freier war gar nichts – die Uzanne wusste, dass der Fächer weitaus größere Macht hatte.
Nach vielen Jahren des Studiums und der Übung war sie in der Lage, den Informationsfluss in jedem beliebigen Raum mit dem Fächer zu steuern. Sie konnte einem unbeabsichtigten Ohr eine Nachricht zukommen lassen oder sich selbst eine zufächeln, sie konnte die Aufmerksamkeit eines Einzelnen oder vieler mit einer leichten Veränderung des Winkels, der Geschwindigkeit und des Vorsatzes durch den Äther hindurch wecken. Es war eine umwerfende Kombination aus Kunstfertigkeit und Können, die als Visitenkarte, soziales Band und Statusanzeige fungierte. Doch es war auch ein perfektes Werkzeug für eine Frau, die an Spielen teilnehmen wollte, die normalerweise mächtigen Männern vorbehalten waren. Denn einen Fächer würde man niemals für eine Waffe halten.
1789 waren die politischen Ziele von Henrik und der Uzanne in Reichweite. Nach Gustavs verheerendem Krieg mit Russland lag Schweden danieder, der Reichsrat stand im Verdacht des Ämterkaufs, und die Angst vor einer Revolution fachte den weitverbreiteten Wunsch nach einer Rückkehr zur Tradition an. Doch die Vereinigungs- und Sicherheitsakte – Staatsstreich und unblutige Revolution in einem – sahen die Uzanne und Henrik nicht voraus. Als Gustav die Führer der Adelspartei verhaften ließ, war alles verloren. Henrik erholte sich nie wieder von dieser Prüfung, obwohl er während seines Arrests auf Schloss Fredrikshof standesgemäß behandelt wurde. Im November desselben Jahres starb er an einer Lungenentzündung, und die Uzanne dachte, ihr Leben sei zu Ende. Fast einen Monat lang hütete sie das Bett, dann konnte Herzog Karl sie überreden, mit ihm und der jungen Herzogin zur Christmette zu gehen. Ein Jahr lang trug sie Schwarz, sie empfing nur wenige Besucher, weigerte sich, bei Hof zu erscheinen, und gab den Unterricht für die jungen Damen für immer auf. Doch in ihrer wachsenden Verdrossenheit über König Gustavs scheinbare Unbesiegbarkeit sowie über Herzog Karls unentwegte Ambivalenz gegenüber seinem Bruder, dazu in einem plötzlichen, unstillbaren Rachedurst begriffen, begab sich die Uzanne im Dienste ihrer Nation schließlich wieder aus ihrer Isolation heraus.
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