Ich ging zu Madame Sparv und streifte ihre Schulter, als ich einem anderen Gast die Hand schüttelte. Dabei schob ich die Karte zwischen ihren Oberarm und ihren Brustkorb, ein plumper Trick, der im momentanen Trubel unterging. Wenn überhaupt jemand unbemerkt diese Karte an sich nehmen konnte, dann Madame Sparv.
Ich kehrte wieder an meinen Tisch zurück, lachte und scherzte mit den anderen, während wir weitersangen. Frau von Hälsen warf mir einen fröhlichen Blick zu. Lächelnd beugte ich den Kopf und nickte Madame Sparv zu, dann zog ich mich erneut in die Dunkelheit meines Fenstersitzes zurück. Nahm die Uzanne diesen Stich an sich, ging das Spiel unentschieden aus, aber mehr konnte ich nicht tun.
Frau von Hälsen sah die Uzanne an. Sie hatte die Hand über ihre verbleibenden Karten gelegt, die Finger der anderen klopften immer näher an den Fächern auf dem Tisch. Ihre Augen waren auf den dunklen Garten der Eva geheftet, und die elfenbeinerne Vollkommenheit des chinesischen Prinzessinnenfächers war hilflos in der Mitte des Tischs ausgebreitet. Frau von Hälsen sah Madame Sparv an, die ihrem Blick mit tiefempfundener Besorgnis begegnete. Sanft legte Frau von Hälsen den Pikkönig auf die Dame der Uzanne und zog die Karten schwungvoll an sich. Dann spielte sie zum letzten Stich die Karoacht aus, eine Lusche. Ihre Miene war aufgeräumt. Die Uzanne hob den Blick zu Frau von Hälsen, und ihre Mundwinkel hoben sich ganz leicht. Doch dann legte Madame Sparv den Karokönig auf den Tisch, Carlotta warf seufzend die Kreuzvier dazu. Die Uzanne bediente mit der Dame, ihr Gesicht reglos wie Stein. Frau von Hälsen drehte sich um und legte Madame Sparv die Hand auf den Arm. »Ich freue mich so!«, sagte sie.
Frauen sind sehr seltsame Spieler.
Die Zuschauer applaudierten, auch Carlotta klatschte, bis die Uzanne Madame Sparvs Handgelenk packte und deren Hand auf den Tisch drückte. »Ich dachte, der König sei schon vorher gefallen.«
»Das war der Bube auf mein Ass beim vierten Stich«, sagte Madame Sparv; sie zog das Karoass und den Buben aus ihrem Stapel und schob dann das ganze Deck zusammen. »Spieler verwechseln oft den Buben mit dem König.« Sie nahm Kassiopeia und schloss den Fächer, genauso wie die drei anderen. Dann stand sie auf, drückte die vier Fächer wie Zunder in ihren zitternden Händen und wandte sich an Frau von Hälsen: »Ich hatte Glück mit dem Blatt Ihrer Nichte, und Glück sollte man teilen. Bitte kommen Sie doch bald mit ihr wieder.« Sie nickte und verschwand durch den dunklen Flur in ihre Privaträume.
Ich konnte das Gesicht der Uzanne nicht sehen, aber Carlotta beugte sich vor und küsste sie auf die Wange. »Nun kommen Sie schon, Madame! Sie selbst haben doch gesagt, dass wir in die Zukunft blicken müssen.« Carlotta zögerte, und ich konnte sehen, wie sich auf ihrem Gesicht der Sieg ihres gütigen Herzens über ihre gesellschaftliche Stellung ausbreitete. »Ich habe gehört, dass eine fröhliche Ausfahrt nach Djurgården stattfinden soll, wo wir den Morgen begrüßen. Werden Sie mitkommen?«
Ich glitt von meinem Platz und versuchte, Carlotta zu verstehen zu geben, dass das ganz einfach nicht angehen konnte – schließlich wollte ich ihr einen Antrag machen, sobald wir allein wären! Doch Carlotta hatte nur Augen für ihre geschlagene Wohltäterin.
Die Uzanne nahm ihren elfenbeinfarbenen Notizblock und den Bleistift und schrieb mit zitternder Hand SPARV. Unter den Achseln und unter ihren Brüsten zeichneten sich feuchte Flecken ab und tränkten die gestickten Blumen auf ihrem Kleid. Dann sagte sie zu ihrer zartfühlenden Begleiterin: »Ja, Carlotta, wir müssen in die Zukunft blicken. Aber ich habe bereits Pläne – und Sie auch.« Carlotta war verdutzt. »Ich habe für Sie ein Rendezvous mit Leutnant Halland arrangiert. Er steht Herzog Karl nahe und ist mit den De Geers verwandt.«
»Mit den De Geers!« Carlottas Hand fuhr an ihren Busen. Es war eine vornehme Familie, ihr Reichtum war Legende. »Wo ist er?«, fragte sie und sah sich mit dem strahlendsten Lächeln um.
Die beiden Damen gingen zu Karls Gefolge, und die Uzanne machte Carlotta mit einem betrunkenen Offizier mit widerspenstigem Gesichtshaar bekannt. Ein Eingreifen meinerseits hätte bestenfalls zu Ärger geführt, schlimmstenfalls zum Duell, und so stand ich steif da und sah zu, wie der Rüpel Carlottas nackte Hand küsste und sie seine Uniform bewunderte. Nicht mal einen Blick schenkte sie mir, während ihre Unterhaltung immer angeregter wurde! Als Carlotta seinen Arm nahm, sich an ihn drückte und ihre zarten Lippen zu seinem Mund hob, redete ich mir ein, dass sie nur das Spiel mitspielte und sowohl der Uzanne als auch ihrer Mutter einen Gefallen tun wollte, aber ihr offensichtliches Vergnügen war schmerzhaft mit anzusehen.
Die Uzanne schien mehr als nur ein kurzes Gespräch mit Herzog Karl zu wünschen, sie beugte sich aufs Verführerischste zu ihm vor, doch Pechlin stand plötzlich auf und rief laut nach der Kutsche des Herzogs. Auch die übrigen Gäste verabschiedeten sich allmählich, die Hausdiener verbeugten sich und sammelten hinter ihnen die leeren Gläser ein. Ich verschwand mit der Menge und zog mich in den dunklen Hof zurück. Endlich wurde der Himmel abenddunkel, die blaue Stunde lag vor uns, wenn die Sonne stundenlang am Horizont schwebt und nur die hellsten Sterne sich zeigen. Man ist in einer seltenen azurblauen Welt zwischen Tag und Nacht gefangen, so wie ich mich zwischen Carlottas anfänglichen Ermutigungen und ihrem Entschwinden gefangen fühlte. Ich wartete, bis alle weg waren, dann ging ich die Dienstbotentreppe hinauf und setzte mich ins obere Zimmer, damit mir Madame Sparv die Karten legen konnte.
Kassiopeia
Quellen: E. L., Madame S.
Madame Sparv sah bleich und müde aus, ihre Tränensäcke hingen ein wenig schlaffer hinunter als üblich. Sie stellte ein Tablett mit zwei Gläsern und einer Flasche auf den Tisch, dann setzte sie sich mir gegenüber, so steif wie ihr Holzstuhl mit der geraden Lehne. »Eine ereignisreiche Mittsommernacht, Herr Larsson.«
Ich fuhr mir mit der Hand durchs Haar und über die Bartstoppeln, die an meinem Kinn sprossen. »Ja, und kein Ereignis lief so, wie ich es geplant hatte. Haben Sie gesehen, dass meine Carlotta mit diesem … diesem Trampel abgezogen ist? Man hat mir meine Zukunft gestohlen!«
Vom Tablett nahm Madame Sparv einen langen, schlanken Gegenstand, der in einem blauen Seidenfutteral steckte, ihre Hände zitterten leicht, als sie die Hülle abzog und Kassiopeia enthüllte.
»Und dann das da!«, schimpfte ich weiter. »So ein fahrlässiger Schwindel angesichts solch niedriger Einsätze.«
»Das ist kein niedriger Einsatz. Die Uzanne hat mir ein wertvolles Exemplar gegeben, vor allem wenn die Geschichte von der düsteren Herkunft des Fächers wahr ist. Ich werde den neuen Fächerhersteller fragen, Christian Nordén. Er wird wissen, wer und was Kassiopeia ist.«
»Ich weiß, dass sie mindestens ein Monatssalär wert ist«, erwiderte Madame Sparv.
Ich goss mir ein Glas Armagnac ein, Geschirrgeklapper und die Stimmen der Bediensteten drangen durchs Treppenhaus herauf. »Übrigens, ich erwarte eine Beteiligung.«
»Ich habe nicht vor, Kassiopeia zu verkaufen, aber ich werde mich natürlich erkenntlich zeigen.« Sie hielt mir Kassiopeias Blatt hin. »Fällt Ihnen etwas auf?« Sie drehte den Fächer und betrachtete die gemalte Landschaft, »Der Sonnenuntergang, der von Indigoblau zu Orangerot verläuft, die Wolken, die sich am Himmel türmen, das prächtige Haus, die schwarze Reisekutsche … Das war meine Vision für Gustav.«
»Ja!« Ich beugte mich vor und studierte das betörende Bild. Ich stellte mir vor, ich würde selbst die Kutsche besteigen und an einen Ort unvorstellbarer Freuden gefahren werden. »Ich hatte gleich so ein komisches Gefühl, als ich den Fächer auf dem Tisch liegen sah.«
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