Aus Madame Sparvs Gesicht sprachen Schrecken und Erstaunen zugleich. »Gustav war der festen Überzeugung, die Vision würde sich auf Frankreich beziehen, dabei steht sein eigenes Haus auf dem Spiel. Das wurde heute Abend deutlich.« Sie strich mit dem Finger über das Fächerblatt. »Ich muss ein Oktavo legen.«
»Aber ich habe den König sagen hören, er habe keine Zeit.«
»Nein, Herr Larsson, ich will es für mich selbst legen.« Sie faltete Kassiopeia zusammen und schob sie in ihren Seidenkokon zurück. »Gustav hat zwar etwas mit dieser Vision zu tun, aber ich habe mich geirrt, als ich dachte, sie sei für ihn. Die Vision bezieht sich auf mich. Ich habe die Aufgabe, sein Haus zu schützen.« Sie steckte Kassiopeia in ihre Tasche und tätschelte sie ein paarmal, als könne diese womöglich verschwinden.
»Mit Verlaub, aber ich frage mich, was Sie dem König zum Schutz anbieten wollen.«
»Mein Oktavo. Die Erkenntnis, die mein Oktavo mir schenkt, kann den Verrat ersticken, bevor er eintritt.«
»König Gustav hat zwanzig Jahre lang allen Intrigen getrotzt, Madame Sparv. Und die Patrioten, die wir heute Abend gesehen haben? An einem Tag hasst Herzog Karl seinen Bruder, am nächsten vergießt er wieder Tränen der Liebe und Hingabe für ihn. Pechlin steht mit einem Bein im Grab, und die Uzanne ist … eine Fächersammlerin.«
»Und eine höchst anspruchsvolle dazu. Kassiopeia ist ein Objekt der Macht. Ich habe vor, sie einzusetzen. Vielleicht müssen wir sie entmachten oder verzaubern, vielleicht aber auch zerstören.«
»Wir? Warum sagen Sie wir ?«
Sie nahm ihre Pfeife vom Beistelltisch und zündete sie an einer Wachskerze an. »Wir sind Partner, Herr Larsson. Ich kann mich um Herzog Karl kümmern – er ist ein Glaubender und wird mich aufsuchen. Aber ich will, dass Sie mehr über die Uzanne herausfinden: Wer sind ihre Verbündeten, welche Schwächen hat sie, wie will sie Karl auf den Thron bringen? Und passt die Dame der Weingefäße denn nicht genau auf die Uzanne? Ihre Gefährtin.«
»In dieser Rolle sehe ich sie nicht. Und wie soll ich mich der Uzanne nähern? Beim Kartenspiel?«
»Nehmen Sie die Tür, die Carlotta Ihnen öffnet.«
»Carlotta? Carlotta ist mit diesem Trottel von Soldat davongetänzelt, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen!« Ich leerte mein Glas in einem Zug. »Andererseits hatte das arme Mädchen ja gar keine Wahl. »Sie ist eine … Gefangene.« Ich stellte mein leeres Glas ab und setzte mich aufrecht hin. »Mein Oktavo, Madame Sparv. Es ist fast Mitternacht.«
Sie nickte und richtete schnell den Tisch her. »Heute Nacht suchen wir den Lehrmeister, der sie unterweisen wird.« Wir sprachen nicht, während sie die Karten auslegte. Nach fünf Runden kam die dritte meiner acht Karten.
»Der Lehrmeister. Die Acht der Bücher. Bücher sind die Farbe des Zwists.«
»Ich meine mich zu erinnern, dass Sie sagten, sie seien die Farbe des Strebens.«
»Jede Farbe hat ihr Gutes und ihr Schlechtes. Manches Streben ist von schlechter Art. Lernen ist heilig, es erhebt den Menschen in den Himmel, aber mit Dogmen und grausamen Gesetzen werden Menschen erobert und versklavt. Neues Gedankengut konkurriert mit altem. Die Wissenschaft stürzt die Welt und richtet sie wieder auf.« Sie betrachtete das Bild eine Weile aus der Nähe. »Diese Karte steht für eine Frau oder einen Mann als Lehrmeister. Zwei Blumen blühen, eine weiße, eine rote – Gegensätze irgendwelcher Art. Aber die Acht bedeutet Wiedergeburt. Vielleicht strebt auch Ihr Lehrmeister danach. Es ist jemand, der hinaufklettern will – vielleicht den Baum der Erkenntnis oder die Leiter des Erfolgs. Er ist schlau, aber auch empfänglich für Schmeichelei und Nachahmung. Sehen Sie den Papagei?«
»Mir kam gleich mein Vorgesetzter im Amt in den Sinn. Ständig quakt er Bibelverse vor sich hin und gibt mir Ratschläge für die Wahl meiner zukünftigen Gattin.«
»Hm.« Sie zog an ihrer Pfeife. »Aber die Musik, die die beiden so zwanglos teilen, erinnert nicht an eine Hymne im Gesangbuch.«
»Ich wollte heute Nacht mit Carlotta eine Hymne auf Eros singen«, sagte ich und starrte das Paar auf der Karte an.
Inspiration im Krug zum Sauschwanz
Quellen: E. L., Kapitän H., J. Blom
Trotz einer kurzen, schlaflosen Nacht stand ich am nächsten Morgen früh auf und verfasste einen feurigen Brief an Carlotta. Eine Seite voller Komplimente, gefolgt von einer Seite, auf der ich meine Bestürzung über ihre Abfahrt ausdrückte sowie meine diesbezügliche Vergebung und die Versicherung, dass von derselben Hellseherin, die Herzog Karl beraten hatte, mir das Vorwissen um unsere Liebe und Verbundenheit zugespielt worden war. Dass das Oktavo noch nicht vollständig war, spielte keine Rolle, ich hatte volles Vertrauen in seinen glücklichen Ausgang. Als ich mit dem Brief die Treppe herunterkam, fing meine Vermieterin Frau Murbeck – die ich im Allgemeinen um jeden Preis zu meiden suchte – wieder mit ihrer Leier über mein spätes Nachhausekommen und meine gelegentliche Katerstimmung an, bis ich ihr von meiner bevorstehenden Verlobung erzählte. Diese Neuigkeit verwandelte sie in eine zartfühlende Freundin. Sofort rief sie nach ihrem Sohn, den sie ständig wegen irgendeines Vergehens schalt, und bot mir dessen Dienste als Liebespostillion an. Doch bis zum Abend kam keine Antwort von Carlotta, was mich plagte wie eine Stechmücke – bis mir klar wurde, dass dies das Spiel des Freiens war und sie die Macht hatte, mich leiden zu lassen.
Mein Einsatz führte mich an jenem jämmerlichen Abend durch spritzende Pfützen und Spurrillen zu einem der vielen Docks auf Skeppsholmen, einer Insel gleich östlich der Stadt. In einem dicken Cape und hohen Stiefeln blickte ich auf einen durchhängenden Lastkahn, der so aussah, als wäre er öfter durchgeschüttelt worden als eine alte Hure. Solche Schiffe wurden oft vom Zoll kontrolliert – Wracks, auf denen Verzweifelte in der Hoffnung auf letzte Rettung segelten oder Kriminelle, die sie verlassen konnten, ohne dass der Verlust sie besonders hart traf. Der Kahn war bis oben hin mit Konterbande beladen und kam aus Riga. Eine erfolgreiche Passage belohnte das große Risiko. Nachdem Frankreich durch die Revolution seinen Status als Zentrum der zivilisierten Welt verloren hatte, waren Luxusgüter knapp, die Einfuhrsteuern hoch. Dieses Schiff hatte Spitze geladen. Sie war teuer in der Herstellung und eine beliebte Zierde für Männer, Frauen und Kinder sowie für das eine oder andere Schoßhündchen und würde ein kleines Vermögen einbringen. Schlechtes Wetter und Arbeit zu später Stunde schreckten mich nicht, schließlich bekam ich einen Teil der beschlagnahmten Güter.
Zwei Polizisten waren schon vor Ort, sie hatten mit dem Licht ihrer Laternen einen Seemann eingekreist. Der Festgenommene war ein drahtiger Mann mit einem runzligen Gesicht, er hatte eine kleine Ziehharmonika bei sich. Als er meinen roten Rock sah, nickte er respektvoll. »Eine schreckliche Nacht, Sekretär, ich wurde zufällig bei Fjäderholmarna abgetrieben«, sagte der Kapitän und schüttelte mir die Hand. »Wollen wir nicht ins nächste Wirtshaus gehen? Dort kann ich Ihnen im Trockenen und bei einem wärmenden Getränk meine Geschichte erzählen. Ich lade Sie natürlich ein.«
Ich sagte den Polizisten, dass der Fall eindeutig in die Zuständigkeit des Zollamts fiele und ich mich persönlich um den Halunken kümmern würde. Der Kapitän und ich gingen in den Krug zum Sauschwanz , wo eine Laterne einladend im Regen flackerte. Bei dem scheußlichen Wetter waren alle außer den eingefleischtesten Trinkern zu Hause geblieben.
»Für den Fall, dass es später Fragen geben sollte, möchte ich Ihren Namen lieber nicht wissen«, sagte er.
»Die wenigsten kennen ihn«, erwiderte ich, »ich aber kenne Ihren. Auf dem Amt wird oft über sie gesprochen, Kapitän Hinken.«
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