Cat schaute zu ihr hoch. »Es tut mir leid, Ange. Das ist so dämlich.«
Angela zuckte die Achseln. »Wenn man darüber nachdenkt, ergibt es Sinn. Und immerhin zeigt es, dass sie ihren Job vernünftig machen.« Sie hielt eine Plastiktüte hoch, in der Bierdosen klapperten. »Also dann.« Sie ging in die Küche, legte vier Dosen in den Kühlschrank und brachte die anderen vier wieder mit. Dann setzte sie sich neben Cat, öffnete für jede von ihnen eine Dose, nahm ihre Zigaretten aus der Tasche und bot ihr das Päckchen an.
Catrin nahm eine Zigarette und beugte sich vor, um sich Feuer geben zu lassen. Es gelang ihr nur mit Mühe, die Hand ruhig zu halten, als sie sich daran erinnerte, wann sie das letzte Mal eine Zigarette zwischen den Fingern gehalten hatte: gestern Vormittag, auf dem Spielplatz. Josh hatte geweint, und sie war losgelaufen.
Sie unterdrückte ein Schluchzen und grinste, als es sich in so etwas wie einen Schluckauf verwandelte. Als Angela lachte, fiel sie mit ein. »Schön, dass du gekommen bist, Ange.«
»Red keinen Quatsch. Warum hätte ich nicht kommen sollen?«
»Trotzdem.«
»Er ist mein Neffe, oder?«
»Ja.«
»Ich bin seine Tante Ange, stimmt’s? Und du kommst mir mehr wie eine Schwester vor als wie eine Schwägerin.« Sie nahm einen schnellen Zug und stieß den Rauch zischend aus. »Auch wenn du das nicht wirklich bist, klar, aber du weißt schon.«
Cat nickte. »So gut wie«, bestätigte sie. »Und ja, du bist wie eine Schwester.«
Die Frau schaute ihr ins Gesicht. »Ich hab mich immer gefragt, warum Billy und du nicht geheiratet habt.«
»Ich wollte ja«, sagte Cat. »Aber Billy hat wohl geglaubt, wir sind besser dran, wenn wir uns gar nicht darum kümmern. Irgendwas mit den Sozialleistungen, weil wir sie leichter bekommen, wenn wir nicht verheiratet sind. Ich weiß nicht genau.«
»Ja, normalerweise kennt er sich mit solchen Sachen aus und hat raus, wie alles funktioniert. Schade, dass er in anderen Dingen nicht auch gründlicher nachdenkt.« Angela trank einen Schluck Bier und schüttelte den Kopf. »Die meiste Zeit hat er seinen Kopf nur, damit es ihm nicht in den Hals regnet.«
Cat grinste, aber das Lachen blieb ihr in der Kehle stecken. »Trotzdem vermisse ich ihn.« Sie wischte Zigarettenasche vom Kissen und senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Ich wünschte, er wäre jetzt hier.«
Angie beugte sich herüber und legte ihr eine Hand auf den Arm, sodass sich die langen Fingernägel in Cats Haut gruben. »Ich weiß.«
Dicht beieinander saßen sie auf dem Sofa, tranken, rauchten und sagten eine Weile kein Wort. Die alte Frau in der Wohnung darunter hatte ihren Fernseher laut aufgedreht. Sie konnten den Schluss des Pferderennens verfolgen, das sie sich offenbar ansah, die vornehme Stimme des Kommentators, die sich ganz am Ende eine Spur in die Höhe schraubte.
»Ich hoffe, das alte Mädchen hat ein paar Pfund gewonnen«, sagte Cat. »Das letzte Mal, als sie aufs richtige Pferd gesetzt hat, hat sie Kieron Süßigkeiten geschenkt.«
Angela leerte ihre Dose, knallte sie auf den Tisch und öffnete eine neue. »Wenn sie den Typen schnappen, der das gemacht hat …«
»Was?«
»Der Bastard wird keine Freude am Leben mehr haben … nie wieder , egal wo er hinkommt.«
»Glaubst du das wirklich?«
»So geht’s diesen Typen im Knast, nicht wahr? Die sind vogelfrei.« Sie kniff den Mund zusammen, sodass die Lachfalten plötzlich noch tiefer und dunkler wurden. »Na ja, du weißt das ganz sicher.« Sie nickte und hob die Dose zum Mund. »Wenigstens etwas, würde ich sagen.«
»Ich meine, glaubst du wirklich, jemand hat ihn entführt? Kieron?«
»Na ja, Himmel, ich hoffe es nicht … Aber es hilft nichts, sich irgendwas vorzumachen, Schätzchen.« Angela Coyne drückte ihre Zigarette aus, griff in die Tasche, um Nachschub zu holen, und lehnte den Kopf gegen das dicke Lederkissen. »Ich meine, sonst hätten sie ihn doch längst gefunden, oder?«
»Danke fürs Kommen«, sagte Maria. »Ich bin ein bisschen … durch den Wind, um ehrlich zu sein.«
Ihr Exmann trat in die Küche, warf seine Jacke über einen der Barhocker und nahm Platz. Er fühlte sich in dem Haus, in dem er bis vor fünf Jahren gewohnt hatte, eindeutig wohl. »Warum um alles in der Welt hast du nicht gestern angerufen, als es passiert ist?«
»Ich hab gehofft, es würde sich von allein klären.« Maria setzte sich ihm gegenüber, auf die andere Seite der Kücheninsel. »Dass er wiederauftauchen würde.«
»Wie geht es Joshy?«
»Er ist völlig am Boden. Natürlich, was sonst.« Maria glitt vom Hocker und ging zur Tür. »Ich sag ihm, dass du hier bist.«
Jeff Ashton wartete und lauschte den Schritten seiner Exfrau, wie sie die zwei Treppen bis zum Zimmer ihres Sohnes hinaufging. Wenige Minuten später war sie zurück. Falls sie es seltsam fand, dass er Schranktüren öffnete und schloss, als wolle er überprüfen, ob während seiner Abwesenheit alles gut organisiert war, ließ sie es nicht durchblicken.
»Er kommt gleich runter.« Maria nahm wieder Platz und ließ die Schultern hängen. »Er ist immer noch ziemlich durcheinander.«
Ashton blickte auf und rief den Namen seines Sohnes. Er wartete einen Moment und hob dann frustriert die Arme.
»Ich finde es verständlich.« Sie sah ihm zu, wie er in der Küche auf und ab ging. »Du weißt ja, wie sensibel er ist.«
Ashton nickte, als wisse er das nur zu gut. Dann setzte er sich wieder hin und schaute sie an. »Wie war er zuletzt? Vor dieser Sache, meine ich.«
»Unverändert eigentlich. Er kommt nicht zur Ruhe. Letzte Woche hat er in der Schule ein Mädchen gebissen.«
»Warum hast du mir nichts davon erzählt?«
»Ich hatte schon Angst, sie würden ihn eine Weile suspendieren.«
Ashton beugte sich zu Maria hinüber. »Hör mal, soll ich ihn nicht ein paar Tage zu mir nehmen?«
»Nein.«
»Dann hast du mal Pause. Ich meine, die Sache hat dir offensichtlich zugesetzt.« Er wartete, bis sie seinem Blick begegnete. »Du wirkst fix und fertig.«
»Ich komme schon klar.« Maria setzte sich gerade auf und schob sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Lass uns bei unserem Arrangement bleiben.«
»Ich biete nur meine Hilfe an, Mazz …«
»Ich weiß, aber … Du hast ihn wieder am übernächsten Wochenende. Das Letzte, was er jetzt braucht, ist, dass zu allem Überfluss auch noch seine Routine durcheinanderkommt.«
Ashton nickte, als leuchte es ihm ein. Er stand wieder auf, ging zum Kühlschrank und nahm sich eine kleine Flasche Wasser. »Wie geht es deiner Freundin? Wie heißt sie noch?«
»Cat«, sagte Maria. »Sie heißt Cat.«
Maria wusste, dass Jeff ihre Freundin nie sonderlich gemocht hatte. Zu seinen zahlreichen Fehlern gehörte, dass er immer einen Hang zum Snobismus gehabt und sich offensichtlich gefragt hatte, wie eine Arztgattin mit einer Frau befreundet sein konnte, der es nichts auszumachen schien, von Sozialleistungen zu leben. Deren Partner, nicht zu vergessen, im Gefängnis saß. Maria hatte versucht, es ihm zu erklären. Und statt ihn mit der Nase darauf zu stoßen, dass sie nicht gerade über einen exorbitanten engeren Freundeskreis verfügte, hatte sie ihn darauf hingewiesen, dass auch sie keinen allzu großen Beitrag zum Gemeinwohl leistete. Nicht, solange sie in einem Haus wohnte, das jemand anders bezahlt hatte. Sie war eine Frau, die einmal wöchentlich zum Mittagessen und zum Friseur ging und ansonsten mit dem Geld, das sie jeden Monat von Jeff erhielt, gerade so über die Runden kam. Sie und Cat, hatte sie ihm erklärt, hätten mehr gemeinsam, als er oder wer auch immer es gern wahrhaben mochte.
»Es muss schrecklich für sie sein«, sagte er jetzt. »Mir wird schon ganz anders, wenn ich nur daran denke.« Er nahm wieder Platz. »Was, wenn es Josh gewesen wäre?«
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