1. Denke und handle ökologisch valide.
Oder: Es gibt immer einen größeren Kontext.
2. Achte auf die Definitionen und Bewertungen, die du vornimmst.
Oder: Es könnte auch alles ganz anders sein.
3. Besinne dich auf deine persönliche Verantwortung.
Oder: Es gibt kein Richtig und Falsch, aber du bist Teil des Kontextes und alles, was du tust, hat Konsequenzen!
4. Achte darauf, in respektvoller Weise Unterschiede zu schaffen.
Oder: Füge dem Bild des / der Klienten etwas Neues hinzu. 4
Das trifft doch ganz gut, was du formuliert hast, wie es besser sein könnte, wenn man nicht immer aus dem eigenen Wertesystem urteilen will, oder? Und noch kürzer schreibt das Heinz von Foerster (Ihr merkt, ich hatte mal wieder viel Zeit zum Lesen.):
„Der ästhetische Imperativ: Willst du erkennen, lerne zu handeln.
Der ethische Imperativ: Handle stets so, dass weitere Möglichkeiten entstehen.“ 5
Das gefällt mir auch sehr gut als Grundhaltung für systemisches Arbeiten. Vor allem, weil es meiner eigenen Spiritualität oder meinem Wertesystem nicht im Weg steht. Es mahnt in der Arbeit mit Menschen eben lediglich dazu, ihnen nicht das eigene System überzustülpen. Ich grüße Euch beide herzlich. Peter
02.3. I Betreff: Willkommen im neuen Leben
Lieber Andi, lieber Peter, hallo, hier bin ich wieder. Seit dem letzten Brief sind einige Wochen vergangen und mein Leben hat sich komplett umgekrempelt. Ich bin Mutter eines wunderbaren Kindes geworden, mein bisheriger Tag- und Nachtrhythmus ist einem „Aha! … das geht 24 Stunden und alle 2 – 3 Stunden machen wir das volle Programm“ gewichen. Ich trainiere meine Arme rund um die Uhr mit einem 3,5-Kilo-Paket und ich träume mit offenen Augen davon zu schlafen, einfach mal ein paar Stündchen zu schlafen. Besonders unglaublich an meinem momentanen Zustand finde ich die Vorstellung, dass Kinder zu bekommen und eine Familie zu sein, ja auch nicht direkt etwas Außergewöhnliches ist. Jeden Tag erblicken auf der ganzen Welt neue Menschenkinder das Erdenlicht und machen neue Eltern glücklich, stolz und müde. Es muss unzählbar viele sehr, sehr müde Menschen auf der Welt geben! Hoffentlich sind sie auch alle so glücklich wie ich es bin!
In den letzten Briefen habt Ihr über Ressourcenorientierung, Glück und wertfreie Haltung geschrieben. Das sind auch für mich wichtige Stichworte bezogen auf die Aufgabe, Menschen in Prozessen zu begleiten, oder bezogen auf eigene Entwicklungsprozesse. Sie fließen in meine Wahrnehmung mit ein.
Zum Thema Prozessgestaltung sind mir noch ein paar Veränderungen in meiner Vorgehensweise aufgefallen. Zum einen geht es dabei um Strukturelemente von Prozessen, die ich heute anders verstehe und anwende. Beispielsweise bei der Wahl des Settings habe ich die eigenen Möglichkeiten eines (Natur-) Raumes und die Platzgestaltung stärker im Blick. Auch bei der Zeitplanung habe ich erst durch die Krpg ein wirkliches Verständnis von „weniger ist mehr“ entwickelt. Themen und Handlungen brauchen Zeit zum Wirken.
Andererseits sind es weitere Ebenen: zum Beispiel beziehe ich mein Bauchgefühl oder spirituelles Erleben und Deuten jetzt viel bewusster in meine Wahrnehmung ein. Dadurch ergeben sich wesentlich mehr Handlungsmöglichkeiten.
Ganz besonders bemerkenswert in diesem Zusammenhang finde ich übrigens die Frage nach der Verantwortung vom Gelingen oder Misslingen von Prozessen. Ausgehend von der systemischen Sichtweise, leisten alle am System Beteiligten ihren Beitrag für das Gelingen einer Sache. Sie tun dies bewusst oder unbewusst. Es gibt für die Leitung also höchstens die Möglichkeit, ein Klima zu gestalten, in dem sich alle gern für eine bestimmte Sache einsetzen. Ob das aber letztlich gelingt oder wie das Ergebnis genau aussieht, liegt nicht allein in ihrer Hand. Das finde ich super und erlebe es darüber hinaus auch als große Entlastung.
So Ihr beiden, ich werde nun von meinem hungrigen Sohn an die Milchbar gerufen!
Bis bald, seid lieb von mir gegrüßt. Karin
18.3. I Betreff: Perspektivenwechsel
Liebe Karin, lieber Peter,
Mit einem Schmunzeln habe ich Deine Zitate Aristid von Schlippes gelesen, Peter. Die treffen natürlich genau das, was ich gemeint habe. Ernüchternd und erhebend zugleich. Von Schlippe formuliert hier kurz und bündig eine sehr gute Zusammenfassung von dem, was ich mühevoll formuliert hatte. Das ist ernüchternd. Erhebend ist aber, dass andere meine Erfahrung teilen und vergleichbare Schlüsse daraus ziehen.
Ich stelle ebenso wie Ihr beide fest, dass sich meine Wahrnehmung in den vergangenen Jahren deutlich verändert hat. Das wirkt sich bei mir vor allem darauf aus, wie ich Ereignisse und Eindrücke deute und wie ich sie in mein Welt- und Menschenbild einordne.
Ich bin eher in der Lage, das, was mir begegnet, als Ressource zu sehen und mich von der Frage leiten zu lassen, welche Hinweise ich darin für mein Handeln finde. Eine neue Deutung, die sich an Wachstum und Weiterentwicklung orientiert.
Diese Veränderung ist etwa so, als würde ich einen Schritt zurücktreten, um die Dinge mit etwas mehr Abstand zu betrachten. Dieser Abstand weitet nicht nur den Blick für vorhandene Ressourcen, sondern schafft gleichzeitig so etwas wie einen Sicherheitsabstand. Emotional betrachtet, nehme ich mir viele Dinge nicht mehr so zu Herzen und systemisch betrachtet bedeutet es, dass ich so eher in der Lage bin, einzelne Systeme neutraler wahrzunehmen und aktiv und reflektiert zu agieren, anstatt mich passiv darin verstricken zu lassen. Die Energien bleiben so dort, wo sie hingehören. Ich glaube, durch ein unbedachtes „Sich-in-Zusammenhänge-verstricken(-lassen)“ raube ich einem System Energie, die in ihm selbst benötigt wird.
Genau wie Du, Karin, fühle ich mich bezüglich der Frage nach der Verantwortung dadurch freier. Übertragen auf Situationen, in denen ich Verantwortung habe, beispielsweise in Leitungsfunktionen, heißt das auch für mich, dass ich nicht allein für den Verlauf von Prozessen verantwortlich bin, sondern dass es auf das Mittun aller am System Beteiligten ankommt.
Erstaunlicherweise entdecke ich immer mehr einen Zusammenhang zwischen dem, was ich Systemen zutraue, und dem, was sie zu leisten imstande sind. Je mehr ich auf diese Leistungsfähigkeit und vor allem darauf vertraue, dass alle Teile ihren Beitrag leisten, desto erfolgreicher verlaufen Prozesse, die ich initiiere und desto zufriedener bin ich. Offensichtlich hat allein meine innere Haltung einen wesentlichen Einfluss auf die Dynamik in Gruppen und Prozessen.
Zum Thema Veränderung will ich noch anmerken, dass ich interessanterweise auch Monate nach dem Ende des Lehrgangs noch immer das Gefühl habe, mich in einem Veränderungsprozess zu befinden. Ich bin zwar nicht sicher, ob meine Umwelt das genauso wahrnimmt, aber es fühlt sich an wie Unterwegssein, wie Wachstum mit viel Spannung und Vorfreude. Für mich macht dieses Unterwegssein einen großen Teil Menschsein aus.
So Ihr beiden, das waren meine Gedanken für heute (zumindest zu diesem Thema). Ich werde mich jetzt meinem Haushalt widmen (auch beim Bügeln kann man unterwegs sein) und grüße Euch ganz herzlich. Bis bald. Andi
30.3. I Betreff: Bewegung
Lieber Andi, lieber Peter,
Beim Weiterdenken am Thema Wahrnehmung bin ich auf das Stichwort Handlungsorientierung gestoßen. Den Auslöser gab Deine Beschreibung, Andi, dass Du die Dinge inzwischen mit einem gewissen Abstand zu betrachten in der Lage bist. Mir geht es auch so, dass ich oft einen Schritt zurücktreten und dadurch einen breiteren Blick auf die Geschehnisse werfen kann. Wenn wir es dabei belassen würden, wäre das aber zu wenig. An dieser Stelle muss etwas in Bewegung kommen. Und die beste Möglichkeit, in Bewegung zu kommen, ist handeln.
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