Ein Tag körperlicher Erholung lag hinter uns. Der Hafentransporter brachte uns zum Raumschiff, während eine schmutzige Staubfahne hinter ihm zurückblieb. Die Pilger hockten eng beisammen und schwiegen. Der Transporter hielt, und die Roboter forderten uns zum Aussteigen auf. Wir erblickten das Raumschiff, das uns hergebracht hatte – ungepflegt und schmutzig wie zuvor.
Ohne Bedauern verließ ich die windig-schwüle Atmosphäre des Planeten. Das Abenteuer hatte ich überstanden, jetzt ging es um die Auswertung, um meinen Artikel. Ich durchstreifte das Raumschiff, doch wohin ich auch kam, die Pilger hielten sich von mir fern. Im Speiseraum traf ich auf den Pilger mit dem Laptop. Er saß allein an einem Tisch und schien auf jemanden zu warten. Sein Gesicht wirkte ruhig und entspannt.
»Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt«, sprach ich ihn an, »sind Ihre Theorien bestätigt worden?«
»Mehr als das«, erwiderte er. »Meine Speicher wurden zwar alle gelöscht, doch sie wurden mit neuen Informationen gefüllt. Völlig neue Formeln, geradezu überwältigend. Ich muss die fremden Daten nur noch entschlüsseln.«
Ich war überrascht. »Hat Ihr Gerät denn innerhalb des Energiefeldes gearbeitet?«
»Ich hielt mich an seiner Grenze auf, aus guten Gründen«, sagte er. »Von dort hatte ich auch einen besseren Überblick, als wenn ich mich in die riskante Nähe der Lichterscheinung begeben hätte.« Er wies auf einige Pilger, die sich in die Ecken verzogen hatten. »Sehen Sie sich doch um. Jämmerliche Gestalten! Sie trauen sich nicht, einem in die Augen zu sehen.«
»Sie machen einen deprimierten Eindruck«, bestätigte ich. »Haben sie denn nicht die Erfüllung ihres Glaubens gefunden?«
»Glauben?« Er lachte leise. »Sie haben gezweifelt, haben gedacht, sie könnten mit Gott plaudern wie mit dem Nachbarn. Gott hat sie zurückgestoßen, erniedrigt, ihnen ihre Nichtigkeit vor Augen geführt.«
»Sie sehen so aus, als hätten sie etwas Entsetzliches durchgemacht.«
Der Kayriede trat heran. Seine Schädelwulst war blass und eingefallen. »Sie Feigling«, beschimpfte er aufgebracht mein Gegenüber. »Sie waren nicht dabei, sonst würden Sie verstehen. Gott hat tiefer in meine Seele geblickt, als es mir selbst möglich ist, und als er nicht fand, was er suchte, stieß er mich zurück – unwürdig! Unwürdig, der ich mein Leben allein Gott geweiht habe!« Er stockte. »Wie soll ich jetzt vor die gläubigen Seelen treten? Gott …«
»Wer Gottes Größe verkennt«, erwiderte der andere, »der begreift ihn nicht. Ihm mangelt es am Glauben.«
Einige der Pilger, die das Gespräch mitverfolgten, traten näher heran. Keiner von ihnen sagte ein Wort, sie lauschten mit unbewegter Miene.
»Sie sind offensichtlich überzeugt, Gott begegnet zu sein«, wandte ich mich an meinen ersten Gesprächspartner. »Was bringt Sie zu der Überzeugung?«
Er blickte mich verständnislos an und spielte am Verschluss seines Laptops.
»Ihre Speicher wurden gelöscht«, sagte ich, »und mit unverständlichen Formeln gefüllt. Die Pilger, die sich gottesfürchtig der Erscheinung genähert haben, wurden innerlich zutiefst verletzt. Warum machen Sie gerade Gott dafür verantwortlich?«
Er starrte mich an.
»Es gibt für Gott eine negative Entsprechung«, sagte ich. »Nennen Sie es Beelzebub, Scheitan, Diabolus …«
Die Pilger stießen ein Ächzen aus.
Er atmete schwer. »Sie meinen … Sollte etwa …« Ein Aufschrei.
»Luzifer!« Er klappte seinen Koffer auf, fremde Symbole zuckten über den Bildschirm. »Nein!«, rief er. »Das ist nicht Gottes Handschrift. Hebe dich hinweg, Satanas!«, brüllte er, stand auf und schmetterte sein Gerät auf den Boden.
Der Kayriede wandte sich den Pilgern zu. »Fasset Mut, Brüder im Geiste …«
»Ich sage euch, wir haben Satan widerstanden!«, rief der andere und stieß mit dem Fuß seinen zerstörten Laptop zur Seite. »Unser Glaube war so stark, dass kein Teufel uns etwas anhaben konnte. Wir haben Luzifers Höllengestalt durchschaut, mit Gottes Beistand haben wir die Prüfung bestanden und Luzifer zurückgeschlagen!«
»Gott war bei uns, Gott ist in uns, Gott wird bei uns sein, heute und immerdar!«, rief der Kayriede. »Sein Name sei gelobt. Lasset uns beten.«
Die Pilger fielen auf die Knie.
Als das Raumschiff gelandet war, dröhnte eine lautsprecherverstärkte Stimme über das Feld. »Seid gegrüßt, Pilger Gottes. Kniet nieder, empfangt den Segen des unermesslichen Geistes! Wer fest im Glauben ist, den nimmt Gott auf und verzeiht ihm seine Sünden. Ich bringe euch die Gnade, deren ich teilhaftig geworden bin.«
Bernard Pelot entblößte seine gelbfleckigen Zähne und drückte mir die Hand. »Schön, dass du gesund zurück bist. Hast du genügend Material zusammenbekommen? Wir haben kaum Zeit, dein Artikel ist der Aufmacher der nächsten Ausgabe.«
Man erwartete eine gute Story von mir. Außerdem wollte ich weiterkommen. Ich brauchte nur die Wahrheit zu schreiben. Doch schon während des Rückfluges waren mir Zweifel gekommen. An WELT GOTTES verdienten mächtige Banken und Firmen. Wie leicht konnte ein Unbequemer Opfer eines Unfalls werden. Andererseits empfand ich die Vorkommnisse als dermaßen irrsinnig, dass es mich geradezu drängte, mit der Wahrheit herauszurücken. Denn in einem war ich jetzt sicher: Sollte es jemandem gelingen, Gott – oder was immer sich dort befand – gegenüberzutreten, er würde nicht zurückkehren.
Ich wusste es.
1
Es war dunkel. Nur eine an die Hauslichtanlage angeschlossene Lampe erhellte das Zimmer. Daran gewöhnte man sich. Viel störender war die Tatsache, dass wegen der draußen angebrachten Werbefläche das Fenster nicht mehr zu öffnen war. Leider war Georg auf diese Einnahmequelle angewiesen. Er hätte sonst seine zwanzig Quadratmeter Wohnraum aufgeben müssen.
Zu diesem Zeitpunkt gab es jedoch keinen Grund mehr, sich darüber Gedanken zu machen. Er hätte die Werbeplatte aus ihrer Verankerung stoßen können, niemand hätte sich daran gestört.
Georg verließ die Wohnung und stieg neun Etagen zu Fuß hinab. Den Lift zu benutzen vermied er wegen der in letzter Zeit häufig auftretenden Stromausfälle. Bunt bedruckte Müllsäcke lehnten, teilweise übereinandergestapelt, am Geländer. Unten öffnete seine Kreditkarte die Tür. Er lief in die Nacht.
Sein Blick wanderte zum Himmel. Er sah ihn sofort: einen gleißenden Stern, der den Dunst der Stadt durchdrang. Ein Licht, das ihm durch die Augen heiß in den Schädel sprang. Seinem Gefühl nach hätte er losschreien, seinen Schmerz hinausbrüllen wollen. Doch Georg stand nur da und starrte in die sternenfunkelnde Finsternis.
Noch zwei Tage, möglicherweise auch drei, und alles würde vorbei sein. Ein gigantischer, durchs All treibender Gesteinsbrocken, durch pures kosmisches Desinteresse geleitet, würde auf die Erde treffen und alles Leben von ihrer Oberfläche tilgen. Die Menschheit war hilflos, ihre Hochtechnologie ein ergebnisloses Schulterzucken.
Das war nicht das Schlimmste. Nicht für Georg. Es gab eine Sache, die ihn viel mehr quälte. Die ihn dazu brachte, nach draußen zu gehen und die Straßen zu durchstreifen.
2
Sabine suchte in ihrer Tasche nach der Kreditkarte, fand sie in dem Täschchen für Kosmetika und führte sie in den Abtastschlitz. Summend öffnete sich die Tür der Wohneinheit.
Ihr Blick fiel auf einen schwarzen Koffer neben dem Flurschrank. Ihr fiel auch der an den Spiegel geheftete Zettel auf. Mit Großbuchstaben stand dort geschrieben:
LIEBE SABINE,
VERZEIH MIR. ICH MÖCHTE DIESE LETZTEN UNS VERBLEIBENDEN TAGE MIT DIR VERBRINGEN.
DEIN ROBERT
Sabine zerknüllte den Zettel und ging ins Wohnzimmer. Was kam Robert in den Sinn, hier aufzutauchen und unerlaubt ihre Wohnung zu betreten?
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