B. G. Bernhard - Auch dunkle Wolken haben einen Silberstreif

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Episoden des Alltags einer Familie in Ostdeutschland sind mit der Arbeitswelt des in Dresden beheimateten Pharmazeuten Thalheim zu einem epischen Ganzen verwoben.
Unterordnung und Aufbegehren prägen den Alltag. Freizeitaktivitäten, liebevoll-gestaltete Familientreffs, Momente des Glücks, familiäre Harmonie sind der Gegenpol und bleiben anhaltend in Erinnerung angesichts des hereinbrechenden Zusammenbruchs und der Entwurzelung.
Der Riss der Zeit geht auch durch den Protagonisten selbst. Wohin treibt es ihn? Wird er die Herausforderungen in einer ihm fremden Welt meistern?

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B. G. Bernhard

Auch dunkle Wolken haben einen Silberstreif

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Inhaltsverzeichnis Titel B G Bernhard Auch dunkle Wolken haben einen - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel B. G. Bernhard Auch dunkle Wolken haben einen Silberstreif Dieses ebook wurde erstellt bei

1. Herbsttag

2. Die Struktur

3. Ideologische Mühlsteine

4. Im Labor

5. Jahrzehnte zurück

6. Wo man sich niederlässt

7. Vorstudienzeit

8. Blickfang

9. Jahre zurück - Studienbeginn

10. Festliche Stimmung

11. Jahre zurück – An der Basis der Produktion

12. Arbernsuppen-Fest

13. Jahre zurück – Der Mensch lebt nicht gern allein

14. Gespräch mit Freunden

15. Jahresendfeier

16. Saunatag

17. Erfolg im Labor

18. Schwerter zu Pflugscharen

19. Feuersturm über Dresden

20. Frauentag

21. Vom Eise befreit sind Strom und Bäche

22. Bestrahlung mit Rotlicht

23. Kleingarten und Datsche

24. Planung vorübergehender Abwesenheit

25. Walpurgisnacht

26. Dixie vereint

27. Aufbruch

28. Keine Gewalt

29. Anarchischer Zustand

30. Nahes Land – bisher fern und unbekannt

31. Neue Arbeit in der Fremde

32. Der Kapitalist eignet sich den Mehrwert an

33. Vorzeit - Jetztzeit

34. Der vergessene Geburtsname

Impressum neobooks

1. Herbsttag

B. G. Bernhard

Auch dunkle Wolken haben einen Silberstreif

Buch

Episoden des Alltags einer Familie in Ostdeutschland, besonders während der Wendezeit, sind mit der Arbeitswelt des in Dresden beheimateten Pharmazeuten Thalheim zu einem epischen Ganzen verwoben.

Unterordnung und Aufbegehren prägen den Alltag. Freizeitaktivitäten, liebevoll-gestaltete Familientreffs, Momente des Glücks, familiäre Harmonie sind der Gegenpol und bleiben anhaltend in Erinnerung angesichts des hereinbrechenden Zusammenbruchs und der Entwurzelung.

Der Riss der Zeit geht auch durch den Protagonisten selbst. Weltenwechsel. Wohin treibt es ihn? Er wird mit der Realität der alternativen Ordnung konfrontiert. Wird er die Herausforderungen in einer ihm fremden Welt meistern?

Inhaltsverzeichnis

Das Einzige, wonach wir mit Leidenschaft trachten,

ist das Anknüpfen menschlicher Beziehungen“ Ricarda Huch

Der Wecker mit dem dosenförmigen, runden Gehäuse riss zur eingestellten Weckzeit mit seinem schnurrenden Geräusch die Ruhenden aus dem Schlaf. Ulrich verließ zügig sein Bett und ging ins Bad. Durch die Badtür drangen die Nachrichten aus dem kleinen Badradio: Die Leipziger Kristin Otto errang in der 100-m-Freistildistanz eine weitere olympische Goldmedaille für den ostdeutschen Staat, der nun in Söul eine fantastische Bilanz mit 25 Gold- und 19 Silbermedaillen zu verzeichnen habe – Bayerische Abgeordnete waren bei Dresdner Wissenschaftlern an der TU zu Gast.

Sonja verweilte noch auf der Bettkante. Verschwimmende Erinnerungen an einen Traum zogen gedanklich vorbei. Sie bildete sich ein, etwas über ihre unbewusste Gedankenwelt erfahren zu können. In den Traumfetzen war sie in einer parkähnlichen Landschaft mit Vogelgezwitscher auf einer Parkbank wie festgenagelt. Sie wollte zu einer Demonstration, konnte aber nicht aufstehen. Ein häßlicher Hund mit fletschendem Maul stürmte auf sie zu, danach gingen fünf Männer mit Hut im Wettermantel vorbei und musterten sie. Dann kamen Demonstranten entgegen und berichteten. Der oberste Lenker des ostdeutschen Gemeinwesens und ebenso die Ministerin für Volksbildung mit den violett gefärbten Haaren seien abgesetzt worden.

Unwillkürlich gingen ihre Gedanken zu ihrem Unterricht an diesem Tag über. Eine Hospitation war angekündigt.

Sie streifte ihren Bademantel über und ging zum Fenster und schob den Store zur Seite. Beim Blick durchs Fenster nahm sie die verschiedenen Farben der Blätter an den Bäumen wahr. Ein Wechsel vom Grün zum Rotbraun begann. Frühherbst. Der Himmel war blau. Es schien ein sonniger Tag, ein strahlender Herbsttag zu werden.

Aus dem Kinderzimmer ertönte Radiomusik. Tochter Katja war munter, blieb aber noch im Bett. Sonja ging hinein und mahnte, sie solle aufstehen.

Katja las eine Geschichte. Sie müsse noch zu Ende lesen. Sie wolle wissen, wie es ausginge. Sie solle nachmittags weiterlesen. Nein, da müsse sie den ganzen Tag über daran denken. Sie kamen überein.

Die Kurzmeldungen aus dem Küchenradio informierten, dass der Alkoholverbrauch in Ostdeutschland zweieinhalbfach höher sei als im Westen - ein farbiger kanadischer Sportler bei den olympischen Spielen werde wahrscheinlich disqualifiziert, weil in seinem Urin Anabolika nachgewiesen wurden. Sonja ging durch den Kopf, was wohl die Gründe für den aus den ärmsten Schichten kommenden Farbigen gewesen sein könnten: männlicher Größenwahn, übertriebener Ehrgeiz?

Katja kam rechtzeitig in die Küche und setzte sich auf einen Hocker an den selbstgefertigten Essplatz am Fenster. Ulrich löffelte den Rest seiner Haferflockensuppe und putzte Zähne,

Wenn er morgens in den Spiegel schaute, um seinen Scheitel zu ziehen, fielen ihm täglich die Falten von den Nasenflügeln zum Mundwinkel auf. Er war eitel. Um der Zunahme der Faltenbildung entgegen zu wirken, griff er abends in den Cremetopf seiner Frau und trug eine dicke Cremeschicht auf. In Abständen beschwerte sich seine Frau, dass der Überzug des Kopfkissens rasch speckig würde. Er solle überlegen, dass dünne Cremeschichten auch ihre Wirkung entfalteten. Nach dem Badzeremoniell zog er eine Jacke über, gab beiden einen Abschiedskuss und verließ die Wohnung.

Katja stellte sich am Radio Musik vom Sender DT 64 ein. Während des Essens schaute sie aus dem Fenster. Auf der Straße sah sie Herrn Zietschmann vom Erdgeschoss, wie er mit seinem Hund aus dem Haus kam. Radfahrer fuhren vorbei.

Beim Frühstück fragte Sonja, welche Fächer an diesem Tag auf dem Plan stünden. Staatsbürgerkunde, aber dies sei ein doofes Fach, sagte Katja. Sie hasse es. Olaf in der Klasse melde sich häufig. Er erhalte von der Lehrerin vielfach Lob für seine Antworten. In der Pause prahle er, dass er eine ganz andere Meinung habe. Er brauche aber gute Zensuren, er wolle studieren. Katja fragte ihre Mutter, ob sie nachmittags mit Grit Eisessen gehen dürfe. Bejahung. Sonjas Frage, ob alle Schulutensilien in der Schultasche seien, antwortete Katja mit mürrischem, bejahendem Unterton. Sonja drängte zum Gehen. Sie müsse als Lehrerin pünktlich sein. Gemeinsam verließen sie die Wohnung. Auf der Treppe musste Katja noch mal zurück in die Wohnung, weil sie vergessen habe, ihr Deutschbuch einzupacken. Sonja wartete geduldig. Klug gab sie keinen Kommentar. So bestand wieder Einigkeit.

An der Haustür begegneten sie Frau Mehnert aus dem Erdgeschoss. Beidseitig freundlicher morgendlicher Gruß.

Auf dem Weg zur Schule ging Sonja die angekündigte Hospitation in der Deutschstunde, wie sie politische Fragen in den Unterricht einbeziehe, durch den Kopf. Sie musste an Katjas Einwurf während des Frühstücks denken. Sie wusste, dass viele Eltern unschlüssig waren, was sie ihren Kindern zu deren Agieren in der Schule empfehlen sollten. Die Zwei-Gesichter-Problematik schien viele Leute ständig zu beschäftigen. Nach Alkohol kam sie bei vielen besonders zum Vorschein.

In Sichtweite der Schule trennte sich Katja von ihrer Mutter und ging allein den restlichen Weg.

Herrn Zietschmanns Hund Lucky war bereits um den Häuserblock gerast. Seinen Drang nach Freiheit, nach eigenwilliger, nicht fremdbestimmter Gestaltung der täglichen Aktivitäten konnte Zietschmann sehr gut verstehen und nachempfinden. Der Hund wartete am Räcknitzer Weg.

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