1.5.2 Demographischer Wandel, Wertewandel und Individualisierung
Viele Unternehmen sehen sich mit einer alternden Belegschaft und zunehmendem Fachkräftemangel konfrontiert. Das Personalmanagement muss die Bedürfnisse der Mitarbeiter in verschiedenen Lebensphasen und unterschiedlicher Generationen und die sich verändernden Werte im Blick haben. So zeigt sich der Wertewandel z. B. darin, dass Hierarchien und Autorität zunehmend hinterfragt werden und Führungskräfte, die ihre Entscheidungen allein basierend auf ihrer Positionsmacht durchsetzen wollen, sich mit Widerständen konfrontiert sehen (vgl. Stuck et al., 2020, S. 141). Gleichzeitig müssen immer mehr Unternehmen um Nachwuchs werben und attraktive Arbeitsbedingungen ermöglichen, um ihren Personalbedarf nachhaltig sicherzustellen (vgl. Armutat, et al., 2016, S. 9).
Der sogenannte »War for talents« (Chambers et al., 1998), der als Begriff 1997 von McKinsey-Mitarbeitern geprägt wurde, ist in Deutschland in mehreren Bereichen festzustellen, insbesondere im Handwerk, in der Pflege, im Baugewerbe oder in der Softwareentwicklung (vgl. Bundesagentur für Arbeit, 2021). So fehlen einerseits junge Menschen, andererseits sind Beschäftigungsstrukturen in Unternehmen häufig von einer Überalterung betroffen. Auch führt der demographische Wandel dazu, dass Mitarbeiter aus teilweise vier oder mehr Generationen mit verschiedenen Werten und Anforderungen an ihre Führungskraft in Teams zusammenarbeiten (vgl. Lieske, 2020b, S. 9). Dies führt zu einer größeren Diversifizierung in den Unternehmen. Menschen haben innerhalb ihres Lebenszyklus’ unterschiedliche Bedürfnisse, eine 20-jährige Mitarbeiterin andere als eine 60-jährige. Dies muss vom Personalmanagement berücksichtigt werden, z. B. bezüglich Vergütungspaketen, Personalentwicklungsangeboten und Arbeitszeitmanagement. Eine lebensphasenorientierte Personalpolitik, wie sie Abbildung 1.9 zeigt, berücksichtigt diese vom Lebensalter abhängigen Aspekte.

Abb. 1.9: Maßnahmenbeispiele einer Lebensphasenorientierten Personalpolitik (in Anlehnung an Rump & Eilers, 2014, S. 27, Oechsler & Paul, 2019, S. 154)
Berufsphase LebensphaseEinstiegBerufsalltagKarriereAuslandRückzug
Beispiel 1.6: Lebensphasenorientierte Personalpolitik
Die Unternehmensgruppe Pietsch mit 1400 Beschäftigten, Großhändler für die Bereiche Sanitär, Heizung, Umwelt, Klima und Lüftung, verfolgt eine lebensphasenorientierte Personalpolitik. Ziel ist es, die individuellen Lebens- und Berufsphasen von Beschäftigten zu verzahnen und ganzheitliche betriebliche Lösungen zu entwickeln mit Blick auf die Arbeitswelt 4.0. So gibt es neben umfassenden Aus- und Weiterbildungsangeboten Kontakthalteprogramme während der Elternzeit, ein Übergangsmanagement in den Ruhestand und eine Finanzierung von Kinderbetreuungsplätzen. In einem Tandemprojekt mit dem Forschungszentrum Familienbewusste Personalpolitik wurde zudem eine Lernpartnerschaft mit dem Versicherungskonzern ERGO Group AG eingegangen. Ein Ergebnis hieraus war die gemeinsame Entwicklung einer Informationssammlung für Führungskräfte zum Thema lebensphasenorientierte Personalpolitik, ein Workshop-Konzept zu Aspekten wie »Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort« und »Führung leben« sowie zahlreiche Aktivitäten, bspw. das Netzwerk »Papa aktiv« für Mitarbeiter mit kleinen Kindern (vgl. Stroers, Schein, 2019, S. 59 f.)
Heterogene Wertvorstellungen der Mitarbeiter und Wertewandel haben zudem Einfluss darauf, wie das Personalmanagement ausgestaltet ist und wie wirksam es ist. So sieht die Wertewandelhypothese eine Veränderung gesellschaftlicher Werte weg von einer »Pflicht- und Autoritätsakzeptanz« hin zu stärkerer Selbstentfaltung und Individualisierung (vgl. Oechsler & Paul, 2019, S. 146, 149).
Das Unternehmen kann hierbei mit unterschiedlichen Strategien reagieren, um die eigenen Werte mit denen der Mitarbeiter in Übereinstimmung zu bringen (vgl. im Folgenden Oechsler & Paul, 2019, S. 149 f.). So können Mitarbeiter gesucht werden, deren Werte sich mit den Werten des Unternehmens decken. Jedoch lassen sich die Werte des Mitarbeiters nur schwer erfragen oder beobachten. Auch kann diese Strategie die Unternehmensentwicklung hemmen. Eine zweite Strategie wäre, dass Mitarbeiter, z. B. über Belohnungssysteme, die Werte des Unternehmens akzeptieren und übernehmen. Zu beachten ist aber, dass eine Zwangsübernahme zu Widerstand (z. B. durch (innere) Kündigung) führen kann. Eine dritte Strategie wäre die wechselseitige Anpassung von Unternehmen und Mitarbeiter. Die Unterschiedlichkeit der Werte, auch zwischen den Mitarbeitern, und die schwierige Erfassbarkeit von Werten kann Ergebnisse verzerren. Insgesamt haben Werte aber einen wichtigen Einfluss auf die Unternehmenskultur, die Gestaltung der Personalführung, auf Anreiz- und Vergütungssystem oder auch die Personal- und Organisationsentwicklung.
Das Personalmanagement muss viele Anforderungen erfüllen. Gerade die Entwicklungen der vergangenen Jahre mit Digitalisierung, Globalisierung, immer schneller werdenden Märkten, demographischem Wandel und Wertewandel bringen geänderte und höhere Ansprüche mit sich. In den folgenden Kapiteln wird auf diese Herausforderungen in Bezug auf die einzelnen Teilbereiche der Personalprozesskette eingegangen.
Um eine möglichst gute Passung von Humanressourcen und Aufgaben in Organisationen zu erreichen, sind die anstehenden Aufgaben nach Art und Menge, zeitlichem und ggf. räumlichem Anfall abzuschätzen und festzuhalten. Ausgehend davon sind Kapazitäten und geforderte Mitarbeiterprofile abzuleiten. Prozessschritte und Instrumente hierzu werden im Folgenden vorgestellt und erläutert.
Nach diesem Kapitel sind Sie in der Lage, einfache Anforderungsanalysen eigenständig durchzuführen und darauf basierend Stellenbeschreibungen sowie Anforderungsprofile zu formulieren. Sie können davon Unternehmens- und rollenspezifische Kompetenzmodelle abgrenzen und deren Mehrwert nachvollziehbar erläutern. Sie können Begriffe und Vorgehen im Prozess der quantitativen Personalplanung erläutern sowie ausgewählte Methoden der Personalbedarfsplanung beurteilen und in Grundzügen anwenden. Mit der Relevanz von längerfristigen Szenarien als Basis für frühzeitige Aktivitäten, wie der Einführung neuer Ausbildungsgänge oder alternative Laufbahngestaltungen, sind Sie vertraut.
Bei der Planung und dem Einsatz der Humanressourcen sind Überkapazitäten ebenso wie Überqualifikation zu vermeiden. Auf der anderen Seite werden zu wenige Mitarbeiter und nicht ausreichend qualifizierte Mitarbeiter die anstehenden Aufgaben nicht adäquat bewältigen können. Eine optimale Passung von Kapazitäten wie Kompetenzen mag es hier kaum geben, insbesondere mit Blick auf VUCA (Volatilität, Unsicherheiten, Komplexität und Ambiguität). Das Bestreben nach der bestmöglichen Balance bleibt dennoch bestehen.
2.1 Ziele und Arten der Personalplanung
Ziel der Personalplanung ist es, für künftige Aufgaben im Unternehmen das erforderliche Personal in der erforderlichen Anzahl und mit den passenden Kompetenzen, zum richtigen Zeitpunkt sowie ggf. am richtigen Ort, unter Berücksichtigung der zu erwartenden Kosten, zur Verfügung zu stellen (vgl. Albert, 2000, S. 29).
Personalplanung ist Teil der Unternehmensplanung. Die Personalplanung durchdringt alle anderen Bereiche, wie Beschaffung, Produktion, Vertrieb und Kundenservice, aber auch Finanzen und Controlling. Die wechselseitige Abhängigkeit und Beeinflussung der Personalplanung und der anderen Teilpläne ist Argument für eine in die Unternehmensplanung integrierte Personalplanung. Maßnahmen, die in anderen Bereichen der Unternehmensplanung festgelegt werden, können nur dann realisiert werden, wenn das hierfür benötigte Personal zur Verfügung steht. Für Gewöhnlich aber folgt die Personalplanung immer noch der Absatz- und der Produktionsplanung. Besteht jedoch ein Engpass der personellen Ressourcen, sind die übrigen Teilplanungen abhängig von der Personalplanung. In beiden Fällen ist ein wechselseitiger Daten- und Informationsaustausch Voraussetzung für eine solide Planung.
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