Das nachfolgende Schaubild zeigt die Entwicklung der Antragszahlenin der Beratungshilfe bis 2019:
(Quelle der Daten: Statistik des Bundesministeriums der Justiz)
Bei genauer Betrachtungsweise nach der Art der Gewährung(Beratung, Vertretung, Vergleich/Einigung/Erledigung) zeigt sich, dass bei der Einführung der Beratungshilfe im Jahre 1981 die Beratung noch stärkster Faktor war, während in den Folgejahren die Vertretungshandlungendie Spitzenposition eingenommen haben mit der Folge höherer Kosten.
(Quelle der Daten: Statistik des Bundesministeriums der Justiz)
Ein wesentlicher Punkt, der in diesem Zusammenhang die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, ist der Kostenfaktor, der im Rahmen der Reform der Beratungshilfe eine tragende Rolle einnimmt. Dieser hat in den vergangenen Jahrzehnten überproportional zugenommen. Während zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Beratungshilfegesetzes die jährlichen Kosten mit bundesweit 14 bis 18 Millionen Deutsche Mark prognostiziert wurden, 26beliefen sich die Ausgaben für die Beratungshilfe im Jahr 2012 zuletzt bundesweit bereits auf ca. 73,5 Millionen EURO. Infolge des Rückgangs der Antragszahlen ist auch seit einigen Jahren ein Rückgang der Kosten zu verzeichnen, im Jahr 2019 lagen die Gesamtausgaben bei ca. 48 Millionen EURO 27(sh. nachfolgendes Schaubild). Die Ausgaben für die Beratungshilfe fallen dabei den einzelnen Länderhaushalten zur Last. Durch das Kostenrechtsänderungsgesetz 2021 und ggfs. durch die Corona-Pandemie werden diese jedoch künftig wieder höher ausfallen.
(Quelle der Daten: Statistik des Bundesministeriums der Justiz) (Anm.: 1996: ohne Brandenburg und Thüringen; 1997 bis 2001: ohne Brandenburg, Hessen und Thüringen; 2002 und 2003: ohne Brandenburg, Hessen und Thüringen; 2004: ohne Brandenburg und Hessen; 2005 bis 2007: ohne Hessen; ab 2008: einschl. Angaben EbersbergerAnwV; ab 2006: ohne Bremen und Hamburg: öffentliche Beratungsstellen)
2.Gründe für die hohen Ausgaben im Rahmen der Vergütungsfestsetzung
10Naturgemäß werden in Zeiten einer schlechten Haushaltslage gestiegene und hohe Ausgabepositionen kritischer hinterfragt, so dass die Beratungshilfe in den letzten Jahren auch daher etwas mehr in den Fokus der Verantwortlichen gerückt ist. 28
Ab dem Jahre 2006 wurde bundesweit versucht, den Gründen dieser überproportionalen Steigerung auf den Grund zu gehen. Unter anderem hatte sich unter Federführung der Länder Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Begrenzung der Ausgaben für die Beratungshilfe“konstituiert.
Die Aufgabe der Gruppe betraf Ursachenforschung, die Schaffung von gesetzlicher Hilfestellung für alle beteiligten Personen und die Suche nach Möglichkeiten, die Kostenexplosion einzudämmen.
Das Ergebnis dieser Untersuchungen ist in den danach eingebrachten Gesetzesentwurf des „ Gesetzes zur Änderung des Beratungshilferechts“ gemündet, welcher am 7.5.2010 durch den Bundesrat genehmigt wurde und dann dem Bundestag vorlag. 29Der eingebrachte Entwurf war in der davor liegenden Legislaturperiode nicht mehr abschließend beraten worden und ist damit zunächst dem Grundsatz der Diskontinuität zum Opfer gefallen. Zwischenzeitlich wurde dann durch das Bundesministerium der Justiz am 4.5.2012 ein eigener, einheitlicher Referentenentwurf (RefE) hinsichtlich eines Gesetzes zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts vom 4.5.2012 vorgelegt, der sowohl die Reform der Beratungshilfe, wie auch der Prozesskosten- und Verfahrenskostenhilfe umfasste. Dieser mündete nach Anhörung des Bundesrates 30nun in den Gesetzesentwurf vom 14.11.2012, 31der schließlich in der Fassung des Rechtsausschusses vom 15.5.2013 32am 16.5.2013 beschlossen wurde (nach Einigung im Vermittlungsausschuss am 26.6.2013) und seit dem 1.1.2014 in Kraft ist. 33
10aDas zum 1.1.2014 in Kraft getretene Reformvorhaben bewirkte zahlreiche Änderungen im Beratungshilfegesetz. Im Folgenden sollen die wesentlichen Veränderungen in einer Zusammenfassungkurz wiedergegeben werden.
– Mutwilligkeit: Die Begrifflichkeit wurde definiert und präzisiert.
– Erforderlichkeit der Vertretungshandlung: Die Begrifflichkeit wurde definiert und präzisiert.
– Wegfall der Beschränkung auf Anwälte, Rechtsbeistände und Beratungsstellen und damit verbunden die Öffnung auch für neue Beratungspersonen.
– Veränderungen im Bewilligungsablauf.
– Beibehaltung des Direktzugangs.
– Frist zur nachträglichen Antragstellung.
– Option einer Bewilligungsaufhebung.
– Erfolgs- und Wahlanwaltshonorare sowie Leistungsmöglichkeit „pro bono“.
Seit dem Inkrafttreten der Reform zeichnet sich bis zum aktuellen Zeitpunkt ein stetiger Rückgang bei der Anzahl der gestellten Anträge an. Es liegt somit die Vermutung nahe, dass die damalige Reform den angestrebten Erfolg gebracht hat. Eine Sensibilisierung in der Ausbildung, ein höheres Augenmerk in der gerichtlichen Praxis werden zudem ihren Teil hierzu beigetragen haben.
11In Zusammenhang mit den Reformvorhaben wurden Praxisanhörungen sowie Prüfungen durch die staatlichen Rechnungsprüfungsämter durchgeführt. Die Beratungshilfe war Teil der Denkschriften der Rechnungshöfe Baden-Württembergs 34und Nordrhein-Westfalens 35sowie Gegenstand einer justizeigenen Controllinguntersuchung des Landes Baden-Württemberg (November 2007). Hierin wurden Vergleiche mit verschiedenen sozio-ökonomischen Daten aus verschiedenen Jahren einerseits und den Beratungshilfeausgaben anderseits vorgenommen.
12Seit vielen Jahren rangieren die Beratungshilfeanträge und die Auslagen auf einem hohen Niveau, allerdings ist in den vergangenen Jahren wie oben bereits erwähnt ein Absinken der Zahlen zu erkennen. Die Gründe für die Vielzahl der Anträge liegen nicht nur an niedrigen Einkommen, steigender Arbeitslosigkeit oder Wirtschaftskrisen. In Jahren von sinkenden Arbeitslosenzahlen haben sich die Ausgaben von Beratungshilfe nicht verringert. Ebenso bestätigten sich Vermutungen, dass Gerichtsbezirke mit einer höheren Arbeitslosenquote als andere auch höhere Fallzahlen haben, ebenfalls nicht.
Die Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfeim Rahmen des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt („ Hartz IV“) hat zum 1.1.2005 den Kreis der Beratungshilfeberechtigten zwar erheblich erweitert. Aber dass dies die Betroffenen vermehrt zu anwaltlicher Beratung und Vertretung treibe, geht nicht mit den tatsächlichen, nachprüfbaren Entwicklungen konform. In den Jahren 2006 und 2007 fanden vielfach Prüfungen durch die Landesrechnungshöfe statt. Der Landesrechungshof Nordrhein-Westfalen beispielsweise hatte im Jahr 2006 diesen Vorwurf geprüft und nur in 8,65 % aller Beratungshilfefälle einen „Hartz IV“-Bezug festgestellt. 36Nur 15,3 % der geprüften Verfahren betrafen überhaupt behördliche Verfahren.
Es lässt sich ein Trenderkennen, dass vermehrt Alltagsprobleme juristisch überprüftwerden und die Hemmschwelle für die Inanspruchnahme einer Beratungsperson und damit auch die Eigeninitiative der Rechtsuchenden sinkt. Der Bericht des Landesrechnungshofs Nordrhein-Westfalen etwa stellt nach Auswertung umfangreicher Stichproben fest, dass in einer erheblichen Zahl von Fällen Beratungshilfe in Angelegenheiten bewilligt worden sei, die in den Bereich der allgemeinen Lebenshilfe fielen. 37Dies deckt sich auch mit den gerichtlichen Erfahrungswerten und den Untersuchungen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe.
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