Allerdings machte ich mir Sorgen wegen Brendan-dem-Quälgeist-Brooks. Das ist unser Klassenschläger. Seine Wangen sind immer rot, weil er die meiste Zeit damit verbringt, Kleinere über den Schulhof zu jagen. Er ist nicht besonders schlau und hasst alle, die es sind. Wenn jemand eine Eins oder einen Preis bekommt, versucht er, denjenigen nach Schulschluss zu verhauen. Als er Ahmets Topf ansah, verengte er die Augen zu Schlitzen. So macht er es immer, wenn er etwas Gemeines vorhat. Und das gefiel mir überhaupt nicht.
Sein Lieblingstrick ist es, einem ein Bein zu stellen. Er schlägt auch gern mal gegen das Tablett mit dem Mittagessen, sodass das Essen einem auf die Brust schwappt wie Eierpampe. Das hat er schon ein paar Mal mit mir gemacht. Manchmal wird er dabei erwischt. Aber meistens nicht. Und selbst, wenn er erwischt wird, muss er nicht nachsitzen.
Die meisten Lehrer scheinen ihn irgendwie zu mögen. Wenn er lächelt, sieht er so aus wie einer von den Jungen, die im Fernsehen im Kirchenchor auftreten. Vielleicht liegt es daran. Mr Thompson nennt ihn immer einen »Bengel«, was ein gutes Wort sein muss, weil er Brendan-dem-Quälgeist dabei zuzwinkert, ihm auf die Schulter klopft und ihn dann wieder laufenlässt. Seitdem hassen ihn alle in der Klasse noch viel mehr – außer natürlich Liam und Chris, das sind seine einzigen Freunde. Selbst die Mobber aus den höheren Klassenstufen finden ihn nervig. Es ist schon lustig, dass die meisten Mobber andere Mobber nicht leiden können. Vielleicht fühlen sie sich dann nicht mehr so besonders. Aber in der Schule wissen alle, wer die Mobber sind, und auch, wen sie am liebsten mobben. Trotzdem mobben niemals zwei Mobber dieselbe Person. Es ist schon ein seltsames System. Aber so sind nun mal die Regeln, und alle halten sich daran. Und die Lehrer bekommen davon nichts mit.
Aber Mrs Khan ist anders.
Sie scheint Brendan-den-Quälgeist nicht so gern zu mögen wie die anderen Lehrer. Sie hat ständig ein Auge auf ihn, und seit sie unsere Klassenlehrerin ist, ist er viel vorsichtiger. Aber ich passe trotzdem lieber auf.
Kurz nachdem Ahmet in unsere Klasse kam, kursierten eine Menge Gerüchte über ihn. Sie gingen auf dem Schulhof herum wie bei der Stillen Post.
Die meisten glaubten Jennie und sagten, der neue Junge sei bestimmt gefährlich und dürfe deshalb in den Pausen nicht raus. Aber dann erzählten andere, dass er eine superansteckende Krankheit habe. Das Krankheitsgerücht jagte Clarissa solche Angst ein, dass sie versuchte, sich so weit wie möglich von ihm wegzusetzen, ohne vom Stuhl aufzustehen. Einmal beugte sie sich so weit weg, dass sie auf den Boden fiel!
Ich fand überhaupt nicht, dass Ahmet auch nur im Geringsten gefährlich oder ansteckend aussah. Das Gerücht, das am wahrscheinlichsten klang, war, dass er aus einer superreichen Familie stammte und dass seine Eltern ihn undercover auf unsere Schule geschickt hätten, damit er nicht entführt würde. Michael sagte, dass Entführer nicht an unserer Schule nach ihm suchen würden, weil sie nicht in einer schicken Gegend liegt, und Tom war ganz seiner Meinung.
Ich wollte Ahmet fragen, ob die Gerüchte über die Entführer stimmten und ob er uns als Bodyguards brauchte. Aber er machte immer noch all seine Aufgaben allein, und in jeder Pause und zum Mittagessen verschwand er, sodass niemand außer Clarissa mit ihm reden konnte. Und die wollte nicht mit ihm reden! Ich versuchte, ihm zuzulächeln und »Hallo« zu flüstern, aber Mrs Khan erwischte mich dabei und sagte, ich solle mich gefälligst auf meine Arbeit konzentrieren.
Als Nächstes versuchte ich, ihm einen Zettel zu schicken, den ich zu einem Flieger gefaltet hatte – das kann ich nämlich gut –, aber stattdessen knallte er Nigel an den Kopf. Nigel ist eine alte Petze und hat mich sofort verraten. Mrs Khan kam zu mir und nahm mir den Zettel weg und las ihn. Sie schüttelte den Kopf, aber ich glaube, dass sie meine Zeichnung auch ein bisschen lustig fand, weil ihr Mund ein wenig lächelte, was aber nur ich sehen konnte. Es war allerdingst zu riskant, noch mehr Zettel per Luftpost zu schicken. Zumal ja eine Petze in der Nähe war.
In der Pause am nächsten Tag beschlossen Josie, Tom, Michael und ich, Ahmet zu folgen und herauszufinden, wohin er ging. Aber Mrs Khan erwischte uns dabei und verbot es uns. Sie wirkte nicht besonders wütend, aber sie sagte, dass Ahmet gerade noch viel Rückzugsraum brauche und dass es zu seinem eigenen Besten sei, also versprachen wir, ihm nicht mehr zu folgen.
»Was heißt ›Rückzugsraum‹?«, fragte Josie, als wir wieder auf den Schulhof hinausgingen. Keiner von uns wusste das so genau, nicht einmal Michael, obwohl er sagte, dass Ahmet vielleicht ein spezielles Zimmer benötige, so wie ein sehr kranker Mensch im Krankenhaus. Vielleicht hatte er also doch eine ansteckende Krankheit.
Aber bald fanden wir heraus, was »Rückzugsraum« wirklich bedeutete und warum Ahmet so viel davon brauchte.
Was Mr Brown und Mrs Grimsby sagten
Mein Dad sagte immer, dass, wenn man etwas wirklich, wirklich will, man es immer wieder versuchen muss. Und weil er außerdem immer sagte, dass er alles hatte, was er sich nur wünschen konnte, glaube ich, dass er genau wusste, wie man sich seine Wünsche erfüllt.
Ich wusste jedenfalls, dass ich mit Ahmet befreundet sein wollte. Ich wusste zwar nicht genau, wieso, aber ich wollte es einfach. Ich versuchte nicht mehr, während der Schulzeit mit ihm zu sprechen – wegen des Rückzugsraums –, aber ich fand, dass es nach der Schule in Ordnung wäre, weil mich Mrs Khan bei meinem ersten Versuch angelächelt und mir zugezwinkert hatte. Zwei ganze Wochen lang wartete ich also nach der Schule am Schultor.
Sobald Ahmet und Mrs Khan herauskamen, um sich mit der Frau mit dem roten Schal zu treffen, rannte ich zu Ahmet und gab ihm einen Zitronendrops, manchmal auch einen ganzen Schokoriegel. Aber egal wie viele Süßigkeiten ich ihm schenkte oder wie sehr Mrs Khan ihn auch ermutigte, mit mir zu reden – Ahmet sagte kein einziges Wort und lächelte mich kein einziges Mal an. Nicht mal, als ich ihm eine ganze Tüte voller weißer Mäuse schenkte, die ich am liebsten mag. Er nahm sie nur schweigend an, starrte zu Boden und stellte sich hinter die Frau mit dem roten Schal.
»Vielleicht mag er keine Süßigkeiten«, überlegte Michael am Freitag der zweiten Woche.
»Sei nicht albern«, sagte Josie und kaute auf einer Haarsträhne herum. »Jeder mag Süßigkeiten!«
»Vielleicht hat er eine Allergie?«, schlug Tom vor. Ich hatte noch nie davon gehört, dass man allergisch gegen Schokolade und Süßigkeiten sein konnte, aber andererseits war ich auch allergisch gegen Hunde, obwohl niemand sonst das war.
Danach beschloss ich, Ahmet das Obst zu schenken, das wir immer zum Mittagessen bekamen. Also nahm ich am nächsten Montag die dickste Orange, die ich in der Kantine finden konnte, und wartete nach der Schule vor dem Schultor. Ich war besonders aufgeregt, weil ich ein Smiley auf die Schale gemalt hatte, und Tom hatte mir einen Dinosaurier-Sticker geschenkt, den ich daraufklebte – also war die Orange etwas ganz Besonderes. Tom sammelt Sticker und hatte noch nie einen an jemanden verschenkt, den er nicht sehr gut kannte, also hoffte ich, dass Ahmet das Geschenk mögen und wissen würde, wie besonders es war.
Aber als wir darauf warteten, dass Ahmet herauskam, hörten wir etwas über ihn, was wir überhaupt nicht verstanden. Tatsächlich war es sogar noch verwirrender als die Sache mit dem Rückzugsraum.
Ganz viele Erwachsene standen hinter uns am Schultor – das ist immer so nach Schulschluss. Manchmal reden sie über die neuesten Nachrichten oder was sie zum Abendbrot kochen wollen. Aber meistens sprechen sie übers Wetter. Ich weiß nicht, warum, denn es gibt nichts Langweiligeres, als über etwas zu reden, das jeder schon kennt. Aber ich glaube, dass Erwachsene so etwas eben tun.
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