Man sollte sich als junger Journalist also nicht an der Mehrheitsmeinung von anderen Journalisten orientieren, sondern seinen eigenen Blick bewahren?
Man sollte das nicht aus Prinzip tun, aber man sollte auch nicht nur die einzelnen Bäume sehen, sondern den ganzen Wald. Der Publizist Johannes Gross hat das mal so formuliert: »Es gibt Milieus, in denen ist der Protest eine Form der Anpassung.« Das heißt, ich bin natürlich immer stark von der Gruppe beeinflusst, in der ich bin. Von der Branche, von dem Mainstream, von der Mehrheitsmeinung in dem Milieu, in dem ich mich bewege. Wenn ich an der Universität studiere und lebe in einer Wohngemeinschaft, wird mich das, was ich da mitkriege an Meinungen, also wogegen oder wofür protestiert wird, in meiner Meinung stark beeinflussen. Daher ist es einfach wichtig, dass ich viele Dinge infrage stelle, zumindest für mich selbst, und frage: warum eigentlich? Du musst einfach mit einem neuen Blick an die Sache herangehen können. Wenn ich in einer festen Gruppe bin, gucken alle aus derselben Perspektive auf ein Problem oder ein gesellschaftliches Ereignis. Wenn ich mich jetzt von der Gruppe entferne und zehn Schritte zur Seite gehe, dann sehe ich schon einmal aus einem ganz anderen Winkel. Ich sehe Dinge, die man von der anderen Seite gar nicht sehen kann. Deswegen: Ich halte es für absolut notwendig, sich noch einen Eigenblick zu bewahren und sich auf den inneren Kompass zu verlassen.
Um seinen inneren Kompass zu eichen, muss Tom Buhrow stets informiert sein über alle aktuellen Entwicklungen in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Kultur. Wenn er morgens das Haus verlässt und sich auf den Weg zum Sendegelände des NDR in Hamburg-Lokstedt macht, hat er meistens schon fünf bis sechs Zeitungen gelesen: von der BILD über die FAZ, WELT, Süddeutsche Zeitung, Handelsblatt bis zur International Herald Tribune. Hinzu kommen Wochenmagazine wie SPIEGEL, stern, Wirtschaftswoche und FOCUS.
Im Büro angekommen fährt Tom Buhrow zuerst seinen Computer hoch und verschafft sich mithilfe der Meldungen der Nachrichtenagenturen einen noch aktuelleren Überblick. Um 11.30 Uhr schnappt er sich eine Tasse Kaffee und geht in den Konferenzraum. Dort haben bereits der Chefredakteur der Tagesthemen, Thomas Hinrichs, vier Redakteure und ein Grafiker Platz genommen. Nach einer kurzen Kritik der Sendung vom Vorabend und einem Blick auf die Einschaltquote werden die möglichen Themen für die heutige Sendung diskutiert. In Berlin wird Joachim Gauck im Bundestag als neuer Bundespräsident vereidigt und hält seine erste Rede im neuen Amt. Damit ist der Aufmacher-Beitrag schon mal klar. Welche Themen es sonst noch in die Sendung schaffen, wird erst am Nachmittag endgültig entschieden, wenn die aktuellen Entwicklungen klarer sind. Nach der einstündigen Konferenz zieht sich Mr. Tagesthemen in sein Büro zurück, um einige Telefonate zu führen, Anfragen zu beantworten und eine Reihe von Terminen, bei denen er die Tagesthemen nach außen repräsentiert, mit seiner Sekretärin Petra Nowak abzustimmen.
Um 16.15 Uhr wartet eine zweite Konferenz. Inzwischen haben die Redakteure mit den Korrespondenten im In- und Ausland telefoniert und können nun einschätzen, was an diesem Tag neben dem neuen Bundespräsidenten am wichtigsten ist, wie die Beiträge genau aussehen sollen und welche Korrespondenten für Liveschalten eingeplant werden. Gegen 17 Uhr kann Tom Buhrow also damit beginnen, seine Moderationen zu schreiben. Um seine Zeit möglichst effizient zu nutzen, geht er um 20 Uhr in die Maske und schaut sich von dort aus die Tagesschau an. Danach beginnt die heiße Phase. Inzwischen sind die ersten Einspielerfilme für die Tagesthemen eingetroffen, sodass Tom Buhrow sich konkrete Formulierungen für die Überleitung zum Beginn der Nachrichtenfilme überlegen kann. Nicht umsonst nennt man die Nachrichtenmoderatoren in den USA »Anchorman«. Dann greift er zum Telefonhörer, um die Fragen an den ARD-Korrespondenten in Israel abzustimmen. Zwischendurch immer wieder der Blick auf die Uhr: 21.45. Noch fünfzehn Minuten, dann muss er eine kleine Holztreppe hinunter gehen und ein Stockwerk tiefer eine schwere Eisentür öffnen. Dahinter verbirgt sich das Heiligtum der Tagesthemen und der Arbeitsplatz, von dem Tom Buhrow schon als 18-Jähriger geträumt hat – das Studio.
Im Studio gibt es ja keine Kameramänner, die Kameras werden für Sie unsichtbar von der Regie aus gesteuert. Sie haben also während der Live-Sendung niemanden, den Sie direkt ansprechen können. Trotzdem müssen Sie es schaffen, durch die Kameras in die Wohnzimmer von Millionen Zuschauern vorzudringen und das Gefühl erzeugen, die Menschen möglichst persönlich anzusprechen. Haben Sie dafür eine spezielle Technik?
Ich habe zwar schon in meiner Zeit beim WDR-Regionalfernsehen Moderationsseminare absolviert und die haben mir auch viel gebracht. Aber grundsätzlich geht es hier weniger um eine spezielle Technik, sondern ich habe eigentlich immer eine natürliche Neigung zum Kommunizieren gehabt. Egal ob eine Gruppe vor mir steht oder eine Kamera vor mir ist.
Ich habe immer das Gefühl gehabt, dass ich gerne meine ganze Person einbringe, um mit der Information, die ich zu transportieren habe, Menschen zu erreichen. Deshalb mache ich mir da im Studio keine Gedanken drüber, ob mir drei oder zehn Millionen zusehen. Die Tatsache, dass da keine anderen Leute im Studio sind, beunruhigt mich auch überhaupt nicht, im Gegenteil. Das ist eher meine Komfortzone. (lacht)
Haben Sie vor der Sendung noch Lampenfieber?
Nein, nur konzentrierte Spannung.
Wer sucht eigentlich Ihre Krawatten und Anzüge für die Sendung aus?
In Modefragen ist meine Frau meine schärfste Kritikerin. Wir haben hier bei der ARD aber auch eine Kostümberaterin, die gelegentlich einen Tipp gibt. Manchmal rufen sogar Zuschauer an und sagen: »Der Buhrow sah heute gut aus!« oder auch »Die Krawatte passte ja gar nicht zum Anzug!«.
Kollegen von Ihnen sagen, dass neben Ihnen das Studio abbrennen könnte und Sie würden trotzdem souverän weitermoderieren. Kann man das lernen, oder muss man diese Gabe schon mitbringen?
Ich glaube, dass es eine Grundlage gibt, die man mitbringen muss, die man nicht lernen kann. Aber vieles ist auch Routine. Und diese Routine kriegt man am besten bei Livereportagen. Wenn man draußen ist, dann ist die Ablenkung noch viel größer als im Fernsehstudio. Da sind Wind und Wetter, da sind Tonprobleme bis zur letzten Sekunde, vielleicht noch während der Liveschalte. Ich habe zig Liveschalten erlebt, wo ich mein eigenes Echo hörte oder die Tonleitung fast zusammenbrach. Oder ich hatte ein Fiepen im Ohr. Dann sind da noch andere Reporter um dich herum, man hört neben sich einen Japaner seine Livereportage machen. Gleichzeitig laufen dauernd Leute durch die Gegend. In meiner ersten wichtigen Liveschalte für die ARD, nach einem Flugzeugabsturz in Amsterdam, ging mitten in der Reportage auf einmal das Kameralicht an. Jetzt wusste ich nicht: Bedeutet das, dass das, was ich bisher gesagt hatte, gar nicht gesendet wurde? Ich musste mich, während ich redete, entscheiden, was es bedeutet, dass auf einmal das Kameralicht angeht. Man denkt also nach und wird einen kleinen Moment rausgeworfen. Ich habe mich dann dazu entschieden zu sagen »Falls Sie das gerade erst hören können« und habe noch zwei Sätze dazu gesagt.
Wie geht man am besten mit solchen Pannen um?
Man muss lernen, nicht ins Stottern zu geraten und komplett aus dem Gedanken geworfen zu werden. Und man muss immer mit solch einer Panne rechnen. Man denkt, man hat alles erlebt, aber man wird, wenn man draußen ist, immer neue Pannen erleben. Es wird immer etwas zu lernen geben.
Manchmal muss man dem Zuschauer auch erklären, dass gerade etwas schief läuft und sagen: »Jetzt haben wir gerade ein Tonproblem, aber wir sind gleich wieder bei der Sache.« Mit solchen Situationen gleichzeitig entspannt und mit Souveränität umgehen zu können – diese Erfahrungen helfen, wenn man später im Fernsehstudio arbeitet.
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