Mussten Sie manchmal private Opfer bringen, um Ihr Ziel zu erreichen?
Da kommen wir wieder zum Marathon. Man setzt sich ein Ziel und sagt sich, dass dieses Ziel wichtiger ist als alles andere. Ich weiß zum Beispiel, dass ich nicht mit einer Frau eine Familie gegründet hätte, die kein Verständnis für diesen Traum gehabt hätte. Und das hat gar nichts mit »Karrieregeilheit« oder so zu tun. Mein Ziel war einfach meine Bestimmung. Das stand in meinen Sternen. Und wenn ich nicht zumindest versuche, dem nachzugehen, dann vergehe ich mich eigentlich an meinem Schicksal und handle meinem Schicksal zuwider. Ob das alles den äußeren Umständen entsprechend so klappen kann, ist eine andere Frage. Aber ich muss es zumindest versuchen.
Lässt sich so ein anstrengender Job überhaupt mit einer Familie vereinbaren?
Fakt ist, dass die Arbeitszeiten sehr unregelmäßig sind und man oft weit mehr als 40 Stunden pro Woche arbeiten muss. Da ist es natürlich nicht einfach, einen Partner zu finden, der dafür Verständnis hat. Aber meine Frau hat mich dabei immer unterstützt und meinen Traum mit mir geteilt.
Zu diesem unbedingten Willen, dem »Metaphysischen«, wie Sie es nannten, muss ja auch noch journalistisches Handwerkszeug kommen. Was muss man drauf haben, um Auslandskorrespondent zu werden?
Ein Auslandskorrespondent ist immer ein Generalist. Er ist in der Regel nicht Fachjournalist, du musst in der Regel ein Händchen für Aktualität haben. Der Fachjournalist wird wahrscheinlich eher im Lande bleiben. Das heißt, du musst im Ausland dann auch unter Druck arbeiten können und flexibel genug sein, um dich sprachlich und kulturell in die neue Umgebung einzufühlen und einzuarbeiten. Ganz wichtig ist dabei ein offener Blick.
Was meinen Sie damit?
Nehmen wir mal an, ich habe studiert, war in der Friedensbewegung aktiv, und jetzt komme ich zum Beispiel in die USA und habe es dort auch mit Sicherheitspolitik zu tun. Und es geht um die Frage des iranischen Atomprogramms und ob die USA Israel unterstützen sollten, falls es zu einem Schlag gegen den Iran kommt. Jetzt kann ich das immer durch die Brille meiner Wohngemeinschaft an der deutschen Uni sehen. Oder ich bin offen genug, die verschiedenen Kriterien, nach denen die amerikanische Regierung das durchspielen muss, nachzuvollziehen. Das heißt ja überhaupt nicht, dass man zu dem Schluss kommen muss, auf einmal eine Kriegshandlung zu rechtfertigen. Es geht einfach nur darum, mit möglichst offenem Blick den Zuschauern die amerikanische Perspektive schildern zu können.
Sie haben mehr als zehn Jahre in den USA gelebt und gemeinsam mit Ihrer Frau Sabine Stamer auch ein Buch über Ihre Alltagserlebnisse geschrieben. »Mein Amerika – Dein Amerika«. Man sagt den Amerikanern ja großen Optimismus nach. Auch Sie scheinen ein großer Optimist zu sein. Am Ende von Sendungen mit vielen besonders traurigen Nachrichten sagen Sie manchmal »Das waren die Tagesthemen von heute. Morgen ist ein neuer Tag«. Was ist amerikanisch an Ihnen?
Dieser Optimismus an mir ist wirklich amerikanisch. Die gute Laune ist zum Teil rheinländisch (lacht), zum Teil auch amerikanisch. Und noch zwei Dinge: Das eine ist der Familiensinn. Ein amerikanischer Musikjournalist hat mal in einem Interview zu Bob Dylan gesagt: »Wenn ein Mann auf sein Leben zurückblickt, ist die glücklichste Zeit doch sicher die, in der er eine Familie großgezogen hat.«
Und dieses Gefühl hatte ich immer. Wenn ich amerikanische Filme sah, fand ich immer dieses Ideal toll, Kinder großzuziehen und als Familie in einer Einheit füreinander da zu sein. Wir empfinden das manchmal als kitschig, weil wir schon von postmodernen Lebensformen träumen. Ich hatte immer das Gefühl, dass das die Basis von allem ist und etwas ganz Natürliches. Das Zweite ist: Die Aufklärung hat ja in Europa bei vielen anspruchsvollen Menschen so eine Art atheistische Grundstimmung hinterlassen. Weil bei uns die Freiheit gegen die Religion erkämpft wurde und auch die Demokratie zu einem guten Teil gegen die Religion erkämpft. Ich habe, das ist auch amerikanisch, nicht das Gefühl, dass Freiheit und Glaube einen Gegensatz bilden. Ich habe immer viel Trost im Glauben gefunden. Wenn meine amerikanische Gastfamilie mir zum Abschied sagte, »So Tom, jetzt gehst du auf eine lange Reise. Wir beten für dich«, dann hört sich das jetzt total kitschig an. Aber das hat mir Trost gegeben, dass Leute auch auf die Weise an mich denken.
Amerika ist auch in Buhrows Hamburger Büro präsent: Neben der Tür steht eine riesige US-Fahne, allerdings eine ganz besondere. Denn genau diese »Stars and Stripes« haben bereits hoch oben über Washington geweht – auf dem Kapitol, dem Sitz des US-Kongresses. Das Echtheitszertifikat hängt neben der Fahne an der Wand, sie ist das Geschenk seiner Kollegen aus Washington. Vor dem Bücherregal stehen Barack Obama und seine Vorgänger George W. Bush, Bill Clinton und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel – als Pappaufsteller. Ihnen hat Tom Buhrow kleine Erinnerungen an Höhepunkte seines bisherigen Journalistenlebens um den Hals gehängt, zum Beispiel die Akkreditierungs-Anstecker von einer Reise mit dem US-Präsidenten, dem Super-Bowl oder dem Abschuss eines Space-Shuttles in Florida. Auf der Fensterbank steht ein Foto von ihm mit der kompletten Mannschaft des ARD-Studios in Washington – vom Korrespondentenkollegen über den Kameramann bis hin zum Hausmeister. Neben den Familienfotos (seine beiden Töchter wurden in den USA geboren) auf dem Schreibtisch steht noch das Bild des Amerikaners, den Buhrow vielleicht am meisten bewundert: Bob Dylan.
Sie waren so lange für die ARD in Amerika, dass viele Zuschauer vergessen haben, dass Sie auch mehr als zwei Jahre aus Frankreich berichtet haben. Gibt es auch eine französische Seite an Ihnen?
Den Wein in meinem Keller (lacht). Ich habe in Frankreich natürlich fast noch mehr gelernt, weil ich dort schon als Schüler war und deshalb sehr viel über die Kultur gelernt habe. Was ich dort außerdem schätzen gelernt habe, ist die französische Höflichkeit und eine Art von Eleganz sich auszudrücken. In Frankreich sind, im Prinzip seit der Revolution, elegante, höfliche Umgangsformen allgemein verbreitet. Das Konfrontative, was wir in Deutschland manchmal ganz selbstverständlich bei unseren Diskussionen sehen, was wir als »klare Kante« bezeichnen – das empfinden die Franzosen nur als rüde, vulgär, ungebildet und ungehalten.
Sie sprachen gerade von der »klaren Kante«. Als Sie 2006 die Tagesthemen zum ersten Mal moderierten, warfen Ihnen manche Medienjournalisten vor, Sie ließen diese vermissen. Aktuell zeigen Sie aber, wenn auch elegant, »klare Kante« bei einem wichtigen Thema, der europäischen Schuldenkrise. Im Vergleich zu vielen anderen Journalisten haben Sie von Anfang an darauf aufmerksam gemacht, dass für die sogenannten »Rettungsschirme« für Griechenland und Co. deutsche Steuergelder in ein Fass gesteckt werden, das unter Umständen keinen Boden hat. Muss man also als Journalist manchmal auch gegen den Strom schwimmen?
Ich halte das für absolut unerlässlich. Um bei Ihrem Beispiel »Eurokrise« zu bleiben: Was in der Schuldenkrise die richtige Politik wäre, da gibt es verschiedenste Meinungen. Da will ich mir nicht anmaßen zu sagen, was jetzt der richtige Weg wäre. Doch der Begriff »Euro-Rettungsschirm« kommt nicht über meine Lippen. Es kann sein, dass die Maßnahmen der europäischen Regierungen am Ende den Euro retten. Es kann aber genauso gut sein, dass sie ihn ruinieren. »Eurorettung« klingt wie »Ich mach euer Geld sicherer, stabiler«, es kann aber genauso gut sein, dass wir am Ende nach zehn Jahren sagen, dass wir den Wert des Geldes ausgehöhlt haben und das Geld eigentlich unsicherer geworden ist. Diese Begriffsprägung der Regierung jetzt einfach nachzuplappern, wie das sehr viele tun, das wird mir jedenfalls nicht passieren.
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