Neben der Bedeutung und den Fantasien gegenüber der Gabe von Psychopharmaka geht es auch psychoanalytisch um eine Betrachtung von deren Wirkung. Küchenhoff (2016, S. 24ff.) stellt in einem kurzen Abriss dar, wie von psychoanalytischer Seite die Frage diskutiert wurde, ob Psychopharmaka auf Triebenergie und/oder Ich-Stärke wirkten, ob und wie sie die Abwehrfähigkeit beeinflussen sowie ob und in welcher Weise sie sich »auf die basale, psychophysisch fundierte Erfahrung von fusionären zwischenmenschlichen Erfahrungen« beziehen (a. a. O., S. 25). Solche Betrachtungen sind nur im integrativen Modell sinnvoll: Ein Neuroleptikum wirkt nicht auf den Trieb, die Abwehr oder die Objekte; zum einen deshalb nicht, weil es sich bei diesen um Konzepte handelt, zum anderen muss einem Kategorienfehler entgangen werden. Neuroleptika wirken auf Hirnprozesse. Diese stehen mit Erlebnisvorgängen in einem bedeutsamen Zusammenhang, so dass auch gesagt werden kann, dass jene diese verändern – allerdings kann das dann nur in einer integrativen Betrachtung thematisiert werden. Die Wirkung eines Neuroleptikums hilft, Erregungszustände zu regulieren, so dass in der Folge in der Tat »Abwehr« zurücktreten kann oder Beziehungen leichter hinsichtlich Nähe und Distanz ertragen werden können.
Küchenhoff benennt daher drei Ebenen, in denen eine »psychodynamische Psychopharmakologie« von Nutzen sein kann (a. a. O., S. 26ff.):
• Psychoanalyse kann dabei helfen, bestimmte Ebenen der Medikamentenwirkung (oder deren Ausbleiben) zu erfassen und zu verstehen (Compliance, Veränderung des Erlebens unter Psychopharmaka).
• Psychoanalytische Diagnostik im Besonderen kann dabei helfen, die Wirkung von Psychopharmaka auf verschiedene Bereiche (Konflikt, Struktur, Beziehungserleben) zu erfassen und somit auch die psychopharmakologische Indikationsstellung bereichern.
• Die strukturdynamische und pragmatische Betrachtung ermöglicht eine Betrachtung dessen, wie eine Veränderung jenseits der Linderung von Symptomen möglich wird.
2.3.5 Forschungsergebnisse zur psychodynamischen Therapie psychotischer Störungen
In der aktuellen evidenzbasierten Behandlungsleitlinie der Deutschen Gesellschaft für Psychologie zur Behandlung der Schizophrenie und anderer psychotischer Störungen (Lincoln et al. 2019) sowie der S3-Leitlinie Schizophrenie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN 2019) spielen psychodynamische Behandlungsverfahren eine untergeordnete Rolle.
Lincoln et al. (2019) berichten von zwei Metaanalysen (Malmberg, Fenton & Rathbone 2001; NCCMH 2014; vgl. a. Gottdiener & Haslam 2007): In beiden zeigt sich kein bedeutsamer Effekt der psychodynamischen Behandlungen im Hinblick auf Rehospitalisierung bzw. Funktionsniveau. Einzelne weitere RCT-Ergebnisse liegen vor, zum Beispiel aus der Arbeitsgruppe um Rosenbaum et al. (2012), die in ihren Studien zur Supportive Psychodynamic Psychotherapy eine Verbesserung im Hinblick auf Funktionsniveau sowie Positiv- und Negativsymptomatik finden, in Langzeit-Follow-Up-Untersuchungen blieben diese Effekte nicht bestehen. So kann gesagt werden, dass sich einzig für das Funktionsniveau als Outcome-Maß ein Evidenzgrad (2a für eine RCT) ergibt. Deshalb wird keine Behandlungsempfehlung ausgesprochen. Ähnlich gibt die S3-Leitlinie (DGPPN 2019) unter alleinigem Rückgriff auf die Studie von Rosenbaum et al. (2012) einen Empfehlungsgrad 0 zum Anbieten einer psychodynamisch orientierten Psychotherapie bei Schizophrenie-Erkrankungen zur Verbesserung des globalen Funktionsniveaus an.
Die NICE-Guidelines (NCCMH 2014) geben eine Empfehlung zur psychotherapeutischen Behandlung bei psychotischen Störungen ohne Verfahrenseinschränkung (von Haebler 2015), ferner gibt es laufende RCT zur Wirksamkeit der Mentalisierungsbasierten Therapie (Weijers et al. 2016) oder der psychodynamischen Psychotherapie der Schizophrenie (Lempa, von Haebler & Montag 2017) (
Kap. 5.6).
2In Brentanos deskriptiver, methodisch naturwissenschaftlicher Psychologie der Aktintentionalität beispielsweise geht es um Bewusstsein als Bewusstsein von etwas, als immer schon gerichtet und auf einen Gegenstand bezogen. Darin ist die Unbewusstheit von etwas widersinnig, es wäre das gerichtete Fehlen von etwas, das es aber nur geben könnte, wenn man wüsste, worauf sich das Bewusstsein nicht richtet.
3In solchen allgemeinen Entwicklungsmodellen kann von »Mutter« oder »Vater« als Positionen die Rede sein, die nicht zwangsläufig von weiblichen oder männlichen Personen oder den leiblichen Elternteilen eingenommen werden müssen (vgl. z. B. Lang 2011).
4Wie Bormuth (2018) zeigt, ist Jaspers’ Psychoanalysekritik daher nicht zuletzt im Blick auf die Selbstreflexion in der Lebensführung begründet. Eine in schlechter Weise institutionalisierte Psychoanalyse, die alles zu verstehen meint und noch dazu ein richtiges Verstehen deutungsautoritär nicht nur Patienten, sondern auch Auszubildenden und nicht zuletzt der gesellschaftlichen Sphäre vorgeben zu können meint, droht gerade den Weg einer existenzphilosophischen Reflexion des jeweiligen innerlichen Selbstverständnisses zu verstellen, den der auch gesellschaftspolitisch denkende Jaspers zentral setzt. Jaspers’ Kritik, auch an Mitscherlich und der institutionalisierten Psychosomatik, mag einseitig sein oder statt der prinzipiellen Struktur psychoanalytischen Verstehens vielmehr die Gefahren von dessen totalitärer Entgleisung betreffen, allerdings weist sie auch auf Fragen hin, die damit einhergehen, dass ärztlich-therapeutische Tätigkeit (wie auch sozialpolitischer Aufklärung) mit dem Paradox einer Anleitung zur Emanzipation konfrontiert ist, das sich im Feld der Psychosenbehandlung besonders deutlich zeigt: Wie kann professionelle Verantwortung dafür übernommen werden, dass jemandem eine mündige Lebensführung (wieder) möglich(er) wird?
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