1 ...7 8 9 11 12 13 ...25 Hungrig war er nicht. Mit einer Hand streichelte er Sam, der neben ihm saß und die Schnauze auf seinen Schoß gelegt hatte.
Als er Soko vor Jahren zum ersten Mal besucht hatte, hatte er sich über den großen Tisch in der Wohnküche gewundert, weil der Schmied damals hier nur mit seiner Mutter gelebt hatte. Sein Vater, Matej Kovarik, der die Schmiede schon von seinem Großvater Jiri übernommen hatte, lebte damals schon nicht mehr. Er war beim Holzmachen von einem fallenden Baumstamm getroffen worden. Da war Soko, der Tierarzt hatte werden wollen, achtzehn Jahre alt gewesen und hatte kurz vor seinem Studium an der Universität in Onden gestanden.
Schließlich hatte er aber auf Drängen seiner Mutter die Schmiede weiter betrieben und diesen Entschluss nicht einen einzigen Tag bereut. Inzwischen liebte er seinen Beruf, und zwar nicht nur, weil er von Mindevol einmal erfahren hatte, dass sein Familienname sogar Schmied bedeutete. Seiner Passion, dem Behandeln kranker Tiere, ging er dennoch nach und es hatte sich über die Jahre herumgesprochen, dass er heilende Hände besaß. Er hatte hinter der Werkstatt, nicht weit vom Waldrand, eine kleine Tierklinik eingerichtet. Dort behandelte er kranke Hunde und Katzen, einen kleinen Waschbären, den Kinder kürzlich verletzt im Wald gefunden hatten, und sogar einen Uhu mit einem gebrochenen Flügel.
Soko war weit über die Grenzen Seringats für seinen Pferdeverstand und seine heilenden Hände bekannt. Er wurde immer dann gerufen, wenn ein Tier krank und der örtliche Tierarzt an seine Grenzen gestoßen war. Aber auch manchem menschlichen Patienten hatte er schon den Rücken oder die Hüfte wieder eingerenkt.
Vor Kurzem war Agatha bei ihm eingezogen und es gab niemanden im Dorf, der sich darüber nicht mit den beiden gefreut hätte. Aber selbst für drei Personen war der Tisch noch sehr groß. Zur Zeit beschäftigten Effel allerdings vollkommen andere Gedanken, was Soko natürlich nicht entgangen war. Die Sonne war bereits untergegangen. Vor Effel stand ein Glas, das fast bis zum Rand mit einem Rotwein gefüllt war, den Soko nur zu besonderen Anlässen kredenzte. Der Schmied schien gespürt zu haben, dass der heutige Besuch ein solcher Anlass war. Neben einem Krug mit Wasser, das er gerade eben noch aus dem Brunnen geholt hatte, hatte er einen Korb mit einigen Scheiben Schwarzbrot gefüllt. Butter, Käse und Schinken hatte er auf flachen, mit Jagdszenen verzierten Holzbrettern angerichtet.
Effel blickte auf.
»Ja, ich vermisse sie und es fällt mir im Augenblick wirklich schwer, im Hier und Jetzt zu leben. Das ist so ein Moment, in dem einem bewusst wird, dass manches leichter gesagt als getan ist.«
»Nun schau nicht wie ein geprügelter Hund, Nikita wird bestimmt zurückkommen. Sie hat es dir versprochen, nicht wahr?«, versuchte der Schmied ihn zu trösten, rückte einen Stuhl heran und setzte sich zu ihm an den Tisch. »Wir sollten mal wieder auf die Jagd gehen, mein Freund … oder in die Agillen zum Fischen, dort kommen jetzt bald die Lachse zum Laichen. Was meinst du? Das haben wir lange nicht mehr getan. Da kommst du auf andere Gedanken. Ändern kannst du im Moment sowieso nichts.« Dann fügte er hinzu: »Nikita hat auf mich nicht den Eindruck einer Frau gemacht, die ihre Versprechen nicht hält, und meine Menschenkenntnis hat mich bisher selten getrogen. Ich muss nur sehen, wie jemand mit Pferden umgeht, das verrät mir viel über seinen Charakter. Da macht mir keiner etwas vor, weil niemand ein Pferd täuschen kann. Jedenfalls hat man ihr nicht angemerkt, dass sie noch nie etwas mit Pferden zu tun gehabt hat. Vielleicht hat sie das in einem früheren Leben, wer weiß das schon.«
»Doch, als Kind ist sie wohl ein paarmal geritten, bevor sie das Golfspielen entdeckt hat. Das kann aber auch sehr gut sein, dass sie in einem früheren Leben ebenfalls mit Pferden zu tun hatte. Schließlich kann sie sich an all ihre Inkarnationen erinnern.«
»Also das finde ich unglaublich. Aber eines sage ich dir, ich wollte das gar nicht können.«
»Mir gefällt das, wenn es für mich auch viel anstrengender ist als für sie und ich dabei Hilfe brauche. Jedenfalls habe ich nicht gemerkt, dass diese Fähigkeit sie in irgendeiner Art und Weise behindert hat, ganz im Gegenteil.«
»Sieh doch das Positive an dieser ganzen Geschichte. Gibt es nicht in allem auch etwas Positives? Das ist es doch, was uns Mindevol immer sagt. In jedem Schlechten liegt auch etwas Gutes. Das hat er mehr als einmal gesagt.«
»Ja, das stimmt schon. Ich versuche es ja. Aber was soll das in diesem Fall sein?«
»Na, das liegt doch wohl auf der Hand. Sie hat die Pläne, mit denen sie jetzt diese Maschine bauen können … und wenn sie danach zurückkommt, hast du den Beweis, dass sie dich wirklich liebt.«
»Ich glaube nicht, dass ich solch einen Beweis brauche. Dass sie mich liebt, weiß ich. Die Frage ist doch, ob man sie dort wieder weglassen wird.«
»Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, mein Freund. Sie wird zurückkommen, glaube es mir. Wetten werden gerne noch angenommen.«
Soko grinste herausfordernd und streckte Effel die Hand entgegen. »Schlag ein, du darfst den Wetteinsatz bestimmen.« Sie wetteten oft und gerne miteinander, einfach zum Spaß und um alle möglichen Sachen. Aber auch dieser Versuch ging ins Leere.
»Lass gut sein, Soko, darum wette ich nicht. Ich finde es aber nett von dir, dass du mich aufheitern möchtest.«
»Da ist aber noch etwas ... ich sehe es dir doch an ... rück schon raus mit der Sprache«, forderte Soko ihn jetzt auf. Er hatte Effel noch nie so niedergeschlagen erlebt, ausgenommen damals, als sein Großvater gestorben war, aber da war er noch ein Kind gewesen.
»Mir kannst du alles sagen ... das weiß du.«
Der Schmied trank sein Glas in einem Zug aus und wischte sich mit der Hand über den Mund. Ein paar Tropfen hatten sich in seinem Bart verfangen.
»Den solltest du probieren, mein Freund, der ist schon fünf Jahre alt, ein Spitzenwein. Erinnerst du dich an jenen Herbst? Bis in den November hinein hatten wir gutes Wetter gehabt. Bestimmt wird es in diesem Jahr wieder so – oder wann hatten wir den letzten Oktober, der so viel Sonne hatte? Aber trink nicht zu viel, damit Agatha auch noch etwas abbekommt.«
Er zwinkerte Effel aufmunternd zu und putzte sich die Hand an einem Küchentuch ab. Was als erneute Aufmunterung gedacht war, verfehlte auch jetzt seine Wirkung und verpuffte ins Leere.
»So, ich werde euch mal einen Moment alleine lassen, ich brauche unbedingt eine Dusche. Aber trink nicht alles weg, lass mir was übrig und pass auf Sam auf, der schnuppert schon bedenklich nach dem Käse.«
Er verließ lachend die Küche. Zwanzig Minuten später war er zurück und nahm wieder am Tisch Platz. Diesmal in einer neueren Hose und einem frischen Hemd.
»Hast du überhaupt etwas getrunken? Sitzt da, wie ich dich verlassen habe. So habe ich dich ja lange nicht erlebt.«
Effel sah Soko jetzt direkt an, beugte seinen Kopf nach vorne und nippte nur vorsichtig an seinem Glas, als wenn der Inhalt kochend heiß wäre oder vielleicht sogar verdorben.
»Hör mal, wenn du meinen Wein nicht würdigst, bekommst du Wasser, davon habe ich reichlich.«
Er grinste. Dieser Versuch verfehlte seine Wirkung nicht.
»Ja, da ist noch etwas, das mich beschäftigt ... du hast recht. Tut mir leid, wenn ich so abwesend war, aber ich musste nachdenken.«
»Und, magst du mir sagen, was bei deiner Nachdenkerei herausgekommen ist?« Sokos Neugier war erwacht. »Die Frauen sind im Dorf, du hast also alle Zeit der Welt. Meine Mutter wollte ein paar Freundinnen besuchen, die sie lange nicht gesehen hat. Ich habe Agatha gebeten, sie zu begleiten, weil sie doch noch etwas unsicher auf den Beinen ist. Noch solch ein Sturz würde gerade noch fehlen. Sie hat Glück gehabt, dass sie sich nicht den Oberschenkelhals gebrochen hatte. Nach so etwas stehen alte Leute fast nie mehr auf.
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