– Verifikation
– Erweist sich die zu überprüfende Hypothese hingegen immer wieder als richtig (sogenannte Verifikation ), dann kann sie in den Status eines Naturgesetzes erhoben werden, wobei es sich natürlich schon oft genug gezeigt hat, dass auch vermeintliche Naturgesetze noch einmal modifiziert werden mussten.
Was wir der naturwissenschaftlichen Forschung verdanken
Dieses Verfahren der modernen Naturwissenschaft hat sich mit seinem kritischen, für neue Erfahrungen offenen Grundansatz als äußerst erfolgreich erwiesen. Ihm verdanken wir vom Kühlschrank bis zum Laptop alle technischen Errungenschaften unserer Industriegesellschaft, und es liegt für uns im Nachhinein auf der Hand, warum die dogmatische, d.h. auf unhinterfragbaren Setzungen beruhende Haltung der katholischen Kirche sich auf Dauer gegen den empirischen, d.h. auf Experimenten und nachprüfbaren Erfahrungen beruhenden Ansatz eines Galilei nicht behaupten konnte.
Grenzen naturwissenschaftlichen Forschens:
Dennoch ist der naturwissenschaftliche Zugang zur Wirklichkeit nur einer von mehreren Zugängen, und dieser Zugang hat auch seine nicht zu übersehenden Grenzen:
– Naturwissenschaftliche Forschung sagt nichts über die Beziehung des Wissenschaftlers zu seinem Gegenstand aus.
– So sagen naturwissenschaftliche Sätze nichts über die Beziehung des Wissenschaftlers zu seinem Gegenstand aus, also z.B., aus welchen biografischen Gründen sich Galilei mit den Fallgesetzen beschäftigte, welche Gefühle die Versuche bei ihm auslösten, welche Folgen seine Forschungen für sein weiteres Leben hatten.
– Naturwissenschaftliche Forschung kann ethische und politische Fragen nicht beantworten.
– Naturwissenschaftliche Erkenntnisse helfen auch bei ethischen und politischen Fragestellungen, die sich aus den Ergebnissen naturwissenschaftlicher Forschung ergeben, nicht weiter: Dürfen und sollen Atomkraftwerke gebaut werden? Ist es erlaubt, biologische und chemische Kampfstoffe herzustellen? Dürfen und sollen Experimente mit menschlichen Genen angestellt werden?
– Naturwissenschaftliche Forschung kann nichts aussagen über Sachverhalte, die einmalig und nicht wiederholbar sind.
– Naturwissenschaftliche Erkenntnisse versagen außerdem bei der Erklärung von Sachverhalten, die einmalig und nicht wiederholbar sind: Der Tod meiner Mutter, der Streit mit meinem Chef, das Herzklopfen beim Lesen eines spannenden Romans, die Hassliebe zu meinem Bruder, meine Freude über den Sonnenaufgang im Hochgebirge – all das ereignet sich natürlich unter Umständen in vergleichbarer Weise in vielen Menschenleben, unterliegt deshalb auch bestimmten, vielleicht sogar statistisch erfassbaren Gesetzmäßigkeiten, letztlich handelt es sich aber doch um jeweils einzigartige menschliche Erfahrungen, die in ihrer Erlebnisqualität nicht messbar sind und auch nicht von jedermann jederzeit überprüft werden können.
– Naturwissenschaftliche Forschung hilft bei Sinn- und Lebensfragen nicht weiter.
– Welchen Sinn mein Leben eigentlich hat, warum ich ehrlich und hilfsbereit sein soll, ob ich heiraten soll, warum gerade mein Kind behindert zur Welt gekommen ist, warum ich hässlich bin, wie ich mit meiner Arbeitslosigkeit fertigwerde, wie ich mit meinem Sprachfehler leben kann – all das sind Probleme und Fragen, die Menschen schlaflose Nächte bereiten können, bei denen der naturwissenschaftliche Zugang zur Wirklichkeit uns jedoch keine Hilfe bietet.
Glaube und Theologie
glauben an = vertrauen auf, sich verlassen auf
→ Woran du dein Herz hängst
Glauben ist eine Lebenshaltung.
Als Nächstes wären nun Gegenstand, methodisches Vorgehen und Grenzen theologischer Erforschung der Wirklichkeit zu bestimmen. Dabei ist es zunächst wichtig, sich den Unterschied von Glauben und Theologie zu verdeutlichen: »Glauben« bedeutet sowohl im Hebräischen als auch im Griechischen in erster Linie »glauben an« und damit soviel wie »vertrauen auf«, »sich verlassen auf«, »sich mit ganzem Herzen einlassen auf«, »bauen auf«. Diese Art von Glauben, die der Hebräerbrief eine »feste Zuversicht« (Hebr 11,1) nennt, richtet sich in der Bibel auf Gott bzw. auf Jesus von Nazareth (vgl. z.B. 1. Mose 15,1–6; Jes 7,1–9; Mt 8,5–13; Joh 11,25; Joh 20,24–29), kann sich aber – wie schon im Zusammenhang mit Luthers Erklärung zum ersten Gebot erkennbar wurde – auch auf ganz andere Götter und Abgötter richten. Glauben in diesem Sinn meint eine bestimmte Haltung zum Leben und zur Welt, ist in gewisser Weise das Grundmuster, nach dem ein Mensch sein Leben gestaltet. Man kann deshalb diese Art von »Glauben« auch nicht als Gegensatz zum Begriff »Wissen« sehen, sondern allenfalls einen Glauben (z.B. den an Jesus Christus) mit einem anderen (z.B. dem an den Fortschritt, an die Vernunft, an die klassenlose Gesellschaft, an den Zufall, an die Weisheit der Natur) vergleichen.
glauben an / glauben, dass
Nicht verwechselt werden darf der Ausdruck »glauben an « mit dem Ausdruck »glauben, dass «, bei dem »glauben« so viel heißt wie »meinen, dass «, »vermuten, dass«, »nicht sicher wissen, ob«. Das Wort »glauben« ist in der deutschen Sprache doppeldeutig und oft irreführend, zumal aus dem »glauben an jemand oder etwas« oft auch ein »glauben, dass« folgen kann: Der Hauptmann von Kapernaum z.B. glaubt, dass sein Knecht wieder gesund werden wird, weil er an Jesus Christus glaubt, also ihm vertraut, sich auf ihn einlässt. Wer an Jesus Christus glaubt, glaubt auch, dass er wirklich auferstanden ist und dass der Gedanke der Auferstehung nicht nur eine menschliche Projektion ist. Es liegt aber zum Beispiel eine Verwechslung der beiden Verwendungsweisen von »glauben« vor, wenn jemand folgert: »Wenn du an den Gott der Bibel glaubst, musst du eigentlich doch auch glauben, dass Gott die Welt in sieben Tagen geschaffen hat.« Wenn sich jemand verpflichtet fühlt zu glauben, dass der Gott der Bibel die Welt in sieben Tagen geschaffen hat, dann glaubt er an die Behauptung, die Bibel sei eine Sammlung von historischen Tatsachenberichten, aber er glaubt deshalb noch keineswegs unbedingt an den Gott, an den die Verfasser der priesterschriftlichen Schöpfungserzählung geglaubt haben. 36
Christlicher Glaube enthält immer schon ein Moment der Erklärung, Begründung und Weitergabe des Glaubens.
»Es sind verschiedene Gaben; aber es ist ein Geist. Und es sind verschiedene Ämter; aber es ist ein Herr. Und es sind verschiedene Kräfte; aber es ist ein Gott, der da wirkt alles in allen.« 1. Kor 12,4–6
Obwohl Glauben als eine Lebenshaltung nicht zwangsläufig sprachlich artikuliert und anderen mitgeteilt werden muss, fordert das Neue Testament doch unüberhörbar, »allezeit (!) bereit« zu sein, »zur Verantwortung vor jedermann (!), der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist« (1. Petr 3,15). Christlicher Glaube enthält also im Unterschied zu vielen anderen Formen des Glaubens immer auch schon ein Moment der Erklärung, der Begründung und Weitergabe des Glaubens. Diese Weitergabe des Glaubens kann heute wie früher in vielfältiger Form erfolgen: durch Predigten, durch diakonisches Handeln, durch geistliche Musik und Kirchenlieder, durch persönliche Gespräche, durch Unterricht, durch theologische Bücher, durch Gemälde und Skulpturen, durch Fernseh- und Rundfunksendungen, durch das Internet, durch Podiumsdiskussionen, durch Vorträge, durch Straßen- und Zeltmission … Die Vielfalt der Verkündigungsformen und -themen signalisiert dabei zum einen, dass christlicher Glaube sich an vielerlei Menschen in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen wendet, ist insofern also etwas sehr Positives. Andererseits kam und kommt es aber nicht selten auch zum Streit über die rechte Art und den rechten Inhalt christlicher Verkündigung, z.B. zwischen Katholiken und Protestanten, zwischen Lutheranern und Reformierten, zwischen Pietisten und politisch engagierten Christen, zwischen Christen in Lateinamerika, Asien und Afrika und Christen in Mitteleuropa. Um diesen Streit im Interesse der eigentlichen und ursprünglichen Aussageintention des Evangeliums sachgerecht austragen zu können, bedarf es der christlichen Theologie als einer systematischen und methodisch kontrollierten Reflexion des christlichen Glaubens. Theologie vergleicht unsere heutigen Gedanken und Vorstellungen von Gott sorgfältig und systematisch mit den in der Bibel dokumentierten Gedanken und Vorstellungen von Gott und ist somit eine Art wissenschaftliches Korrektiv für Glauben und Verkündigung, mit dem verhindert werden soll, dass wir unsere menschlichen Vorstellungen und Gedanken von Gott mit Gott selbst verwechseln.
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