Nicht gut …
Ich beobachte mit schmalen Augen, wie der Halbwüchsige seinen gestählten Körper dehnt, sodass die Knochen knacken. Dann, ohne Vorwarnung, prescht er auf Steinwind zu und rammt ihm, wie vorhin bei mir, seine Finger in den Unterbauch. Mein Freund stößt ein lautes Stöhnen aus, als die Hand des Elfen durch das Leder und seine Haut dringt.
Blitzschnell zieht der Elfenjunge sich zurück und hält ein Stück Fleisch in den Fingern.
Mein Magen rebelliert, als ich feststelle, dass es die Milz sein muss – zumindest klafft genau an der Stelle, wo sie liegen sollte, ein Loch in Steinwinds Bauch. Mein Freund heult laut auf, während Blut aus der Wunde läuft.
Ich zerre erneut an meinen Fesseln, aber es bringt nichts, ich kann mich nicht losreißen und muss hilflos zusehen, wie der verfluchte Elf beginnt, das Organ meines Freundes zu … essen?!
Was zum Henker läuft mit diesem Volk schief?!
Blut tropft auf seinen nackten Körper, was ihn zu erregen scheint, wie unschwer zu erkennen ist. Ich wende den Kopf ab, da ich nicht länger zusehen kann, ohne mich zu übergeben.
Ja, in meinem Leben habe ich schon viel zu sehen bekommen, aber wie ein Halbstarker ein blutiges Stück Fleisch meines besten Freundes vertilgt und dabei einen Ständer kriegt, muss ich mir nicht geben. Sollte ich das hier überleben, werde ich definitiv einen Albtraum mehr haben, der mich verfolgt.
Ich presse die Augen zusammen und versuche, das triumphierende Geheul der Dunkelelfen sowie die Schmerzensschreie meines Freundes auszublenden. Keine Chance.
Als ich einen brennenden Schmerz an der Stelle spüre, wo der Elf mich bereits verwundet hat, reiße ich die Lider wieder auf. Hätte ich das Mal besser gelassen … denn der Anblick, der sich mir zeigt, und der Eisengeruch, der in meine Nase dringt, lassen mich nun wirklich würgen.
Der junge Elf hat sich vor mich hingestellt und schiebt mir unter dem Beifall seiner Artgenossen gerade grinsend Hemd und Wams hoch, um mir auf Höhe der Taille ein handtellergroßes Stück Fleisch herauszureißen. Als seine spitzen Zähne in meinen Körper dringen, werfe ich den Kopf in den Nacken und kann den Schmerzensschrei nicht unterdrücken, der meiner Kehle entweicht.
Der junge Elf lacht gehässig und das genüssliche Schmatzen, das ich vernehme, gibt mir den Rest. Doch ehe ich mich übergebe, fällt mein Blick hinauf zur Höhlenöffnung. Als ich dort einen schwarzen Schatten entdecke, kann ich mein Glück kaum fassen.
Eine Mischung aus Heulen und Lachen entfährt mir, während ich kurz darauf in meinem Geist ein Bild aufflackern sehe, das nur ein Wesen auf dieser Welt mir schicken kann: Es ist das Bild einer kleinen Echse. Mein Greif Meteor hat einmal einer das Leben gerettet, indem er sie vor dem Vertrocknen auf sandigem Boden bewahrte und sie stattdessen behutsam mit seinem Adlerschnabel aufnahm und in den nächsten Tümpel brachte, den er fand. Ich bin zwar keine Echse, aber dennoch verstehe ich, dass Meteor mich retten wird.
Schon spüre ich seine Magie, die sich mit mir verbindet und damit die Lücke füllt, die entstand, als mir meine eigenen Kräfte von den Dunkelelfen genommen wurden.
Ich fackle nicht lange, sondern lasse meine Stricke in Flammen aufgehen, was das Jubelgeheul unserer Peiniger abrupt verstummen lässt. Allerdings nur für die Dauer eines Lidschlags, denn im nächsten Moment sind wütende Schreie zu vernehmen.
Obwohl der Schmerz meiner klaffenden Wunde überwältigend ist, stoße ich mich blitzschnell vom Pfahl ab und ramme den jungen Elfen, der mich vollkommen verdattert ansieht, mit der Schulter. Noch während aus seinem Mundwinkel ein Fetzen meiner Haut hängt, stoße ich ihn zu Boden. Anschließend hechte ich zu meinem Freund, bilde um uns einen Schutzschild und lasse meine Feuermagie in seine Fesseln dringen.
Als sich die Stricke eine Sekunde darauf gelöst haben, sackt Steinwind benommen zusammen. Er hat viel zu viel Blut verloren, wie mir die glänzende Lache seines Lebenssaftes zeigt, in die ich unwillkürlich getreten bin.
»Aufstehen, Großer!«, befehle ich mit scharfer Stimme, denn die Dunkelelfen waren derweil nicht untätig.
Dutzende Pfeile prasseln gegen meinen magischen Schild und lassen ihn erbeben. Ich sehe, wie einige unserer Gegner gerade ihre Kräfte miteinander verbinden, um uns mit Magie anzugreifen.
Scheißelfenpack!
»Hoch mit dir!« Ich zerre an Steinwinds Oberarm, habe aber keine Chance, seinen muskelbepackten Körper aufzurichten, da meine eigenen Kräfte durch die schmerzhafte Wunde an der Seite und die gebrochenen Rippen geschwächt sind.
Ich schaue nach oben und bemerke, dass Meteor inzwischen so nahe ist, dass ich seine gelben Adleraugen erkennen kann. Er trägt zum Glück immer noch die Satteltaschen, die ich ihm nicht abgenommen hatte, und wieder einmal muss ich feststellen, was für ein beeindruckendes Geschöpf er ist. Wenn wir nebeneinanderstehen, reicht er mir bis zur Brust und ich zweifle keinen Moment daran, dass es ihm problemlos gelingt, Steinwind und mich zusammen auf seinem Rücken zu tragen. Doch dafür müssen wir erst mal heil zu ihm gelangen.
Da ich jetzt über die schier endlose Magie meines Greifs verfüge, gelingt es mir, breit gefächerte Feuerwellen auf die Dunkelelfen loszulassen. Sie ziehen sich etwas zurück, aber der Pfeilhagel prasselt weiter auf uns nieder.
Meteor wird unter solchen Umständen nicht heil landen können, denn ich vermag meinen Schutzschild erst über ihn auszubreiten, sobald er in meiner Nähe ist.
Leise fluchend halte ich die Elfen mit meinen Feuerzaubern auf Abstand, während ich ein Stoßgebet zu den Göttern sende, dass sie uns Hilfe schicken.
Als das schaurige Knurren eines Dämons erklingt, sinkt die Hoffnung jedoch, dass die Götter mich erhört haben könnten.
Voller Entgeisterung stelle ich fest, dass die Dunkelelfen tatsächlich ein Schattenwesen beschworen haben, das sie auf uns zupreschen lassen.
Das war’s – sobald der Dämon uns erreicht, sind wir geliefert.
Noch einmal jage ich eine mächtige Feuerwelle auf die Gegner. Als ich sie wütend fixiere, erkenne ich mit einem Mal, dass sie kurz blinzeln, wenn das Feuer auf sie zuschießt.
Da kommt mir ein rettender Gedanke.
Unser Gefährte Schatten hat seine Augen bei Tageslicht immer mit einem Stoff geschützt, weil er als Dunkelelf äußerst lichtempfindlich ist.
»Licht«, knurre ich. »Wir brauchen mehr Licht.«
Ich werfe einen raschen Blick zu Meteor, der über uns kreist und ebenfalls von Pfeilen attackiert wird. Allerdings ist er glücklicherweise zu weit weg, sodass sie ihn nicht erreichen.
»Tut mir leid, mein Junge, das wird jetzt etwas unangenehm«, murmle ich, ehe ich so viel Magie wie nur möglich sammle.
Meteor kreischt vor Schreck, doch bevor er seine Kräfte vor mir verschließen kann, lasse ich ein Licht um uns entstehen, das die Höhle taghell erleuchtet. Es ist derselbe Zauber, den ich verwende, wenn ich mit Magie meine Umgebung erhellen möchte, nur viel stärker.
Ein Aufschrei geht durch die Reihen der Dunkelelfen, doch ich kümmere mich nicht darum, sondern zerre Steinwind mit letzter Kraft auf die Beine.
»Komm!«, befehle ich meinem Greif, der sich von dem ersten Schrecken erholt hat und nun wie ein Komet zu uns herunterschießt. Genau wegen solch waghalsiger Flugmanöver hat er seinen Namen erhalten.
Ich habe keine Ahnung, wie lange die Elfen geblendet sind, möchte es aber auch nicht herausfinden, denn der Dämon, den sie beschworen haben, ist leider nicht lichtempfindlich.
Da die Elfen, die ihn kontrollieren, damit beschäftigt sind, ihre Sehfähigkeit wiederzuerlangen, anstatt ihm Befehle zu erteilen, schwebt er gerade lediglich bewegungslos in der Luft und fixiert mich mit rot glühenden Augen. Aus seinem Blick spricht purer Hass.
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