Keine Mutter kann ihr Kind so sehr hassen, es mit solch einem Namen zu strafen …
»Néthan?«, knurrt Steinwind erneut in die Dunkelheit.
»Hier.« Meine Stimme klingt rau, weil ich schon seit gefühlten Ewigkeiten nichts mehr getrunken habe.
»Bist du verletzt?«, fragt mein Freund weiter.
»Nur ein paar Kratzer und mein Schädel brummt. Du?«
Steinwind grunzt. »Nichts, was mich umbringen würde. Wo sind die anderen beiden?«
»Na, wo unser Herr Elf ist, kannst du dir wohl denken«, entgegne ich missmutig.
»Meinst du, er hat uns in diesen Hinterhalt gelockt?« Steinwinds Stimme klingt zweifelnd.
Ich stoße ein verächtliches Schnauben aus und spare mir eine Antwort.
Vorsichtig greife ich an meine Schläfe, wo eine große Platzwunde von dem Schlag zeugt, der mich niederstreckte. Es muss arg geblutet haben, meine Haut ist über die gesamte Wange bis zum Hals mit Blut verkrustet.
Als ich die Verletzung berühre, zucke ich zusammen. Das wird eine weitere Narbe auf meinem Körper hinterlassen.
Als ob ich nicht schon genug davon hätte …
Mein Oberkörper ist ohnehin davon übersät. Ich hätte sie in einem Magierzirkel von einem geübten Heiler, der über genügend Erdmagie verfügt, gegen das notwendige Kleingeld entfernen lassen können, aber jede Einzelne davon erzählt eine Geschichte und gehört damit zu meinem bewegten Leben. Es mag melodramatisch klingen, doch irgendwie hänge ich an den Narben.
Ich bin nicht eitel – nun, vielleicht ein klitzekleines bisschen – jaja, issja gut, ein großes bisschen … Verletzungen im Gesicht habe ich noch nie ausstehen können. Und jetzt ist weit und breit kein Erdmagier in der Nähe, der die Wunde zu heilen vermag. Ich bin Feuermagier, Lucja ist Wassermagierin, der Dunkelelf ein Assassine und Steinwind ein Schurke. Wir alle können zwar kleinere Blessuren versorgen, keiner besitzt jedoch die Kräfte, sie zu heilen wie ein Erdmagier.
Mist.
Warum habe ich nicht auf meine Instinkte gehört? Während ich zusammen mit Steinwind Lucjas Schrei gefolgt bin, den wir vom Lagerfeuer aus vernommen haben, ahnte ich bereits, dass uns Ärger erwartet.
Als ich die schwarzhaarige Magierin dann auf dem schneebedeckten Boden sah, über ihr breitbeinig ein fremder Dunkelelf, der seinen blutverschmierten Dolch gerade aus ihrem Bauch zog, blieb mir das Herz für den Bruchteil einer Sekunde stehen. Von unserem Begleiter namens Schatten war weit und breit nichts zu sehen.
Ich habe mich noch nicht mal vergewissern können, ob Lucja tot ist oder nicht, da bekam ich bereits einen harten Schlag auf den Kopf und wurde kurz darauf in Schwärze gehüllt. Es hatte sich eindeutig um einen Hinterhalt gehandelt.
Steinwind reißt mich erneut aus meinen Gedanken. »He. Machst du jetzt endlich mal Licht?«
Ich atme tief durch. »Was, wenn …«
»… wenn sie uns sehen?« Steinwinds Lachen gleicht einem Donnergrollen.
Umgehend muss ich zugeben, dass meine Bedenken komisch anmuten. Wir sind von Dunkelelfen gefangen worden. Ob sie uns sehen können, spielt wirklich keine Rolle. Sie wissen ja, dass wir da sind, denn ziemlich sicher haben sie uns hierhergebracht.
Also strecke ich die Hand in die Dunkelheit aus, um eine Lichtkugel zu bilden. Zugegebenermaßen bin ich selbst neugierig darauf, wo genau wir uns befinden. Eventuell entdecke ich ja noch eine Möglichkeit, von hier wegzukommen.
Ich habe vorhin die Zelle abgetastet und festgestellt, dass sie ungefähr drei auf zwei Schritt misst. Mit einer eisernen Tür aus Stäben am einzigen Ort, wo ein Ausgang wäre. Obwohl ich ein Schloss gefunden habe, ist es mir nicht gelungen, es mittels der Dietriche, die ich bei mir trage, zu öffnen, da es zusätzlich mit Magie verbarrikadiert worden sein muss. Womöglich kann ich das Eisen mit meiner Feuermagie zum Schmelzen bringen. Es ist riskant, da ich für den Zauber viel von meiner Körperwärme brauche und im dümmsten Fall erfrieren könnte, doch einen Versuch ist es allemal wert.
Leise einatmend, konzentriere ich mich auf die Kräfte, die ich in meinem Körperzentrum wahrnehme, seit ich ein kleiner Junge war. Obgleich jeder Mensch in Altra eines der vier Elemente Feuer, Wasser, Erde oder Luft in sich trägt, die ihm besondere Fähigkeiten verleihen, so hat nur ein kleinerer Teil von den Göttern obendrauf noch Magie geschenkt bekommen. Diese lernt man in einem der Magierzirkel des Landes zu kontrollieren – ich hatte sogar privaten Unterricht vom Zirkelleiter von Chakas. Aber das ist eine andere Geschichte.
Während rein Erdbegabte sich zum Beispiel um das Wohl von Menschen und Tieren kümmern und sie heilen können, vermögen Erdmagier noch viel gewaltigere Dinge. Sie sind dazu fähig, sogar ganze Gliedmaßen wiederherzustellen, wenn diese vom Körper abgetrennt wurden.
Ich als Feuerbegabter bin ein äußerst geschickter Kämpfer. Mit meiner Feuermagie bin ich in der Lage, Zauber zu wirken, die mir vor allem bei Angriff und Verteidigung äußerst nützlich sind.
Mit meiner Magie bin ich mit Meteor zusammen, ohne zu prahlen, ein richtig ernst zu nehmender Gegner.
Doch jetzt … da ist nichts. Nicht ein Hauch der Wärme, die normalerweise in meinem Inneren erstrahlt und welche ich nutzen kann, um mein Feuerelement zu beherrschen.
Ich fluche leise und probiere noch einmal, meine Magie hervorzulocken. Behutsam, als wäre sie eine Jungfrau in der Hochzeitsnacht.
Vergebens.
Es scheint, als wäre der Quell, aus dem ich meine Kräfte normalerweise ziehe, ausgetrocknet.
»Bin ich blind oder ist es immer noch dunkel?« Steinwind knirscht hörbar mit den Zähnen.
»Es geht nicht … meine Magie ist weg.« Ich merke selbst, dass ein Anflug von Panik in meiner Stimme mitschwingt, und beiße mir unwillkürlich auf die Zunge. Ich hasse es, machtlos zu sein. »Diese Bastarde müssen sie blockiert haben!«
»Blockiert?«
»Ja, das ist doch möglich. Mit einem Pulver oder so. Verdammt noch mal!«
Steinwind fällt in meinen Fluch ein. »Scheiße, wie lange hält das an?«
Ich zucke mit den Schultern, obschon mein Freund mich nicht sehen kann. »Keine Ahnung … ein, zwei Stunden – wenn das Pulver stark war, sogar Tage oder Wochen.«
Ich habe lange im magischen Zirkel von Chakas gelebt und weiß, dass es ganz fiese Mittel gibt, Magie zu unterbinden. Mir bleibt nur, ein Stoßgebet zu Feuergott Ignas zu schicken, dass diese Dunkelelfen keine solch starken Substanzen kennen. Sonst sitzen wir wirklich in der Klemme.
Erneut ist Steinwinds Fluchen zu vernehmen. »Was nun?«
»Ich weiß nur eins: Wir müssen hier raus! Lass dir was einfallen.«
»Du bist der Anführer, nicht ich«, erwidert Steinwind missmutig.
Ich seufze. Wir haben einige Jahre bei den Sandschurken gelebt – und ja, dort war ich deren Anführer. Doch das war vor dem Abenteuer, das mich nach Merita brachte.
Verflucht, ich bin kein Anführer mehr!
Ich bin seit zwei Jahren ein Lakai der Herrscherin, der brav Männchen macht und Pfote gibt, wenn es verlangt wird. Meine Zeiten als Draufgänger sind vorbei. Zumindest werden sie das gezwungenermaßen ohnehin bald sein, sollten wir nicht rauskommen.
»Hast du einen Plan?«, tönt Steinwind von der anderen Zelle zu mir herüber.
»Nein.«
»Nein?«
»Nein, verdammt.«
»Aber du hast immer einen Plan, Anführer.«
»Hör verflucht noch mal auf, mich Anführer zu nennen!« Ich balle die Hand erneut zur Faust.
»Aber du hast immer einen Plan, Néthan.«
Ich knurre in mich hinein. »Im Moment seh ich keine Möglichkeit, wie wir hier rauskommen«, fasse ich die ausweglose Situation zusammen. »Zudem müssen wir wissen, wo Lucja ist. Ohne sie wird es wesentlich schwerer, nach Fayl zu gelangen und unsere Mission zu erfüllen. Sie hat gesagt, sie habe dort Kontakte, die uns vielleicht helfen könnten, den Zirkelleiter von Fayl zu einem Bündnis zu überreden.«
Читать дальше